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Dörte Steinheisser ist Diplom
Soziologin und Lehrerin für Sport und Sozialkunde. Zur Zeit ist sie als
Hochschuldozentin an der Verwaltungsfachhochschule Wiesbaden tätig.
Ihre Dissertation »Frauen im Sport - eine historische und gegenwartsbezogene
Analyse der weiblichen Sportbeteiligung im Kontext zeitgeschichtlicher
gesellschaftlicher Entwicklungen « erschien 2004 in Frankfurt.
Die Bewegungskultur in Deutschland während des Mittelalters ist nicht auf Inklusion der Gesamtbevölkerung gerichtet, sondern sie verdeutlicht vielmehr durch Abgrenzung der Stände voneinander eben diese ständische Gliederung der Gesellschaft. Entsprechend diesem Differenzierungsprinzip gab es spezifische Formen der Bewegungskultur für die verschiedenen Stände, also für die Ritter, für die Bauern und für die Bürger. Von einem eigenen gesellschaftlichen Teilsystem Sport, so wie wir es aus der modernen Gesellschaft kennen, kann während der Zeit des Mittelalters vor allem deshalb nicht gesprochen werden, weil die einzelnen Bereiche nicht allen Bevölkerungsschichten gleichermaßen zugänglich waren, sondern eben nur den Angehörigen eines bestimmten Standes. Das Prinzip der Inklusion, also der Einbeziehung aller Gesellschaftsmitglieder in ein gesellschaftliches Teilsystem war nicht verwirklicht, wobei streng darauf geachtet wurde, dass bei den verschiedenen Tätigkeiten keine Vermischung der Stände erfolgte.
Auch im Mittelalter diente eine systematische und kraftbetonte Bewegungskultur ausschließlich dem Wehrzweck, und ein geordnetes, sportliches Übungsprogramm existierte somit nur für die Ritter, da sie den Wehrstand bildeten. Die Bedeutung, die der Körper und die körperliche Bewegung für ihn hatte, kommt in dem sogenannten Ritterspiegel zum Ausdruck. Sie geben uns dabei Auskunft, welche Fähigkeiten und sportliche Fertigkeiten der Ritter beherrschen sollte: Steinstoß, Stechen und Turnieren gehörten zu ihrem Übungsprogramm, wobei der Kraftbeweis grundsätzlich im Vordergrund vor den technischen Disziplinen oder Geschwindigkeitsleistungen stand. Im Unterschied zum modernen Sport verschaffte eben kein Glasfieberstab, sondern die Körperkraft Respekt im Land und verbürgte den leidenschaftlich begehrten Ruhm.
Für die unteren Volksschichten, und das waren vorwiegend die Bauern, blieben dagegen Leibesübungen auf bestimmte Anlässe beschränkt, vor allem auf die kirchlichen Feste mit ihrem traditionellen Brauchtum. Neben dem Wettstreit im Lauf, Wurf und Sprung aus bloßem Vergnügen heraus, beschränkten sich ihre Leibesübungen auf so genannte offene Spiele, die im Rahmen von Schützenfesten ausgetragen wurden.
Das typische dieser spätmittelalterlichen Feste war ein Volksfestcharakter und in diesem Sinn enthielt das Festprogramm Kurzweiliges aller Art von der Lotterie, über Kegel-, Karten- und Würfelspiele. Darüberhinaus wird aber auch von Wettläufen zwischen Frauen und Männern aus dem Volk oder von Dirnen-, Juden-, Greisen-, Büffel- und Eselwettläufen berichtet. Sportliche Disziplinen nahmen also allenfalls einen Platz unter Vielen ein. und die Spiele dienten vor allem der Unterhaltung.
Zu den weiblichen Leibesübungen des Spätmittelalters zählten Volks- und höfische Gesellschaftstänze, Ballspiele und Kinderspiele, die überwiegend keine individuellen Leistungen präsentierten, sondern bemüht waren, die verschiedenartigsten Beziehungen und Interaktionen unter den Teilnehmern herzustellen. Weibliche Wettkämpfe und kraftbetonte Übungen wie die der Männer waren in der Zeit des Mittelalters eher selten anzutreffen, da diese den Schönheitskanons der Zeit widersprachen.
Mit dem Rückgang der Bedeutung der körperlichen Wehrfähigkeit durch das Aufkommen der Söldnerheere und die Erfindung der Feuerwaffe und mit der Zunahme jener Prozesse, die mit der allmählichen Ausbildung des Verwaltungsstaates umschrieben werden können, ist im 16. Jahrhundert ein Niedergang der Bewegungskultur der Bauern und Bürger zu beobachten. Die volkstümlichen Übungen waren zunehmend Verboten der Obrigkeit ausgesetzt und verschwanden zunehmend von der Blickfläche.
Teil 1: von der Antike bis zu den Germanen
Teil 3: vom 17. Jahrhundert bis zum 20.
Jahrhundert