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MATHILDE

Polarnacht-Anlandung | Hurtigschiff MS Nordnorge | Gespenstisches Nordlicht | Auf dem Panoramadeck, vor Wind und Wetter geschützt.

Fotos: Barbara Linnenbrügger

himmelsfarben
schleierlichter
segeln sanft
in himmlischen sphären
botinnen aus dem all
sehnsucht

Barbara Linnenbrügger

 

Sehnsucht nach dem hohen Norden

Eine Reise mit dem Postschiff durch Norwegens Fjorde

Mein Traum ist es schon lange, einmal in den hohen Norden zu fahren, eine Schiffsreise durch norwegische Fjorde soll es sein, und vor allem möchte ich Nordlichter sehen. Schon seit meinen frühen Kindheitstagen ist das Familienurlaubsziel immer der Nordseestrand, der weite Blick, das Einfache und Schlichte der Landschaft. Der Reiz liegt darin, gerade dort Besonderes zu entdecken. Einfach nur dasitzen und schauen. Die Seele baumelt. Das war die Seeligkeit meiner Kindertage und ist es bis heute. So mache ich mich auf nach Norwegen. Diese Reise habe ich meiner Mutter gewidmet. Wir wollten sie zusammen machen, aber dann ist sie leider gestorben. Nun bin ich zusammen mit Freundin Hanne unterwegs in die Polarnacht. Bergen – Kirkenes – Bergen auf der MS Nordnorge ist unsere gebuchte Hurtigrute im Januar 2012. Das Motto der Reise: "Hunting the light".

Impressionen im Polarkreis

Im Panoramaraum sitzend sehen wir die karge Landschaft an uns vorüber ziehen, die See ist spiegelglatt. Es ist vier Uhr nachmittags und fast dunkel. Die Sonne geht hier in Trondheim so um acht Uhr auf und gegen fünfzehn Uhr unter. Und bald wird es keine Sonne mehr am Himmel geben – Polarnacht. Wir schippern gemächlich gen Norden. Die Landschaft ist rauh und kahl, das Meer weit und zum Glück ruhig. In den frühen Morgenstunden des dritten Reisetages fahren wir in den Polarkreis hinein. Eine Stimmung wie bei uns in der nachmittäglichen Adventszeit. Sobald am Meeresufer menschliche Siedlungen in Sicht kommen, sehen wir die Lichter in den Häusern, auf den Straßen, überall. Und das sieht aus wie die kleinen, weihnachtlichen Zuckerhäuser mit Lichterkette. Rundgänge auf Deck 5 sind immer wieder toll. Ich zähle einmal herum 365 Schritte! Mittlerweile füllt sich der Mond und silbert das Wasser wunderbar. Vorne am Bug ist es oft nicht auszuhalten mit dem Wind. Die Stimmung animiert mich, Heilungsmantras in den Wind zu singen. Einige Unentwegte stehen ganz still in meiner Nähe. Die Felsen werden nordwärts höher und kantiger. Das Schiff stampft unbeirrt durch die See, es fühlt sich sehr zuverlässig an. Ich freue mich aufs Bett, schlafe in meiner Kabine wunderbar geborgen, bin aber jederzeit bereit für Nordlichter aufzustehen, die Nordlicht-Weck-Hotline ist geschaltet.

Vollmond-Fahrt durch den Raftsund

Eines meiner stärksten Reiseerlebnisse ist die Fahrt durch den Raftsund. Diese Meeresenge ist die Grenze zwischen den Inselgruppen Vesteralen und Lofoten. Wir erleben die nächtliche Durchfahrt bei ganz seltener Wetterlage in dieser Jahreszeit. Das Meer ist spiegelglatt, das Schiff gleitet lautlos und ruhig Richtung Norden. Der Kapitän hat fast alle Lichter an Bord gelöscht, so können wir das Naturschauspiel genießen. Links und rechts, manchmal nur zwei Schiffsbreiten entfernt, steil aufragende oder sanft schwingende Felsformationen, leicht von Schnee überzuckert. Manchmal ein Schneefelsen in der Mitte des Wassers. Das Schiff wird ruhig und geschickt drumherum gesteuert. Über allem sternenklarer Himmel. Der Fastvollmond taucht alles in silbriges Licht. Ich stehe mit vielen Mitreisenden ganz vorne auf Deck 5 und schaue und genieße. Es ist ganz still, niemand spricht, nur manchmal wird flüsternd den Gefühlen Ausdruck verliehen. Und dann erscheinen vor uns grün schimmernde Nordlichter – zauberhaft, unwirklich, aber wahr. Jetzt weiß ich, dass es sie wirklich gibt. Jetzt weiß ich: es gibt Sonne, Mond und Sterne ... und Nordlichter am Himmel.

Landausflug in Tromsö

Als norwegische Stadt hat mich Tromsö fasziniert. Ein organisierter Landausflug gibt uns touristische Einblicke. Um zwei Uhr mittags geht es los. Vorher setzt schon die Abenddämmerung ein, sodass es eine "Nacht"-Tour wird. Sehr informativ und kurzweilig. Wir fahren ins Polar-Museum. Dort werden wir mit einem grandiosen Breitwandkino-Film begrüßt: Wir fliegen mit einem Vogel nach Spitzbergen übers Meer, über Gletscher und Tundren, durch riesige Fels- und Eisschluchten. Bei der Stadtrundfahrt schweifen meine Gedanken immer wieder ab ins Leere. Ich lasse die Stadt mit ihren tausenden Lichtern einfach so auf mich wirken. Elektrizität haben sie hier im Überfluss: Alles, aber auch alles, ist innen und außen hell erleuchtet. Und immer wieder grandiose Ausblicke auf die Stadt und die Bucht und die rundherum liegenden schneebedeckten Berge. Zum Abschluss fahren wir über die abenteuerlich hohe Sundbrücke zur Eismeerkirche – ein unübersehbares Wahrzeichen der Stadt, von beeindruckender Architektur. Innen hat sie eine grandiose Akustik – ich freue mich schon auf das Mitternachtskonzert, das wir auf der Rückreise besuchen.

Begegnung mit der deutschen Vergangenheit

Im Stadtprospekt von Kirkenes ist zu lesen, dass es ein Kriegsmütterdenkmal gibt. Der Guide war hoch begeistert von meiner Frage danach und nahm es dankend zum Anlass, ausführlich über die norwegische Kriegsgeschichte und die Erfahrungen mit Hitler-Deutschland zu sprechen. Einige deutsche Mitreisende macht dies sichtlich missgestimmt - mir egal, da müssen sie durch! Das Kriegsmütterdenkmal zeigt eine Frau mit Kindern auf der Flucht in den Bunker und würdigt die Arbeit der Mütter, die sie in diesen fürchterlichen Jahren geleistet haben. Es tut mir sehr leid, dass das alles geschehen ist, und es ist wundervoll, dass diese Menschen uns Deutschen hier so freundlich begegnen. Dafür kann ich nur danken. Die Nazis haben Norwegen über drei Jahre besetzt gehalten und beim Rückzug umfassend das Prinzip verbrannte Erde verfolgt - ich schäme mich für dieses Deutschland! Jetzt begegnen wir immer wieder NorwegerInnen, die ihre traumatischen Kriegskindheitserlebnisse erzählen. Unser Reiseleiter ist ganz gerührt von unserem Interesse an der Kriegsgeschichte. Ihm steigen Tränen in die Augen, als er von seiner Familie erzählt. Mein Gefühl ist, dass es gut ist zu sprechen, dass es verbindet. Reden ist besser als schweigen.

Es ist und bleibt eine Winterreise

Der Schiffsmotor ist unentwegt vorwärtsdrängend. Im ewigen Gleichmaß dröhnt er den ganzen Tag lang. Ich nehme ihn aber eigentlich nur in der Kabine wahr, und da begleitet mich das Brummen heimelig in den Schlaf. Am späten Nachmittag beschert mir zunehmender Seegang dann ein nicht gegessenes Abendessen, aber ein wohliges frühes Zubettgehen. Bei dem Seegang schlafe ich einfach wunderbar. Nach Verlassen des Hafens in Rörvik auf der Rückroute unserer Reise kommt die Aufforderung über den Lautsprecher, alles in den Kabinen an einen sicheren Platz zu stellen. Wir fahren jetzt ein Stück über die offene See, und es ist stürmisches Wetter angesagt. Aber, so unser netter Reiseleiter: "Sie brauchen nichts extra bezahlen, es ist alles im Preis inbegriffen!" Na dann: Gute Nacht. So bekommen wir im letzten Teil unserer Reise doch noch einen Eindruck von der nördlichen Winterzeit. Es ist eine bewegte Rückfahrt bis Bergen.

Eine wunderbare Reise geht zu Ende

Beeindruckend das Naturschauspiel, wie schön doch unsere Erde ist. Schrecklich und beschämend wieder einmal mitbekommen zu haben, was für Grausamkeiten Deutsche während der Nazi-Zeit auch diesem Land und seinen Menschen angetan haben. Und dann ist mir noch etwas klar geworden: diese Reise wollte meine Mutter gewiss nicht machen, nicht im Winter. Sie wollte Norwegens Küste im Sommer erleben, wenn alles sonnig und grün und warm ist, auch wenn es dann keine Nordlichter gibt. Also: nach der Reise ist vor der Reise - Norwegen, ich komme wieder!

Text: Barbara Linnenbrügger

 

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