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In dieser Dorfschule, gemalt von Albert Anker (1896), saßen die Mädchen noch brav am Rand. Abbildung: Wikiart (public domain)

Frauenbildungs-Räume

Zukunftswerkstatt oder Relikt aus der Vergangenheit?

Ein "Zimmer für sich allein" (Virginia Woolf), ungestörtes Nachdenken und Lernen sowie finanzielle Unabhängigkeit sind die tragenden Säulen, auf denen die Frauenbildung und damit auch materielle Gleichstellung der Frauen seit jeher ruht. Diese Rahmenbedingungen haben sich hierzulande im frühen Mittelalter religiöse Kloster- und Beginengemeinschaften verschafft. Die Klöster waren die ersten und einzigen Bildungsträger, die zunächst ausschließlich Männern, später aber auch Frauen, einen Zugang zu Unterricht und wissenschaftlicher Lehre ermöglicht haben. Nonnen und gebildete Frauen aus dem Bürgertum gründeten Mädchenschulen für berufliche und höhere Bildung. Diese Einrichtungen verfolgten von Anfang an auch das Ziel, Mädchen nicht nur für die eheliche Haushaltsführung, sondern auch für eine eigene berufliche Tätigkeit zu auszubilden, die ihnen ein Überleben auch ohne Ehemann ermöglichen sollte. Die heute noch bekannten Geschlechtsstereotype, Frauen seien eher für Arbeiten im Bereich des Sozialen und Zwischenmenschlichen geeignet und zur Übernahme von Verantwortung im Handel, in der Politik oder gar für militärische Aufgaben nicht in der Lage, schlossen Mädchen und Frauen über Jahrhunderte von vielen Bildungsbereichen und Berufen aus. Der Männer-Mangel, der infolge zweier Weltkriege entstand, hat das Blatt – zumindest für die Kriegs- und Nachkriegsjahre vorübergehend – gewendet: Frauen übernahmen die Betriebe und Berufe ihrer Männer, damit das Leben weitergehen konnte. Sie arbeiteten als Geschäftsfrauen, in Fabriken, in Bergwerken, als Feuerwehrfrauen und in vielen anderen Berufen, die ihnen zuvor nicht offen standen. Als es wieder genügend männliche Bewerber gab, konnte das "Rad der Geschichte" ein Stück weit, aber nicht mehr ganz zurückgedreht werden. Frauen gewannen immer mehr den Zugang zu Berufen, die bisher nur Männern vorbehalten waren. In die Zeit um die Jahrhundertwende fallen auch bildungsgeschichtlich die "Meilensteine" der Frauenemanzipation: Die ersten Mädchen legen das Abitur ab, beginnen ein Studium an einer Universität und schließen mit einem akademischen Titel ab. Getragen von der zweiten Welle der Frauenbewegung in den späten sechziger Jahren entstanden zahlreiche Frauenschulen, Frauengesundheitszentren, Frauenbildungshäuser und innerhalb der Hochschulen und Fachhochschulen bildeten sich Frauenstudienzweige heraus, die sich speziell dem weiblichen Blickwinkel auf ein Fach widmeten. Viele der damals entstandenen Einrichtungen und Studienzweige gibt es heute nicht mehr oder sie fristen ein Nischendasein. Das ist zum einen darauf zurückzuführen, dass die Anliegen der "Frauenstudien" inzwischen von den etablierten Institutionen zumindest teilweise aufgenommen worden sind. Die Lehrpläne, Studien- und allgemeinen Bildungsangebote haben sich verändert. Viel mehr Frauen unterrichten heute an Fachhochschulen, Universitäten, Volkshochschulen und bei anderen Bildungsträgern, und sie haben dazu beigetragen, die Lehrinhalte und die Art der Erarbeitung und Aneignung von Wissen zu verändern. Damit diese Entwicklung Bestand hat, ist es weiterhin erforderlich, frauenbezogene Lehr- und Forschungsschwerpunkte fest in Universitäten zu verankern. Beispiele für gendergerechte Bildungsangebote sind die "offene Universität" in Hannover, in der sich Frauen berufsbegleitend fortbilden können sowie die Frauen-Sommer-Universitäten in Wien, Bremen, Dresden und vielen anderen Universitätsstädten. Welche Gründe sprechen heute für spezielle Frauen-Bildungsräume? Es gibt immer noch die "blinden" Flecken in der "herrschenden Lehre", die weibliche Geschichte und Erfahrung unterschlägt, missdeutet oder schlicht uninteressant findet. Frauengeschichtsprojekte fördern neues historisches Wissen zutage und geben den Frauen ihre Würde als Subjekte der Geschichte zurück. Frauenferienund Bildungshäuser dienen nach wie vor als Rückzugsorte und Experimentierfelder für spezifisch weibliche Lebensentwürfe. Frauengesundheitszentren haben einen völlig anderen Zugang zu ihren Klientinnen als die Schulmedizin und können vielfach helfen, wo diese versagt. Sie integrieren Wissensgebiete, die von der herrschenden Lehre als "unwissenschaftlich" diffamiert werden, und legen damit ihrer Arbeit einen umfassenderen Wissenschaftsbegriff zugrunde.

Text: Gerlind Sommer

 

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