Prostitution verbieten?
Die Zahl der Prostituierten wird in Deutschland auf 500.000 und mehr geschätzt, etwa 90 Prozent
sind Armuts- und Zwangsprostituierte.
Prostitution ist nicht das "älteste Gewerbe
der Welt", wie oft behauptet wird. In
frühen, laut archäologischen Funden egalitären
Gesellschaften, lebten die Menschen
sexuell frei, für eine Bezahlung von
Sex gab es keine Basis. Diese Information
wird untermauert durch die Situation in
heutigen matriarchalen Gesellschaften,
denen die UNESCO im März 2012 in Paris
eine Ausstellung gewidmet hat. Die Ausstellung
zeigte, dass matriarchale Gesellschaften,
die außer in Europa noch in allen
Erdteilen existieren, weder sexuelle
Ausbeutung kennen, noch in ihrer Sprache
ein Wort für Prostitution besitzen.
Prostitution konnte erst im Patriarchat
entstehen (ab etwa 3000 v. u. Z.), als
Frauen entmündigt wurden und durch
Versklavung oder ihre Rechtlosigkeit in
der patriarchalen Ehe die Selbstbestimmung
über ihren Körper verloren.
Die ältesten Bordelle soll es im antiken
Griechenland und im alten Rom gegeben
haben. Im Christentum wurde die
Freude an der Sexualität zur Sünde, erlaubt
war sie nur zur ehelichen Fortpflanzung.
Prostituierte wurden als "Tor des
Teufels" gebrandmarkt und als Hexen
verdammt.
Im Mittelalter waren Prostituierte in
Zünften organisiert. Wie in Zünften üblich,
galt eine Kleiderordnung, die für sie
zur Stigmatisierung führte. Man zeigte
mit dem Finger auf die Frauen mit roter
Mütze oder gelbem Rocksaum. Heute
unterliegen Prostituierte keiner Kleidervorschrift
mehr – im Gegenteil: Außer im
Straßenstrich wollen viele von ihnen
nicht erkannt werden.
1949 brachten die Vereinten Nationen
eine Konvention ein und forderten
die Bestrafung aller, die von Prostitution
profitierten. In der Bundesrepublik wurde
Prostitution nicht verboten, galt aber
als sittenwidrig. Den gesellschaftlichen
Makel trug stets die Hure, nie der Freier.
Durch die 2002 von der rot/grünen Regierung
verabschiedete Reform sollte
Prostitution ein "Beruf wie jeder andere"
werden. Die Liberalisierung hat den Frauen
wenig geholfen, auf der anderen Seite
aber dazu beigetragen, dass Deutschland
zur Drehscheibe des Frauenhandels
und Prostitution zum Massenphänomen
wurde. Es gibt zahlreiche Großbordelle
mit Niedrigtarifen. Neben dem Waffenund
Drogenhandel wird hier das meiste
Geld verdient, der Jahresumsatz in
Deutschland wird auf rund 15 Milliarden
Euro geschätzt. Die Prostituierten selbst
haben am wenigsten davon. Sie tragen
hohe Kosten, schon für ein mieses Zimmer
im Bordell zahlen sie etwa 4.800 Euro
im Monat. Nach internationalen Studien
wurden über 90 Prozent aller Prostituierten
bereits als Mädchen sexuell
missbraucht, wohl auch viele der "freiwilligen"
Huren, die eklatant in der Minderheit
sind.
Ein deutscher Skandal?
Alice Schwarzer, Herausgeberin von EMMA,
hat 2013 einen "Appell gegen Prostitution"
gestartet, der von vielen – auch
prominenten Personen – unterschrieben
wurde. Sie hält Prostitution für einen Verstoß
gegen die Menschenwürde, sie fordert
ihre Abschaffung und die Bestrafung
der Sexkäufer.
Auch Terre des Femmes bewertet
Prostitution als Ausdruck eines Machtungleichgewichts
zwischen den Geschlechtern
und somit Kennzeichen des Patriarchats
und würde sie gerne abschaffen,
sieht ihre Kriminalisierung und die Bestrafung
der Freier aber nicht als geeignete
Maßnahme an. Diese Organisation
hat den Appell nicht unterschrieben, genauso
wenig wie der deutsche Frauenrat
und das Missy Magazin. Letzteres argumentiert
gegen die Gleichsetzung von
Sexarbeit und Menschenhandel, da es
Prostituierte stigmatisiere, anstatt ihnen zu
helfen; nicht alle Sexarbeiterinnen seien
Opfer.
Die Macherinnen von Pinkstinks (Kampagne
gegen die "Rosa-Kultur" von Mädchen)
halten nicht jede Form der Prostitution
für menschenverachtend und finden,
dass es Frauen nicht zugestanden wird, ihre
Sexualität selbst zu definieren oder Prostitution
sogar als ermächtigend zu erleben,
solange selbstbestimmte Prostitution als
unmöglich gesehen wird.
In dem 2013 erschienenen Buch "Prostitution
– ein deutscher Skandal" (herausgegeben
von Alice Schwarzer) wird das Thema
unter vielen Aspekten behandelt. Auch ein
Polizeikommissar kommt zu Wort (S. 115).
Er sieht den entscheidenden Fehler des Prostitutionsgesetzes
darin, dass es von "Partnern
auf Augenhöhe" ausgeht – eine Verkennung
der Lage, denn die meisten Frauen,
mit denen er es zu tun habe, seien
eingeschüchtert, hilflos und von einem Zuhälter
abhängig. Er befürwortet das schwedische
Modell, das den Kauf von sexuellen
Dienstleistungen bestraft und findet es
wichtig, dass in einem Land – wie in Schweden
– Prostitution nicht als gesellschaftsfähig
gilt.
Die Sozialarbeiterin Sabine Constabel
aus Stuttgart (S. 307) sieht die Ursache der
Armutsprostitution vor allem im Wohlstandsgefälle
in Europa. Sie fordert unter
anderem ein Bleiberecht für Zwangsprostituierte,
bessere Ausstiegshilfen und eine
Verschärfung der Tatbestände zum Menschenhandel.
Zwangslage der Opfer im Focus
In Frankreich sollen Freier künftig für gekauften
Sex bestraft werden. Die Nationalversammlung
stimmte im Dezember 2013
für die umstrittenen neuen Regelungen zur
Prostitution.
So weit wollen CDU und SPD hierzulande
nicht gehen. In Deutschland soll die Rotlicht-
Branche stärker kontrolliert werden.
Gegen Männer, die "wissentlich und willentlich
die Zwangslage der Opfer von Menschenhandel
und Zwangsprostitution ausnutzen
und diese zu sexuellen Handlungen
missbrauchen", werde man künftig vorgehen,
heißt es im Koalitionsvertrag. Das ist
ein erster Schritt, der aber von einer Abschaffung
der Prostitution, die ja auch negative
Folgen für das allgemeine Bild der
Frau in der Gesellschaft hat, noch weit entfernt
ist. Zu klären wäre auch die Frage, wie
denn der Begriff "wissentliche und willentliche
Ausnutzung" zu definieren ist.
Text: Barbara Obermüller
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