Wer ist die "ideale" Frau?
Eine Hommage ans Anders-Sein. Christin Thomsen zeigt uns, wie es geht
Probleme der Idealisierung" nannte
die renommierte, vor zwei Jahren verstorbene
Psychoanalytikerin Margarete
Mitscherlich ihren Aufsatz in dem 1978
erschienenen Sammelband "Das Ende
der Vorbilder. Vom Nutzen und Nachteil
der Idealisierung" (Piper, München 1978.
Antiquarisch erhältlich). Sie beschreibt
darin wichtige Funktionen der Idealisierung
für unsere Persönlichkeitsentwicklung,
aber auch die Gefahren, die von
misslungenen Idealisierungsprozessen
ausgehen können. Die Selbstidealisierung
des Kleinkinds und die Idealisierung
der Eltern sind Teil einer normalen
Persönlichkeitsentwicklung. Diese beiden
frühkindlichen Entwicklungsphasen
ermöglichen uns einerseits, zu spüren,
wer wir sind, und uns andererseits
an die grundlegenden
Werte unserer Gesellschaft
anzupassen.
Idole als Kompensation
eigener Minderwertigkeitsgefühle
Die Ausbildung einer angemessenen
Selbstachtung sei
die Voraussetzung dafür,
dass wir uns mit anderen in
einer Gruppe zusammenschließen
können, ohne uns
in ihr zu verlieren. Als Gegenbild
zu dieser gelungenen
Form der Gruppeninteraktion
skizziert die Wissenschaftlerin
am Beispiel der
Geschichte von Nazi-
Deutschland die Gefahr der
Idealisierung von Personen
und ihren Werten auf der
Grundlage eines schwachen,
angstvollen und gekränkten
Selbstgefühls.
Dann erfolgen die Idealisierung
von "Führern" und die
rigide Identifikation mit ihren Werten als
Abwehr innerer Ängste, die unbewusst
bleiben. Alles von diesen Werten Abweichende
werde dann verteufelt, setze destruktive
Kräfte frei und ermögliche amoralisches
Handeln ohne schlechtes Gewissen.
So seien auch die Gräueltaten
"normaler" Bürger im "Dritten Reich" zu
erklären.
Ideale geben dem eigenen
Leben einen Sinn
Die Fähigkeit, Ideale finden zu können,
spielt eine wichtige Rolle im seelischen
Haushalt eines jeden Menschen, konstatiert
die Psychoanalytikerin. Gelingt dies
nicht, empfinden die Menschen ein Gefühl
der Leere und der Sinnlosigkeit und
verlieren das Interesse an der Welt und
den Menschen. Dabei genüge es nicht,
bestimmte Ideale zu besitzen, um die eigene
Selbstachtung zu stabilisieren; man
müsse schon in der Lage sein, sie zumindest
teilweise zu verwirklichen. Unsere
persönlichen Ideale auszuwählen und sie
im eigenen Leben umzusetzen, gibt unserem
Leben Sinn und stärkt die Selbstachtung.
Ideale motivieren uns
Auch unsere Liebesfähigkeit hängt in
wesentlichem Maß davon ab, inwieweit
wir in der geliebten Person wenigstens
eine teilweise Realisierung unserer Ideale
sehen können und unsere Arbeitsfähigkeit
wird wesentlich davon beeinflusst,
in welchem Maß wir etwas tun
können, was wir für wertvoll und hilfreich
halten. Die idealtypischen Werte,
die wir uns zu Eigen machen, verbinden
uns mit anderen Menschen und mit dem,
was wir als unsere Aufgabe im Leben sehen
wollen. Sie motivieren uns, das zu erreichen,
was wir für uns persönlich als
wichtig ansehen.
Ideale als Weg zu einem
glücklichen Leben?
Davon, wie Menschen sich zu ihren Idealen
verhalten, hängt ihre Lebenszufriedenheit
und ihr Lebensglück zu einem
nicht unwesentlichen Teil ab, aber auch
davon, wie die Gesellschaft als Ganzes zu
ihren Idealen steht. Nimmt sie ihre eigenen
Ideale nicht ernst, verhält sie sich
zwiespältig oder hat sich gegenseitig
ausschließende Ideale, so führt dies bei
ihren Mitgliedern oft zu Wut, Enttäuschung
und Resignation.
Text: Gerlind Sommer
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