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MATHILDE

Isabell (re.) in der Kibuzz-Molkerei.

Naomi beim Kneten des Sabbatbrotes.

Sylvie auf dem Schulgelände ihres Dorfes,
8 km von Gaza entfernt.

Barbara Linnenbrügger blickt über Jerusalem.

Alle Fotos: privat

Zehn Tage durch Israel. Momentaufnahmen

Ein Reisebericht von Barbara Linnenbrügger

Der letzte Tag meiner Reise. Auf Einladung der jüdischen Familie Oppenheimer, über deren Mutter, Margarete Oppenheimer-Krämer, ich ein Buch schreibe (siehe S. 17), bin ich zehn Tage durch Israel und ein bisschen auch durch Palästina/Westjordanland gereist. Ich sitze auf der Mauer an der Promenade in Talpiot unter strahlend blauem Himmel und denke zurück an die beeindruckendsten Erlebnisse und Erfahrungen der letzten Tage. Was habe ich über das Leben der Jüdinnen/Israelitinnen in diesem Land erfahren?

Besuch im Kibbuz Sede Eliyahu

Ein herzliches Wiedersehen mit Isabell. In ihrer Mittagspause zeigt sie mir ein bisschen von ihrem Leben und Arbeiten im Kibbuz im Norden von Israel, südlich vom See Genezareth. Das Leben im Kibbuz orientiert sich an gemeinschaftlicher Organisation aller Aspekte. So machen wir erst einmal einen Rundgang durch die Wäscherei, den Bügelraum, die Molkerei und die Großküche. Alles bekommen die rund 800 Menschen, die fest im Kibbuz leben, aus dem gemeinsamen Topf: Kleidung, Essen, ein geräumiges Wohnhaus und einen monatlichen Geldbetrag von ca. 600 € pro Familie zur freien Verfügung. Autos stehen zum gemeinschaftlichen Gebrauch auf dem Parkplatz am Eingang zum Kibbuz.

Im Eingangsbereich des großen Gemeinschaftshauses gibt es Infotafeln für vielfältige Nachrichten: Geburten und Sterbefälle sind genauso zu erfahren, wie der Arbeitsplan. Dann geht es in den Mensa-ähnlichen Speisesaal, wo ein köstliches Essen auf uns wartet. Es wird koscher gekocht. Vor dem Gemeinschaftshaus ein Parkplatz für Fahrräder wie für Rollatoren, denn auch die Alten haben ihren Platz im Kibbuz. Am großen Dorfplatz, an dem das Gemeinschaftshaus steht, befinden sich auch die Synagoge, der Spielplatz für die Kinder und die Schule.Isabell berichtet, dass heute das Leben im Kibbuz mehr auf die einzelnen Familien ausgerichtet ist. Sabbat feiern heute die meisten bei sich zu Hause. Das gemeinschaftliche Leben bezieht sich mehr auf die Organisations- und Arbeitsbereiche.

Isabell hat drei Kinder, zwei sind derzeit beim Militär. Sie arbeitet als Biologin im Kibuzzprojekt "Bio- Fly" im Labor. Im Kibbuz wurde ein Verfahren entwickelt, das männliche Fruchtfliegen in einem komplizierten biologischen Verfahren sterilisiert. Wenn die Männchen ausgesetzt werden, paaren sie sich zwar mit den Weibchen, diese vermehren sich aber nicht. Es geht darum, den Pestizideinsatz zu reduzieren. Und das machen sie mit großem Erfolg. Bisher wird mit Palästina, Jordanien und Kroatien Handel getrieben. Isabell ist ganz bei der Sache, offensichtlich macht ihr die Arbeit sehr viel Freude. Ich habe auch insgesamt den Eindruck, dass ihr das Leben im Kibbuz gut gefällt. Heute gibt es in Israel nicht mehr allzuviele Kibbuzim, teils haben sie sich wirtschaftlich nicht halten können, teils waren die Menschen mit der eher engen Lebensweise nicht zufrieden. So ist es auch Tzippy und Yoel ergangen, sie leben heute in einem Gemeinschaftsdorf. Bei ihnen steht mein nächster Besuch an.

Sabbat im Kreis der Familie Oppenheimer

Tzippy und Yoel leben im Dorf Mitspe Netofa mit Blick auf die Golanhöhen. Der jüdische Ruhetag Sabbat dauert von Sonnenuntergang am Freitag bis zum Eintritt der Dunkelheit am folgenden Samstag. Zu den wichtigsten Sabbat-Vorbereitungen gehört das Backen des Sabbatbrotes (Challah), einer Art Hefezopf. Tochter Naomi hantiert mit sicheren, geschickten Handgriffen. Sie knetet und walkt den Teig, bis er die richtige Konsistenz hat. Das Brot schmeckt köstlich. Das Essen des in Salz getunkten Brotes leitet das Sabbatessen am Freitagabend nach Sonnenuntergang ein. Zu Sabbat kommen, so oft es geht, alle Familienmitglieder zusammen. Es ist ein Tag, an dem die Arbeit ruht, also auch möglichst wenig Hausarbeit gemacht wird, keine elektrischen Geräte bedient werden sollen und auch nicht Auto gefahren wird. So schreibt es die jüdische Religion vor. Alle sollen zu Ruhe und Besinnung kommen und sich der Familie, den Mitmenschen öffnen. Ich empfinde es als wunderbar wohltuend.

Natürlich steht an Sabbat nicht ganz Israel still. Zum einen praktizieren nicht alle Juden den Glauben, zum anderen gibt es viele Menschen anderen Glaubens oder solche, die keiner Religion angehören. Aber im Dorf von Tzippy und Yoel fährt an Sabbat kein Auto, fast alle gehen in die Synagoge und feiern den Tag ihrem Glauben entsprechend. Bis auf das Anzünden der Sabbatkerzen bleibt die Anleitung der religiösen Rituale aber, soweit ich Einblick bekomme, den Männern vorbehalten. Im gemeinsamen Tun spüre ich aber auch eine große Anerkennung und Würdigung der Frauen der Familie. In Israel gehen wohl viele Frauen einer Erwerbstätigkeit nach, die Frauen der Familie sind vorrangig in sozialen Berufen qualifiziert. Die 21-jährige Tochter Naomi hat ihren Berufswunsch noch nicht klar, so studiert sie erst einmal, nachdem sie ihren Militärdienst abgeleistet hat, ein Jahr jüdische Religion.

Bei Sylvie – in der Nähe von Gaza

Vorgestern war ich im Süden von Israel. Mit dem Bus fahre ich nach Be’er Sheva, die Stadt der sieben Brunnen. Der Bus ist am Tag nach Sabbat vollgestopft mit Soldatinnen und Soldaten, die zu ihren Einheiten fahren. Viele haben ihre Maschinengewehre dabei. Es erschreckt mich und macht mich traurig zu sehen, wie intensiv die Menschen hier in jungen Jahren mit dem Krieg konfrontiert sind. Mit welchen Gefühlen und Ideen gehen sie in ihr Leben? Schon bei der Autofahrt von Jerusalem ans Tote Meer war ich an den Grenzstationen zu den palästinensischen Gebieten schon sehr erschrocken darüber, in welcher Verantwortung die gerade mal 18-jährigen Frauen und Männer stehen. Ich frage mich, was sie wohl schon alles erlebt haben? Die jungen Frauen, die ich sehe, machen alle einen sehr souveränen und gelassenen Eindruck, als ob der Militärdienst zu ihrem Alltag gehört, wie Einkaufen und Wäschewaschen.

Der wohl berührendste Besuch im Süden war aber in einem Dorf in der Nähe von Gaza. In Kfar Maimon, acht Kilometer von der Grenze entfernt, wohnt Sylvie mit ihrer Familie. 15 Sekunden Zeit bleibt ihnen, sich zu schützen, wenn Raketen aus Gaza abgefeuert werden. Und der Schutz sind allgegenwärtige Bunker: an der Bushaltestelle, am Parkplatz an der Synagoge. Sylvie ging mit uns auf das Schulgelände. Alle einstöckigen Gebäude wurden von den Kindern bunt bemalt. Dicke, bombensichere Betondecken mit einem Überdach zum Eingang hin. Die Türen und Fensterläden aus 10 cm dickem Stahl. Fenster gibt es an allen Häusern nur an der von Gaza abgewandten Seite.

Alle Kinder lernen mit dem Signalton, egal was sie machen, sofort Schutz zu suchen. Sie haben Lieder, die sie dann singen. Und dann kamen wir zum neuerbauten Kindergarten. Ein Kindergarten ohne Fenster! Was für ein Leben für kleine Kinder. Eine junge jüdische Mutter, die mit ihren zwei kleinen Kindern auf dem Spielplatz ist, der auch neben der Rutsche einen Bunker hat, erzählt, dass sie erst seit kurzem aus Frankreich hierher gezogen ist und da im Herbst der Dauerraketenbeschuss aus Gaza war, sind beide Kinder hochgradig traumatisiert. So hat sie sich das Leben im gelobten Land nicht vorgestellt.

Mein letzter Tag - Wahltag in Israel. Was wird die Wahl der Knesset für das Land bringen? Um 5 Uhr weckt mich wie jeden Morgen der Muezzin von der nahegelegenen Moschee aus dem arabischen Teil der Stadt. Für die Familie ein Freudentag. Das lang erwartete neue Kind wird in dieser Nacht geboren. Alle sind glücklich, die ganze Familie kommt zusammen, und ich darf dabei sein. Avigail, eine der Schwiegertöchter von Tzippy und Yoel hat im Krankenhaus entbunden und Nathan, ihr Mann war selbstverständlich dabei. Mein Wunsch an dieses Mädchen: Möge es nie in einen Kindergarten ohne Fenster gehen müssen und nie mit dem Maschinengewehr über der Schulter in den Krieg ziehen.

Shalom

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