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Nanu, ist hier was falsch?

Foto: Marie Tolkemit

Essen macht Geschlecht!

Frauen verzichten, Männer genießen?

Wir stellen uns einen Tisch im Restaurant vor, auf dem ein Salat mit Putenbruststreifen und ein Glas Wasser sowie ein Schnitzel mit Kroketten und Jägersauce und ein Glas Bier stehen. Wenn wir jetzt erraten müssten, wo der Mann und wo die Frau sitzt, dann wäre schnell klar: SIE sitzt vor dem Salat und ER vor dem Schnitzel. Die gesellschaftlichen Rollenerwartungen an die Ernährung der Geschlechter gehen weit auseinander. So wird erwartet, dass SIE "schwache Nahrung" wie Rohkost und Desserts zu sich nimmt. Auch wird angenommen, dass die von IHR gewählten Portionen klein sind, dass SIE langsam und in kleinen Häppchen isst und an IHREM Getränk nippt. Zudem isst SIE diszipliniert und gesundheitsorientiert. ER hingegen, so die Vorstellung, zeigt auch beim Essen Dominanz: ER hält sich nicht ängstlich an Ernährungsempfehlungen, sondern isst ungezwungen und scheut den Verzehr von Fett nicht. Auf SEINEM Speiseplan steht "starke Nahrung", dazu zählen etwa Steaks oder Alkohol, welche ER zügig zu sich nimmt. Während des Essens langt ER kräftig zu und trinkt in großen Schlucken.

Studien belegen Unterschiede

Tatsächlich zeigen Studien, dass Frauen ein höheres Ernährungswissen als Männer haben. Sie achten bei ihrer Ernährung vor allem darauf, dass diese kalorienarm und gesund ist und greifen daher häufiger zu Light-Produkten als das männliche Geschlecht. Bei Männern hingegen liegt der Fokus auf dem Geschmack, es muss ihnen einfach gut schmecken. Dass Frauen mehr Obst und Gemüse essen als Männer stimmt zwar, die Menge unterscheidet sich aber nur gering. Unterschiede in den Essgewohnheiten zeigen sich wiederum beim Fleischverzehr und beim Alkoholkonsum, denn Männer essen doppelt so viel Fleisch wie Frauen und trinken größere Mengen an Alkohol.

Die Küche – Terrain der Frau

Auch bei der Essenszubereitung gibt es Geschlechterunterschiede. So zählen Kochen, Backen oder Dünsten zu den "weiblichen" Zubereitungsformen. Eine Frau am Grill hingegen scheint für viele nahezu unvorstellbar! Die Soziologin Nina Degele begründet die Lust der Männer am Grillen damit, dass derjenige der "Feuer anzündet, (...) in der Sozialhierarchie ganz oben [steht]". Zudem ist das Grillen, da es draußen verübt wird, besser sichtbar als das Kochen im Haus und damit letztlich auch prestigeträchtiger. Die nicht so prestigeträchtige alltägliche Versorgung der Familie übernehmen nach wie vor überwiegend die Frauen, die fünfmal so viel Zeit in der Küche wie ihre Partner verbringen.

Wie uns Erziehung und Medien prägen

Doch wie kommt es zu diesen unterschiedlichen Ernährungs- und Verhaltensweisen zwischen den Geschlechtern? ExpertInnen sind sich einig, dass die Präferenz der Geschlechter nach bestimmten Lebensmitteln nicht genetisch bedingt ist, sondern durch unsere Sozialisation geformt wird. So haben Mädchen bei der Geburt nicht à la Bridget Jones eine Vorliebe für Schokolade zum Frühstück. Vielmehr wird ihr Ernährungsverhalten durch Bezugspersonen und die Medien geprägt. Kinder lernen die Regeln rund um das Essen durch Beobachten und kopieren das Essverhalten ihrer Eltern. Sie nehmen es bewusst wahr, wenn die Mutter bei Stress immer zur Schokolade greift und der Vater sein Feierabendbier genießt. Daneben reproduzieren Eltern durch ihre Erziehung unbewusst die Geschlechterrollen, indem sie etwa Mädchen während des Essens dazu anhalten, wenig zu essen, wohingegen sie Jungs ermutigen richtig zuzuschlagen, um groß und stark zu werden. Mädchen verinnerlichen so bereits früh, dass sie verzichten sollen und Jungs, dass sie genießen dürfen. So verwundert es nicht, dass bei einer Befragung von Kindern zu ihrem Essverhalten Jungen das Essen als etwas Genussvolles schilderten. Mädchen hingegen äußerten häufig den Wunsch nach mehr Kontrolle über ihr Essverhalten und sahen Essen eher als etwas Bedrohliches an. Während der Pubertät setzen sich Jugendliche intensiv mit ihrer Geschlechteridentität auseinander und ahmen die Verhaltensweisen ihrer Geschlechtervorbilder nach. Dies führt dazu, dass Mädchen Diäten ausprobieren, um nach dem gesellschaftlichen Rollenverständnis als Frau wahrgenommen zu werden, während Jungen sich durch Alkoholexzesse als Mann definieren. Auch die Medien vermitteln uns ein klares Geschlechterbild. So werden etwa Männer in der Lebensmittelwerbung als hilflos und unerfahren dargestellt, und auch die Rezepte in Männerzeitschriften sind meist einfach gehalten. Frauen hingegen präsentieren sich uns in Werbespots als kompetente Küchenvorsteherinnen. Aussagen wie "Eine Frau hat zwei Lebensfragen - was soll ich anziehen und was soll ich kochen" (Fernseh-Reklame für Dr. Oetker aus den 1950er Jahren) gehören zwar der Vergangenheit an, doch auch in den neuen Medien, wie in den Rezeptvideos des Maggi-Kochstudios (Zugriff via Smartphone-App), werden überwiegend Frauen beim Kochen dargestellt. Die Gesellschaft und die Medien prägen unser Bild der Geschlechter beim Essen bedeutend. Dieser Prägung sollten wir uns bewusst sein. Denn durch unser alltägliches Handeln können wir die Rollenerwartungen an die beiden Geschlechter beeinflussen, Stereotypen aufbrechen und somit dazu beitragen, dass Sätze wie "Gestresste Männer trinken Alkohol (...) Gestresste Frauen essen Schokolade (...)." (Allan und Barbara Pease) der Vergangenheit angehören.

Marie Tolkemit

Quellen: Max-Rubner-Institut (2008): Nationale Verzehrsstudie II. Techniker Krankenkasse (2013): "Iss was, Deutschland?"

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