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MATHILDE

Karola Obermüller

Foto: Tom Hayes

Weitere Infos zu Karola Obermüller finden Sie unter: www.karolaobermueller.net

"Es muss immer faszinierend bleiben"

Interview mit der Darmstädter Komponistin Karola Obermüller zu zwei Uraufführungen in Frankfurt

Karola Obermüller lebt und arbeitet als Kompositionsprofessorin an der University of New Mexico, ist aber ihrer deutschen Heimat sehr verbunden. Im Jahr 2006 wurde sie als bisher einzige Frau mit dem Darmstädter Musikpreis ausgezeichnet. Gerade schreibt sie an einem Werk für die große Besetzung des Ensemble Modern, fast zwanzig solistisch eingesetzte MusikerInnen. Am 9. März 2015 wird das Stück in der Frankfurter Alten Oper uraufgeführt. Für den Frankfurter Orgelprofessor Martin Lücker und den Trompeter Reinhold Friedrich entsteht ebenfalls eine Uraufführung, die in der Alten Oper am 27. April 2015 im Rahmen der Frankfurter Bachkonzerte erklingen soll.

MATHILDE: Karola, die beiden Werke, ja die beiden ganzen Konzerte, könnten unterschiedlicher nicht sein. Wie arbeitest du? Gleichzeitig? Nacheinander?

Karola Obermüller: Das kommt darauf an, wie dringend welches Werk fertig werden muss, aber meistens nacheinander, manchmal quasi im Zickzack. Manchmal haben zwei oder mehrere Werke etwas miteinander zu tun, das hängt aber nicht unbedingt mit dem Zeitpunkt der Entstehung zusammen, sondern eher mit dem "Kern". Wie bei zwei Geschichten, die das gleiche Grundthema haben, es aber unterschiedlich erzählen. Die beiden Werke für die Alte Oper haben ein klein bisschen was gemeinsam, aber es ist eine sehr entfernte Verwandtschaft.

M: Das Konzert im Rahmen der Bachtage enthält ausschließlich alte bzw. ältere Musik, die genau gekennzeichnet ist. Bei dir steht ausschließlich "Uraufführung". Soll es spannend bleiben?

O: Zum Zeitpunkt des Drucks des Programmes der Alten Oper wusste ich noch fast nichts über das Werk. Echte Zukunftsmusik sozusagen.

M: Die beiden Uraufführungen sind Auftragswerke, du beschreibst aber darüber hinaus noch deine Arbeit an mehreren weiteren Werken. Entstehen diese wie "Geistesblitze", etwa mitten in der Nacht, und du notierst sie sofort, oder ist deren Entstehung eher "solides Handwerk" am Klavier oder Schreibtisch?

O: "Geistesblitze" gibt es manchmal, aber eher selten. Am Anfang stehen oft Fragen, die mich faszinieren, zum Beispiel: Wie würde es sich anhören, wenn wir (die Menschen) die Berge hören könnten, quasi sprechen hören könnten...? Oder: Was ist die Zeit? Wie kann ich die Zeit in der Musik einfrieren, anhalten, beschleunigen? Wie würde es sich anhören, wenn wir die Zeit nicht in menschlicher, sondern in Ameisen-Dimension erfahren könnten? Wie würde es sich anhören, wenn unsere Zeit in Lichtgeschwindigkeit ver"ginge"? Kann ich in die Zeit "hinein-zoomen"? Oder: Welche Klänge hören wir im Mutterleib, wenn in unserem Ohr noch kein Sauerstoff ist, sondern Fruchtwasser? Und was hören wir, wenn wir sterben? Diese und viele andere sind Fragen, die immer wiederkehren und mit denen viele Werke anfangen. Also - es ist Arbeit, auch Handwerk, aber es muss immer faszinierend bleiben. Wenn ich weiß, wie es geht und was es ist, wird es mir langweilig. In diesem Sinne darf es niemals ein Rezept geben.

M: Woher weißt du, ob ein Thema ein groß besetztes Werk wird oder ein Kammermusikstück?

O: Das weiß ich immer wieder mal erst ganz schön spät, etwa wenn ich merke, dass ich versuche, eine Musik mit sehr vielen Stimmen und Klangfarben in ein Werk für Bassklarinette und Klavier zu quetschen, weil ich das nun einmal gerade komponiere. In dem Fall habe ich versucht, ganz bewusst ein Orchesterstück für Bassklarinette und Klavier zu komponieren, es war eine schöne Herausforderung und eine Übung im Kompromisse-Eingehen und Lösungen-Finden, aber dann habe ich doch noch live Elektronik dazu genommen, und dann konnte es wirklich das werden, was es werden wollte. Manchmal ist es aber auch ganz klar, welche Musik welche Besetzung braucht. Woher ich das weiß, ist schwer zu benennen. Es ist, wie wenn man jemanden kennenlernt. Man lernt die Eigenschaften und Bedürfnisse kennen, die Stärken und Schwächen. Wenn ich etwas komponiere, lerne ich es dabei kennen. Erst nehme ich es unscharf wahr, dann wird es immer deutlicher. Nie aber ganz deutlich. So, wie man ja auch nie jemanden ganz genau kennen kann.

M: Wie geht es nach den Uraufführungen weiter? Gibt es weitere Auftragswerke?

O: Es gibt eine Kinder-Kammeroper am Horizont, sowie eine weitere "große Oper", außerdem ein Saxophonquartett, und ein Werk für Klavier solo muss fertiggestellt werden. Und auf meine Portrait- CD mit WERGO und dem Deutschen Musikrat möchte ich mich konzentrieren.

M: Beim letzten Interview mit der "Mathilde" hattest du noch keine Kinder, jetzt sind es zwei und der Erste ist schon schulpflichtig. Wie kannst du dich auf so große Projekte konzentrieren, wer hilft?

O: Peter hilft nicht, sondern kümmert sich zu 50 Prozent um die Kinder (sonst hätte ich keine Kinder bekommen). Er ist auch Komponist und arbeitet an der gleichen Uni wie ich. Wenn wir in Deutschland sind, helfen Oma, Opa und die Tanten. Und in den USA ist der Große bis 15.40 Uhr in der Schule, die Kleine bis 17 Uhr im Kindergarten. Wenn sie um 12 Uhr zuhause wären, ginge das nicht. Trotzdem ist es oft stressig, aber das ist in Ordnung. Die Kinder sind natürlich ganz wichtig, das Komponieren ist meistens spannend und aufregend, und das Unterrichten ist auch erfüllend, vor allem weil es ja immer um Menschen und Musik (erfinden) geht.

Das Interview führte Michaela Kirsch.

 

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