Au revoir, altes Leben Leben – Bonjour, neues Ich?
Reisen bringt in jedem Fall Veränderung, meint Laura Knecht
Ja, ich gehöre dazu, zu dem nicht enden
wollenden Strom von jungen Erwachsenen,
die hinaus wollen in die weite
Welt – und das nicht nur virtuell. Die für
ein halbes oder ein ganzes Jahr dem gewohnten
Leben in der Heimat entfliehen.
Die hoffen, sich selbst ein kleines Stück
näher zu kommen, indem sie sich von ihrem
Lebensmittelpunkt entfernen.
Ich hatte mein Leben in einem 60-Liter-
Reiserucksack verstaut, setzte mich in
ein Flugzeug und fand mich nach der
Landung furchtbar allein im Süden
Frankreichs, in Toulouse, wieder. "La Ville
Rose" wird die Stadt genannt wegen ihrer
Backsteinhäuser, die in einem rosa
Farbton erscheinen, wenn die Sonne darauf
fällt. Strahlender Sonnenschein
konnte kurzzeitig zwar trösten, aber heilte
leider doch nicht alle Wunden. Es hieß,
mich alleine durchzuschlagen, auf die
Jagd nach einem Bett für die Nacht und
etwas Verständnis zu gehen. Als ich
abends im Hostelbett an die erdrückende
Decke starrte, verfluchte ich leise Hollywood,
welches einem weis macht, dass
man binnen weniger Stunden über sich
hinaus wachsen und alles unmöglich Erscheinende
meistern kann. Ich hingegen
fühlte statt mir wachsenden Flügeln nur
eines: Angst.
Utopie wird zur Realität
Als ich Monate später auf diesen Moment
zurückblickte, musste ich unwillkürlich
über mich schmunzeln. Zu diesem Zeitpunkt
hatte bereits die Angst einem wundervollen
Gefühl der Freiheit in mir Platz
gemacht. Zudem begann ich zu begreifen,
dass Freiheit Raum für Veränderungen
schafft: Weit entfernt von allen gewohnten
Menschen, Orten und sonstigen externen
Einflüssen, blieb nur noch eine feste
Konstante in meinem Leben: ich selbst.
Alles, was mir hier in Deutschland in
meinem Leben widerstrebt hatte, veränderte
sich in Toulouse ganz natürlicherweise,
ohne eigenes Zutun oder Anstrengung.
Vorsätze wie mehr leben, mehr loslassen,
mehr Zeit draußen verbringen,
mich offener auf andere Menschen einlassen,
mehr Toleranz üben, dies alles
blieb in der Heimat stets Utopie und wurde
dort zur Realität.
Wie ich es geschafft hatte, die Angst in
Freude zu verwandeln? Ich warte noch
heute auf den magischen Entlein-
Schwan-Moment. Offensichtlich kann es
nicht einen fest definierten Wendepunkt
geben, vielmehr unterlag ich einem Prozess
der Veränderung, auf dem mir lieb
gewordene Menschen ihre Weisheiten
mit mir teilten. So erkannte ich schließlich
das riesige Paket an Vorurteilen, mit
denen ich angereist war und welches mir
so beharrlich an den Fersen klebte. Meinen
Alltag in einem internationalen
Freundeskreis, mit Menschen aus vielen
verschiedenen Kulturen zu teilen, bedeutete
für mich die Bestätigung, wie ähnlich
wir Weltenbürger uns alle sind. Schließlich
teilen junge Spanierinnen, Italiener,
Französinnen und Deutsche Hoffnungen
und Träume, Ängste und Wünsche. Die
Grenzen unseres Heimatlandes lassen
uns dies allzu schnell vergessen. Und sobald
ich bereit und offen für Andersartigkeit
war, veränderte der ständige Vorgang
des Lernens und Lehrens von und
mit meinen Freunden meine Weltsicht.
Wer davon träumt, sich selbst neu zu
erfinden, sollte einen Auslandsaufenthalt
ernsthaft in Erwägung ziehen. Es sei
allerdings nicht vergessen, dass das
größte Hindernis bei dieser Wiedergeburt
eigentlich immer der eigene Schatten
ist, über den wir erst springen müssen.
Folglich ist bei dieser Metamorphose
keine Magie am Werk, sondern, ganz
banal, nur der eigene Verstand.
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