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Ausbildungsplatzsuche:

die persönliche Note besticht

Maria Anna Kuhn ist Bäckermeisterin, war 15 Jahre selbstständig mit Ausbildungserfahrung im eigenen Unternehmen und arbeitet jetzt als Ausbildungsvermittlerin. Sie berichtet über die Qual der Wahl bei der Bewerbungsflut in einem kleinen Betrieb und gibt wertvolle Tipps für eine gute Bewerbung.

Ach, Frühling ist eine schöne, abwechslungsreiche Jahreszeit. Das Wetter wechselt in alle Nuancen: Regen, Schnee und Sonnenschein, Skifahren und Schwimmbad- besuch - im Frühling ist alles drin. Aber eines wiederholt sich seit Jahren: Der Briefträger schleppt täglich bündelweise Bewerbungen in meine kleine Bäckerei. Sie türmen sich auf meinem Schreibtisch, auf dem Aktenschrank und auf dem Fensterbrett. Alle suchen einen Ausbildungsplatz.

Welchen dieser vielen gleich aussehenden Umschläge soll ich nur zuerst öffnen? Welcher könnte eine Überraschung bieten? Welcher sieht interessant aus? Unmöglich alles zu bearbeiten. Soll ich auslosen, mit geschlossenen Augen ziehen, tasten, riechen oder schmecken, jeden fünften einladen, meine Tarotkarten befragen oder den nehmen, auf dem mein Kater am liebsten schläft? Hilfe, Hilfe.

So oder ähnlich muss es vielen Arbeitgebern und Arbeitgeberinnen jedes Jahr im Frühling ergehen.

Im Bäckergewerbe, einem der unbeliebtesten Berufsfelder mit so schwachem Ansehen ein solcher Andrang, wie verzweifelt und hoffnungslos müssen diese jungen Leute sein. Dieser Gedanke bringt neuen Schwung und Abwechslung in die braunen Hüllen, denke ich und stürze mich mit der Neugier der neuen Vorahnung auf die Post.

Aber leider: Standardbriefe mit Standardinhalten nach Vorgaben der Bewerberzentren, Krankenkassen oder der Lehrer und Lehrerinnen angefertigt, keine persönliche Note, kaum Vorkenntnisse über das Berufsbild, keine Auseinandersetzung mit dem Unternehmen, keine Entscheidungshilfe für mich.

Soll ich nach dem Foto oder nach den Noten auswählen? Ich kann unmöglich alle einladen. Wer hat denn ein passendes Hobby oder vielleicht ein angrenzendes Wahlfach in der Schule, wenigstens ein Praktikum im Ernährungsbereich? Hilfe, Hilfe?

So viele teamfähige, kreative, kontaktfreudige, einsatzbereite Jugendliche, die dringend Bäcker/in oder Fachverkäufer/in werden möchten, wen soll ich nur einladen? Hilfe, Hilfe!

Aber keiner hilft, oder doch? Das Telefonklingeln reißt mich aus meiner ratlosen Suche durch die letzten 50 Anschreiben und Zeugnisse. Eine freundliche Stimme fragt, ob ich ihre Bewerbung schon gelesen habe, ob ich Sie kennen lernen möchte. Ich bin so froh, endlich Unterstützung, Hilfe aus dieser Einöde von Bewerbungen zu bekommen. Die Stimme klingt sympathisch, sie schlägt mir ein Praktikum vor, sie ist sehr engagiert und einsatzbereit. Ich bin froh und erleichtert und lade die junge Frau zu einem Gespräch ein und wir vereinbaren drei Probetage. Sie ist geschickt und freundlich, sie kann sogar rechnen. Sie passt gut in unser Team. Meine Entscheidung fällt schnell, sie erhält einen Ausbildungsvertrag.

Die restlichen Bewerbungen warten noch lange auf den engagierten, kreativen, leistungsstarken Verschicker, der sich nach dem Verbleib seiner/ihrer kostbaren, kostspieligen Bewerbung erkundigt und den zukünftigen Chef oder die zukünftige Chefin bei der Auswahl des Azubis zu eigenen Gunsten unterstützt.

Diese junge Frau wurde Ausbildungsbeste in ihrem Jahrgang und Zweitbeste in ganz Hessen.

Heute unterstütze ich viele junge Menschen bei der Ausbildungsplatzsuche. Junge Frauen sind dabei auffällig wenig interessiert an technischen und handwerklichen Berufen. Trotz Girls Day, Schulpraktika und Ausbildungsmessen, trotz meiner persönlichen Beratung und Initiative in diese Richtung sind die Berufe »der Frau« nach 60 Jahren Emanzipation im Haupt- und Realschulbereich: Verkäuferin, Kauffrau im Einzelhandel, Bürokauffrau, Kauffrau für Bürokommunikation und natürlich Friseurin, auch die Berufe der medizinischen und zahnmedizinischen Fachangestellten sind sehr beliebt.

Nur sehr selten wünscht eine junge Frau Unterstützung bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz zur Gärtnerin, Schreinerin, Malerin/Lackiererin oder Anlagenmechanikerin und noch keine zeigte Begeisterung für Metall-, Elektro- oder Chemieberufe. Sehr wenige fragen nach einer Ausbildung im IT -Bereich.

Das Ergebnis ist aus meiner Sicht sehr bedauerlich, bieten doch die typischen Männerberufe meist ein viel höheres Einkommen und oft bessere Weiterbildungs- und Zukunftschancen, also Unabhängigkeit von Männern (Ernährern), die mit dem neuen Unterhaltsrecht noch wichtiger ist als vor 60 Jahren. Auch der Beruf von Mädchen und jungen Frauen sollte ein Einkommen bieten, das ihnen ein eigenständiges, unabhängiges Leben ermöglicht.

Maria Anna Kuhn

Hier findet ihr konkrete Tipps für eure Bewerbung

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