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MATHILDE

Interview in der Frankfurter Rundschau am 04. April 2013

Frauenzeitung Mathilde
"Emma ist für uns kein Vorbild mehr"

 

Von Marie-Sophie Adeoso und Regine Seipel

Sara Wittig und Barbara Obermüller beim Kaffee aus FR-Tassen. Themen, die Frauen beider Generationen interessieren, finden sich genug. Die Autorinnen Barbara Obermüller und Sara Wittig schreiben in der Darmstädter Frauenzeitung Mathilde. In vielen Fragen des Feminismus sind sie sich trotz des Altersunterschieds erstaunlich einig. Die Darmstädter Frauenzeitung Mathilde hat kein Redaktionsbüro. Barbara Obermüller empfängt uns zu Hause, in ihrem Einfamilienhaus in Darmstadt-Eberstadt, wo sie den größten Teil ihrer Texte schreibt. Vom Wohnzimmer schaut man in den Garten, neben Zeitungsmachen ein weiteres Hobby der 76-Jährigen, die vor mehr als 20 Jahren die ehrenamtlich produzierte Zeitschrift mitgegründet hat. Zwei Generationen trennen sie von Sara Wittig, mit 28 Jahren eine der vier jüngeren Macherinnen.

Zur Person: Barbara Obermüller (76) ist gelernte Fremdsprachenkorrespondentin und arbeitet seit 1992, dem Gründungsjahr, in der Redaktion der Darmstädter Frauenzeitung Mathilde. 2001 errang sie als Spitzenkandidatin von "Die Feministische Partei – Die Frauen" ein Stadtverordnetenmandat im Darmstädter Parlament. Sie hat drei Töchter, 50, 47 und 36 Jahre alt, vier Enkelkinder und lebt mit ihrem Mann in Darmstadt-Eberstadt.
Sara Wittig (28) gehört der Mathilde-Redaktion seit einem Jahr an. Sie ist in Darmstadt aufgewachsen, studierte Soziologie und Politik und ist als Pressesprecherin im Mehrgenerationenhaus Darmstadt beschäftigt. Sie lebt in einer Wohngemeinschaft in Darmstadt.

Frau Obermüller, Sie schreiben seit 20 Jahren über die Welt aus Frauensicht. In dieser Zeit gab es deutliche Fortschritte – wird Ihnen das Thema nicht langsam langweilig?

Obermüller: Na ja, es hat sich tatsächlich einiges verbessert. Aber es geht trotzdem immer wieder um die gleichen Themen. Ob das die Gewalt gegen Frauen ist oder die Schwierigkeit zwischen Beruf und Familie zu entscheiden – da ist immer noch vieles wie in meiner Jugend, vielleicht abgemildert, aber noch nicht überwunden.

Sie saßen fünf Jahre lang für die Feministische Partei "Die Frauen" im Darmstädter Stadtparlament. Was macht denn aus Ihrer Sicht eine gute Feministin aus?

Obermüller: Eine Art Parteilichkeit für Frauen. Was ja nicht schwierig ist, man kann von sich ausgehen, sich überlegen: Wie fühle ich mich in der Welt? Was ist schwierig für Frauen? Was interessiert Frauen?

Aber ist das schon feministisch?

Obermüller: Sie meinen politisch feministisch – ich hab’ halt immer hier in Darmstadt geschaut, wo es fehlt. Beim Haushaltsplan kam damals das Gender Mainstreaming auf. Wir haben gemerkt, dass etwa in der Sportförderung Frauen sehr viel weniger Geld bekommen. Oder auch bei öffentlichen Lesungen, gerade mal 16 Prozent Literatur von Autorinnen wurde gelesen.

Wann und warum sind Sie denn Feministin geworden?

Obermüller: Spät, sehr spät. Ich war lange eine total konservative Frau und Mutter. Aber ich hatte bei meinen Töchtern immer das Gefühl, die werden nicht so wie du, und habe mich dafür eingesetzt, dass sie Abitur machen und studieren.

Was hat den Ausschlag für Ihr feministisches Engagement gegeben?

Obermüller: Ich war schon in den Vierzigern, also einige Jahre nach der Geburt meiner dritten Tochter. Als sie älter wurde, habe ich mich gefragt, was ich die ganzen Jahre eigentlich gemacht habe. Und dann die finanzielle Seite: Du bist eigentlich eine, die quasi gratis arbeitet ihr Leben lang, die sehr wenig eigene Rente hat. Sie waren meistens Hausfrau?

Obermüller: Ja, ich hatte eine Scheidung, habe gearbeitet bis zur zweiten Ehe. Irgendwann mal wurde ich wütend, weil ich feststellte: Hausfrauen sind die Dummen der Nation – und ich war auch eine. Dann habe ich diese ganzen Frauenbücher gelesen: Simone de Beauvoir und die amerikanischen Schriftstellerinnen.

Das heißt, zu Hause hat bei Ihnen keine Gleichberechtigung geherrscht?

Obermüller: Ich war sicher keine unterdrückte Frau. Ich habe viele Dinge einfach so gemacht, wie ich sie von meiner Mutter gelernt hatte. Gleichberechtigung – das Wort haben mein Mann und ich gar nicht im Mund geführt. Wir hatten die übliche Arbeitsteilung. Ich habe zu wenig eingefordert, obwohl ich es hätte machen können.

Frau Wittig, Sie könnten fast Frau Obermüllers Enkelin sein. Verstehen Sie sich auch als Feministin?

Wittig: Nein (lacht). Für mich hat Feminismus etwas Radikales, einen aggressiven Beigeschmack. Ich habe mich immer gleichberechtigt gefühlt. Das gilt, glaube ich für die meisten Frauen in meinem Alter.

Also haben Sie sich wirklich nie benachteiligt gefühlt?

Wittig: In der Schulzeit nicht, vielleicht im Berufsleben. Manche Stellen hätte ein Mann wahrscheinlich eher bekommen. Man sieht es ja auch an den Gehaltsunterschieden, dass es krasse Ungerechtigkeiten gibt zwischen Mann und Frau. Das ist, glaube ich, das wichtigste Thema für junge Frauen.

Wie sieht es aus mit dem Thema Familie und der Vereinbarkeit mit dem Beruf – da hatten wir den Eindruck, dass es im Heft eher weniger auftaucht. Spielt das für Sie überhaupt eine Rolle?

Wittig: Ja natürlich, klar. Es ist ein Thema für jede junge Frau. Natürlich mache ich mir auch Gedanken, wie sich das vereinbaren lässt, wer zu Hause bleibt, wie ich es mit einem Partner organisieren kann.

Wollen Sie denn Kinder?

Wittig: Ja! Mutig, oder? Das setzt einen natürlich unter Druck. Dann muss man schauen, dass man es beruflich hinbekommt.

Frau Obermüller, finden Sie, dass Frau Wittigs Generation es in dieser Hinsicht einfacher hat?

Obermüller: Schon, Berufstätigkeit wird heute anerkannt. Zu meiner Zeit hieß es ja sofort, du bist eine Rabenmutter. Die Kinderbetreuung ist auch besser geworden. Dafür sind die Anforderungen im Beruf zum Teil härter. Von daher ist es immer noch schwierig, Kinder zu erziehen. Junge Männer sind heute aufgeschlossener, das sehe ich an meinen Schwiegersöhnen, zu meiner Zeit war es eher eine Ausnahme, wenn Väter sich an der Kindererziehung beteiligt haben.

Hätten Sie sich damals vorstellen können, arbeiten zu gehen?

Obermüller: Nein, ich weiß noch, wie ich nach der Geburt meiner ersten Tochter alle Zeugnisse weggepackt habe und dachte, das war’s jetzt. Ich war eben so programmiert, nicht nur ich, viele meiner Altersgenossinnen. Mann und Kinder zu haben, war erstrebenswert, galt als die Lebenserfüllung.

Wittig: Wenn man heute sagt, ich möchte nur Hausfrau und Mutter sein, wird man komisch angeschaut, als ob man nichts aus seinem Leben machen würde. Das ist auch nicht in Ordnung.

Können Sie sich so ein Leben vorstellen?

Wittig: Warum nicht, ich weiß es nicht, vielleicht kann es für mich die Erfüllung sein.

Obermüller: Schwierig wird es halt, wenn die Kinder älter werden.

Im neuen Heft soll es um Sexismus gehen. Gibt es dazu nach der großen Debatte noch Neues zu sagen?

Obermüller: Ja, ich denke schon. Es ist ja ein sehr breites Thema. Es gibt den Sexismus in der Sprache, wenn Frauen gar nicht vorkommen, was ja Folgen im Bewusstsein hat, die Unterschiede im Gehalt – das gehört alles zum Sexismus. Viele denken ja, es geht nur um Anmache.

Haben Sie beide ganz konkret Erfahrungen gemacht mit Sexismus?

Obermüller: Strukturell auf jeden Fall, zum Beispiel, dass ich als Mutter gar nicht berufstätig sein konnte – und wenn ich noch so qualifiziert war. 1977 hätte mein Mann mir noch verbieten können, arbeiten zu gehen.

Wittig: ...und jede wurde schon mal blöd angegraben. Oder hat abfällige Bemerkungen gehört. Ich glaube, ich überhöre es auch oft.

Viele feministische Debatten finden heute im Netz statt. Auch die Sexismus-Debatte hat durch den #Aufschrei bei Twitter an Fahrt aufgenommen. Warum setzen Sie noch auf ein Printmagazin?

Wittig: Also, wir haben auch einen Facebook-Account und eine Homepage.

Obermüller: Wir mögen einfach lieber ein Heft in die Hand nehmen.

Wittig: Ja, ich bin auch ein Zeitungsfan!

Verfolgen Sie denn die feministischen Debatten im Netz?

Wittig: Ich persönlich kaum.

Obermüller: Ja, ich mache es immer, wenn wir gerade ein neues Thema machen.

Wie grenzen Sie sich von kommerziellen Frauenmagazinen ab, beispielsweise der Emma?

Wittig: Wir vergleichen uns nicht mit Emma.

Obermüller: Nein, an sich nicht, Emma erscheint ja bundesweit. Aber wir stellen oft überrascht fest, dass sie ein paar Mal die gleichen Themen hatte.

Ist Emma denn ein Vorbild?

Obermüller: Nein, Vorbild kann man nicht sagen, aber sie war schon wichtig, als diese Themen noch nicht so im Gespräch waren. Wir verdanken Alice Schwarzer viel. Sie ist heute ein bisschen umstritten, aber sie hat auch viele Verdienste für die deutsche Frauenbewegung.

Wittig: Ich finde sie auch cool.

Lesen Sie, Frau Wittig, die Emma? Oder sind für Sie eher jüngere Magazine, wie etwa das Missy Magazine interessant?

Wittig: Also ich lese die Emma schon ab und zu – das Missy Magazine eher weniger.

In jedem Mathilde-Heft erscheint ein Hilferuf, mit dem Sie um Abonnentinnen werben. Wie lange können Sie sich noch finanzieren?

Obermüller: Wir kommen immer gerade so hin. Die Anzeigenwerbung wird immer schwieriger. Wichtiger als der Verkauf sind die Abos. Die Druckkosten finanzieren sich, unsere Arbeit ist ja gratis, sonst ginge es nicht. Und unsere Druckerpatronen und das Papier zu Hause rechnen wir auch nicht immer ab.

Wittig: Wir haben schon überlegt, ob wir die Mathilde nicht mal teurer verkaufen sollten.

Obermüller: Stimmt, der Preis ist seit 20 Jahren weitgehend gleichgeblieben. Selbst bei der Euro-Umstellung haben wir nicht aufgeschlagen. Nur die Sonderhefte, die dicker sind, kosten etwas mehr. Eigentlich würden wir auch mit den Abonnentinnen gerne über Darmstadt hinauskommen. Das ist aber schwieriger. Wir versuchen es, indem wir nicht zu Darmstadt-lastig sind.

Wittig: Eine bundesweite Mathilde ist ein Traum von uns!

Obermüller: Ja, oder zumindest mal landesweit, in Hessen.

Wie hat sich die Auflage entwickelt?

Obermüller: Sie schwankt je nach Thema, in der Regel werden tausend Exemplare gedruckt. Bei Themen, die nicht so einfach sind, wir hatten ja Behinderung, Armut, Ausländerinnen, merken wir, dass die Frauen die Hefte nicht so gern kaufen.

Wittig: Nicht immer. Das Depressionsheft lief super und das betrifft ja auch nicht jede Frau.

Merken Sie bei Ihren Leserinnen auch Vorlieben für klassische Frauenzeitschriften-Themen wie Mode, Psychologie und Beziehungsprobleme?

Obermüller: Mode haben wir gar nicht, höchstens, wenn wir uns in einem Schwerpunkt kritisch damit auseinandersetzen. Vielleicht vermissen ja manche Frauen diese typischen Themen, auf die wir bewusst verzichten – keine Kochrezepte, keine Schönheitstipps, solche Dinge lassen wir.

Was wissen Sie über Ihre Leserinnen. Werden Sie generationenübergreifend gekauft?

Obermüller: Von jungen Frauen weniger, eher von den mittleren und älteren Jahrgängen, so etwa ab 35 aufwärts. Vielleicht denken die Jüngeren generell, dass das Thema out ist.

Wittig: Ich habe früher selbst gedacht, die Mathilde wäre so ein Oma-Heft, da schaut man gar nicht erst rein.

Werden Sie auch von Männern gelesen?

Obermüller: Ja, ab und zu, meist sind es Lebenspartner oder Ehemänner unserer Leserinnen. Genau wissen wir es nicht. Unter den Abonnenten waren immer mal welche dabei, aber wenige.

Wie ist denn ihr Verhältnis zu Männern, im Ursprung des Feminismus waren sie ein Feindbild. Sehen Sie das immer noch so?

Obermüller: Nein, das war vielleicht in den Anfangsjahren der Partei Die Frauen, das haben wir schnell versucht zu überwinden. Uns geht es um Strukturen, die zulasten der Frauen gehen. Wir wollen nicht, dass der Eindruck entsteht, die Frauen sind die Guten und die Armen.

Müssten Sie inzwischen nicht viel mehr mit Männern zusammenarbeiten?

Obermüller: Nein. Ich glaube auch, dass sie gar nicht so erpicht darauf sind.

Wittig: Immerhin dürfen Männer ja seit kurzem in unser Frauenzentrum rein.

Was glauben Sie, wie lange wird es noch dauern, bis wirklich Gleichberechtigung herrscht und Zeitungen wie die Mathilde überflüssig werden?

Wittig: So lange wir noch Leserinnen haben.

Obermüller: Das weiß ich auch nicht, ich glaube, es wird immer Themen geben, die Frauen stärker interessieren und die in der Öffentlichkeit zu kurz kommen. So lange wir gekauft werden und uns die Arbeit so viel Spaß macht, hören wir jedenfalls nicht auf.

 

Das Mathilde Interview ist in der Frankfurter Rundschau am 04. April 2013 erschienen.

 

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