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MATHILDE

Negativ-Handabdruck in der prähistorischen Höhle Pech Merle bei Cabrerets, Region Midi-Pyrénées, Frankreich. Foto: Wikimedia Commons

Die Zyklen der Erde feiern

Gewünscht: ein sicherer Platz für Frauen, die ihre Spiritualität leben wollen

Virginia Woolf wünschte sich in einem 1929 erschienen Essay ein Zimmer für sich allein. Das was ich mir wünsche, ist nicht weniger revolutionär: einen sicheren Platz für Frauen, die die Göttin feiern wollen. Seit einigen Jahren hat sich unter Frauen eine eigene Spiritualität entwickelt, die sich an den Zyklen der Natur orientiert, an unserer verschütteten Vorgeschichte, und die das eigene Erleben in den Wandel der Zeit integriert. KritikerInnen gibt es natürlich zuhauf, aber die weltweit anerkannten Religionen haben kein exklusives Recht auf Glauben und beweisen selbst ihre Glaubensinhalte nicht. In Deutschland haben wir die Freiheit zu glauben, was wir wollen! Machen wir davon Gebrauch. Erstes Bild: Ich bin zu Weihnachten in der katholischen Kirche. Hier fühle ich mich nicht wohl. Inzwischen habe ich längst erkannt, dass die Kirche einer der Grundpfeiler des Patriarchats ist: Die Jungfrauengeburt, die Erbsünde, die Verweigerung des Priesteramtes für Frauen, die fehlende Aufarbeitung der Hexenverbrennungen, das Schweigen, das Frauen einhalten sollen, die hierarchische Struktur etc. Die Hoffnung, dass sich da noch was ändert, habe ich nicht mehr. Falls es doch mal einen weiblichen Papst gibt, werde ich das nochmal überdenken. Der Kirchenraum ist bedrückend, die Lieder sind altbacken, sogar die neuen Lieder benutzen keine gendergerechte Sprache, vom Pfarrer ganz zu schweigen. Am Rand der Gänge hängt Jesus immer noch und leidet. Seitlich sind die Beichtstühle, die ein kirchlich geprüftes Gewissen garantieren sollen. Vorne ist das Folterinstrument, an dem Jesus gestorben ist, an die Wand gemalt. Zwar gibt es abseits eine kleine Marienecke, aber für mich wird die Kirche dadurch nicht heimeliger. Hier geht es darum "Macht über Leute" zu etablieren, auch wenn heute nur von der Liebe gesprochen wird. Was genau ein unverheirateter Mann damit meinen könnte, bleibt mir unklar. Zweites Bild: Einige Frauen und ich sind sehr früh aufgestanden. Wir wollen einen bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit erreichen, um unser Ritual zu feiern. Ich fühle mich angekommen und angenommen. Leider habe ich keine guten Schuhe, so dass der Weg durch den feuchten Wald und hinterher die Kälte mir doch zu schaffen machen. Wir feiern eines der Jahreszeitenfeste. Wir selbst sind Teil der Erde und auch im Mittelpunkt des Geschehens, denn wir wandern durch die Zeit und haben auch einen Zyklus. Ein offenes Feuer zu machen, ist für mich neu und fremd. Ich habe Angst, ob das erlaubt ist, obwohl es hinterher regnet wie aus Eimern. Außerdem befürchte ich, dass Leute vorbeikommen und an unserem Handeln Anstoß nehmen könnten und Ärger machen. Drittes Bild: In mir entsteht der Wunsch, meine Spiritualität zu leben. Wir brauchen einen Raum, in dem Statuen von Göttinnen stehen. Dort könnten wir Kerzen anzünden und meditieren. Falls der Raum nicht nur zur Andacht geplant ist, sondern auch um Feste zu feiern, brauchen wir auch ein Bad für uns selbst. Mit bunten Tüchern könnten wir je nach Jahreszeit die Göttin schmücken. Bilder von Göttinnen an der Wand wären schön. Es gibt schon viele schöne Gemälde, die die Göttin darstellen und die von Frauen gemalt wurden. Dieser Raum braucht einen Garten. Eine sichere Feuerstelle ist nötig, außerdem ein Labyrinth mit sieben Gängen. Im Garten stünde eine Linde. Büsche schützen vor neugierigen Blicken. Ich stelle mir vor, dass an einer Seite eine überhängende Wand gebaut wurde, wo ein farbenfrohes Bild gemalt ist, wie wir es von den Höhlenmalereien kennen. Dort würde ich gerne meinen bunten Handabdruck hinterlassen, um zu zeigen: Ich war da und habe meditiert und gesungen, meine Ahninnen geehrt und die Zyklen der Erde, die unsere Mutter ist, gefeiert.

Text: Christiane Schäfer

 

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