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Was reicht uns Marie Tolkemit so verführerisch dar?

© Jutta Schütz, Andreas Krappweis

Agrotechnik oder altes Frauenwissen?

Eine Alternative zur globalisierten Nahrungsmittelproduktion

Die Beschaffung unserer Nahrung hat viel mit unserer Einstellung zur Natur zu tun. Während in den Industrieländern die Landwirtschaft mit wenigen Ausnahmen auf einer profitablen wirtschaftlichen Ausbeutung der natürlichen Ressourcen beruht, ist bei vielen indigenen Völkern der Respekt vor der Erde ein selbstverständlicher Teil der Kultur. Traditionelle Agrargesellschaften haben in Jahrtausenden in Übereinstimmung mit der Natur gewirtschaftet und damit die Erneuerbarkeit des Pflanzenlebens und der Bodenfruchtbarkeit gesichert. Seit alters her waren Frauen die Hüterinnen des Saatgutes, das Wissen der Frauen war beispielsweise in Indien lange die Hauptstütze der einheimischen Wirtschaft. Frauen hatten (und haben zum Teil immer noch) ein altes Wissen über Pflanzenkrankheiten, Anbau von Mischkulturen, Fruchtfolgen und Bodenpflege.

Indigenen Völkern aufgezwungene Produktionstechnologien, kombiniert mit religiöser Missionierung, führten dazu, der Natur jegliche Rechte abzusprechen. Die auf dem schonenden Umgang mit den natürlichen Ressourcen beruhenden Kenntnisse von Stammesgesellschaften wurden als rückständig und primitiv angesehen und durch "fortschrittliche" Technologien wie Monokulturen, Hochertragssorten, Einsatz von Chemie, Kunstdünger und Gentechnik ersetzt. Die indische Physikerin Vandana Shiva macht deutlich, dass die Geschichte der Landwirtschaft und der Nahrungsmittelproduktion - bis hin zur unrechtmäßigen Aneignung von Natur und Wissen durch Biopiraterie und Patentierung von Leben durch die Agroindustrie – zum Zusammenbruch ökologischer und sozialer Systeme führt und keinesfalls den Hunger in der Welt besiegen kann. Darüber hinaus führt der Verlust der biologischen Vielfalt auch zu Einseitigkeit in der Ernährung. Die Getreidevielfalt weicht Standardweizen und Standardreis, alte Gemüse- und Obstsorten verschwinden aus dem Angebot.

Ein Beispiel dafür, wie es auch anders geht, ist die mexikanische Stadt Juchitán. Dort wird bis heute die alte, einheimische Maissorte ausgesät, der auf Massenproduktion ausgerichtete Maisanbau konnte nicht Fuß fassen. Wie die Forschungsergebnisse der Soziologin Veronika Bennholdt-Thomsen zeigen, wird diese städtische Gesellschaft von den Frauen und Händlerinnen getragen, es gibt keine Hausfrauen. Die Männer arbeiten in der Landwirtschaft, sie verkaufen den Mais an die Frauen in der eigenen Stadt, was finanziell lohnender ist, als ihn an eine Aufkauforganisation für den Export zu liefern.

Die Juchitecas verarbeiten den von den Männern gekauften Mais zu den verschiedenen einheimischen Maisgerichten für den Verkauf auf dem Markt. Eine Zwiebacktortilla wird von den juchitekischen Händlerinnen auch bis in den Süden der USA und bis nach Guatemala gehandelt. Diese Verarbeitung von Mais vor Ort, durch die Frauen meist der eigenen Familie, bringt den Bauern trotz der vergleichsweise niedrigen Ertragsmenge der traditionellen Sorte mehr ein als Hochertragsanbau und Verkauf für den Export.

Nach gängigen ökonomischen Kriterien müsste eine solch "rückständige" Landwirtschaft mit Armut einhergehen. Das Gegenteil ist der Fall. Die geschlechtsegalitäre Arbeitsteilung stabilisiert die regionalen Wirtschaftskreisläufe. Die Tatsache, dass 75 Prozent der Lebensmittel auf dem Markt aus der Region selbst stammen, bedeutet, dass konsumiert wird, was auch hier produziert und verarbeitet worden ist. Eingebunden in den Alltag und Teil der Ökonomie ist die besondere Kultur der großen Feste in Juchitán, die dafür sorgt, dass Überschüsse gemeinsam konsumiert und nicht akkumuliert werden, so dass ein stetiger sozialer Ausgleich stattfindet.

Barbara Obermüller

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