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MATHILDE

Die eigentlichen Entdeckungsreisen bestehen nicht im Kennenlernen neuer Landstriche, sondern darin, etwas mit anderen Augen zu sehen. Marcel Proust (1871-1922)



Toulouse, Blick auf die Garonne.
Foto: Laura Knecht

Au revoir, altes Leben Leben – Bonjour, neues Ich?

Reisen bringt in jedem Fall Veränderung, meint Laura Knecht

Ja, ich gehöre dazu, zu dem nicht enden wollenden Strom von jungen Erwachsenen, die hinaus wollen in die weite Welt – und das nicht nur virtuell. Die für ein halbes oder ein ganzes Jahr dem gewohnten Leben in der Heimat entfliehen. Die hoffen, sich selbst ein kleines Stück näher zu kommen, indem sie sich von ihrem Lebensmittelpunkt entfernen. Ich hatte mein Leben in einem 60-Liter- Reiserucksack verstaut, setzte mich in ein Flugzeug und fand mich nach der Landung furchtbar allein im Süden Frankreichs, in Toulouse, wieder. "La Ville Rose" wird die Stadt genannt wegen ihrer Backsteinhäuser, die in einem rosa Farbton erscheinen, wenn die Sonne darauf fällt. Strahlender Sonnenschein konnte kurzzeitig zwar trösten, aber heilte leider doch nicht alle Wunden. Es hieß, mich alleine durchzuschlagen, auf die Jagd nach einem Bett für die Nacht und etwas Verständnis zu gehen. Als ich abends im Hostelbett an die erdrückende Decke starrte, verfluchte ich leise Hollywood, welches einem weis macht, dass man binnen weniger Stunden über sich hinaus wachsen und alles unmöglich Erscheinende meistern kann. Ich hingegen fühlte statt mir wachsenden Flügeln nur eines: Angst.

Utopie wird zur Realität

Als ich Monate später auf diesen Moment zurückblickte, musste ich unwillkürlich über mich schmunzeln. Zu diesem Zeitpunkt hatte bereits die Angst einem wundervollen Gefühl der Freiheit in mir Platz gemacht. Zudem begann ich zu begreifen, dass Freiheit Raum für Veränderungen schafft: Weit entfernt von allen gewohnten Menschen, Orten und sonstigen externen Einflüssen, blieb nur noch eine feste Konstante in meinem Leben: ich selbst. Alles, was mir hier in Deutschland in meinem Leben widerstrebt hatte, veränderte sich in Toulouse ganz natürlicherweise, ohne eigenes Zutun oder Anstrengung. Vorsätze wie mehr leben, mehr loslassen, mehr Zeit draußen verbringen, mich offener auf andere Menschen einlassen, mehr Toleranz üben, dies alles blieb in der Heimat stets Utopie und wurde dort zur Realität. Wie ich es geschafft hatte, die Angst in Freude zu verwandeln? Ich warte noch heute auf den magischen Entlein- Schwan-Moment. Offensichtlich kann es nicht einen fest definierten Wendepunkt geben, vielmehr unterlag ich einem Prozess der Veränderung, auf dem mir lieb gewordene Menschen ihre Weisheiten mit mir teilten. So erkannte ich schließlich das riesige Paket an Vorurteilen, mit denen ich angereist war und welches mir so beharrlich an den Fersen klebte. Meinen Alltag in einem internationalen Freundeskreis, mit Menschen aus vielen verschiedenen Kulturen zu teilen, bedeutete für mich die Bestätigung, wie ähnlich wir Weltenbürger uns alle sind. Schließlich teilen junge Spanierinnen, Italiener, Französinnen und Deutsche Hoffnungen und Träume, Ängste und Wünsche. Die Grenzen unseres Heimatlandes lassen uns dies allzu schnell vergessen. Und sobald ich bereit und offen für Andersartigkeit war, veränderte der ständige Vorgang des Lernens und Lehrens von und mit meinen Freunden meine Weltsicht. Wer davon träumt, sich selbst neu zu erfinden, sollte einen Auslandsaufenthalt ernsthaft in Erwägung ziehen. Es sei allerdings nicht vergessen, dass das größte Hindernis bei dieser Wiedergeburt eigentlich immer der eigene Schatten ist, über den wir erst springen müssen. Folglich ist bei dieser Metamorphose keine Magie am Werk, sondern, ganz banal, nur der eigene Verstand.

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