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MATHILDE

Miley Cyrus-Auftritt in Vancouver, 2014.
Foto: Rob Sinclair / Wikimedia Commons

Und singen kann sie auch? – Der Anspruch an Sängerinnen hat sich gewandelt

Die junge Frau ist fast nackt. In hautfarbener Lack-Unterwäsche posiert sie sexy mit einem aufblasbaren Riesenfinger, dann bückt sie sich nach vorne und streckt ihren Hintern empor. Einem Mann entgegen, der ganz eng – und selbst mit einem schicken Anzug bekleidet – hinter ihr steht. Sie reibt ihr Gesäß an ihm, während sie der grölenden Menge die Zunge zeigt. Ganz klar: die Frau ist Sängerin! Und das hier ist ein ganz normaler Auftritt, wie er gerade üblich ist. Die Selbstdarstellung von Künstlerinnen hat sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. Wo sind die Zeiten hin, in denen auf einer Bühne nur ein Hocker und ein Mikro standen? Weil die Sängerinnen nicht performten und strippten, sondern einfach nur... sangen? Die Wende kam schleichend. Musikauftritte aus den 1970ern haben rückblickend noch den unschuldigen Hauch von Heimvideos. Eine einzige Kameraperspektive auf eine gestylte, aber noch glaubwürdig echt aussehende Frau gerichtet. Meist gab es nicht mal ein Bühnenbild, und die Frau machte nichts anderes als zu singen. Heute scheint der Gesang das kleinste Problem einer Sängerin zu sein. Unzählige Kameras fahren bei Live-Auftritten um sie herum, während die Künstlerin auf mindestens einer räumlichen Ebene das gigantische Bühnenbild durchturnt. Begleitet von TänzerInnen, die sie herumwirbeln und betatschen. Wenn sie das nicht selbst schon erledigt. Vielleicht deutet sie hier und da ein paar sexuelle Handlungen an, fasst sich in den Schritt oder reitet auf einem aufblasbaren Riesendildo. Während der ganzen Turnerei singt sie noch ein bisschen.

Mit hohen Stiefeln und Peitsche

Miley Cyrus hat all das Beschriebene getan, viele andere machen es ihr gleich. Der Druck, sich auf der Bühne auf jede erdenkliche Weise zu entblößen, muss immens sein. Und kommt sicher nicht von den Sängerinnen allein. Oder hat Britney Spears wirklich Freude daran, sich öffentlich in Reizwäsche zu zeigen, die ihr eher eine Nummer zu klein scheint? Bei ihrer Circus-Tour stolziert sie mit Lederpeitsche und hohen Stiefeln über die Bühne, fesselt einen Zuschauer an eine Stange und absolviert die volle Erotikshow. Singend natürlich, da war ja noch was. Im Grunde kann es uns egal sein. Wir wissen ja, dass es auch sie noch gibt, die Bekleideten mit den künstlerisch wertvolleren Auftritten und den echteren Körpern. Sie sind aber medial nicht so aggressiv präsent wie die Anderen. Und es gibt Zielgruppen, die noch nicht gelernt haben, dieses nicht so Präsente, aber Echte für sich herauszufiltern. Die Jüngeren, die durch das, was ihnen am offensivsten vor die Augen gesetzt wird, die scheinbaren Regeln lernen. Und die sind hier schnell gelernt: Nackt sind immer die Frauen, die vollbekleideten Männer daneben lassen sie nur noch nackter erscheinen. In Duetten singen beide das gleiche Lied, bloß dass sie nebenher noch eine Erotikshow absolviert, eine Ledermaske trägt oder im Käfig turnt. Bei ihm reicht es doch, dass er singt. Sie muss auch noch geil aussehen dabei. Und geil ist das, was du da siehst. Was in so gut wie keinem Fall dem Körper entspricht, den dir dein Spiegel zeigt. Zeigen musst du trotzdem alles. Mag sein, die meisten wissen, wie all das zu bewerten ist. Wer aber das nächste Mal eine Vierzehnjährige sieht, die ein Outfit trägt, bei dem mehr rausquillt als drin steckt, sollte nicht lachen. Weil das Mädchen ein Schönheitsideal zu erfüllen versucht, das sie ständig im Fernsehen sieht und an dem sie von den Jungs, für die sie schwärmt, gemessen wird. Und weil sie für den Versuch, diesen Vorbildern nachzueifern, sehr viel Spott ernten wird. Wie peinlich, werden viele denken, warum tut das Mädel sich dieses Outfit an? Die Antwort suchen Sie sicher nicht bei MTV.

Text: Christine Zier

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