Werden Sie auch eine

MATHILDE

Margarete Krämer, Frankfurt, Arbeit im Labor, ca. 1915, 23 Jahre alt.

Margaretes Abiturklasse. Sie sitzt in der mittleren Reihe 2. v. rechts.

Mutter Feodora Krämer mit den
Töchtern Elise (li. 2 Jahre) und
Margarete (5 Jahre) 1897.

alle Fotos: privat

Eine kluge und humorvolle Frau

Margarete Oppenheimer-Krämer (1892 – 1942)

Margarete Krämer wird am 8. Mai 1892 in Mannheim geboren. Ihre Mutter, Feodora Krämer, 1863 geboren, kommt aus Eschwege in der Nähe von Kassel. Sie bringt zwei Kinder zur Welt. Im Mai 1933, kurz nach Machtergreifung der Nazifaschisten, wird sie tot in ihrer Wohnung in Frankfurt aufgefunden, sie ist an einer Gasvergiftung gestorben. Ob freiwillig oder durch einen tragischen Unfall, ist nicht geklärt. Der Vater von Margarete, Moses Krämer, genannt Moritz, ist Kaufmann im Tabakhandel. 1891 heiraten die beiden. Margarete, von der Familie Grete gerufen, bekommt 1895, als sie drei Jahre alt ist, eine Schwester, Elise, genannt Liese. 1905 zieht die Familie von Mannheim nach Frankfurt um. Die Schwestern Liese und Grete Krämer wählen beide den Weg der beruflichen Ausbildung. Das ist zu dieser Zeit in bürgerlichen Kreisen nicht üblich, aber gerade liberale jüdische Eltern unterstützen die Neigungen ihrer Töchter zunehmend.

Es ist davon auszugehen, dass Margarete und ihre Schwester, vielleicht auch ihre Mutter in Frankfurt an der jüdischen Frauenbewegung und ihren Organisationen beteiligt und in der praktischen Arbeit engagiert sind. Sicher ist, dass sie Bertha Pappenheim, die Begründerin der jüdischen Frauenbewegung, die in Frankfurt lebt, kennen.

Margarete Krämer immatrikuliert sich am 25. April 1913, da es in Frankfurt noch keine Universität gibt, in Heidelberg für ein Studium in Naturwissenschaft und Mathematik. Sie studiert parallel in Berlin, zieht aber zum Wintersemester 1914 wieder zu ihren Eltern nach Frankfurt. In diesem Jahr wird die Universität Frankfurt gegründet. Zum Wintersemester 1916, noch während des 1. Weltkrieges, geht sie wieder nach Berlin und von da aus nach Jena, wo sie nach einem 11-semestrigen Studium 1919 an der Universität ihr Examen ablegt. Sie ist, mit 27 Jahren, Oberlehrerinfür Mathematik und Naturwissenschaften. Sie geht danach nach Kaunas in Litauen und unterrichtet dort als Mathematiklehrerin an einem zionistischen Gymnasium für jüdische Kinder.

Der nächste Lebensabschnitt stellt eine große Wende in Margaretes Leben dar. 1924 ist sie 32 Jahre alt. Obwohl sie eine qualifizierte Schul- und Berufsausbildung in einer absoluten Männerdomäne absolvierthat, unabhängig lebt und in einem Beruf arbeitet, der ihr Ansehen und Bestätigung gibt, heiratet Margarete und zieht nach Fränkisch-Crumbach in den Odenwald. Es ist davon auszugehen, dass Margarete ihren Mann, Moritz Oppenheimer, über die Tabakgeschäfte der Familien kennen gelernt hat. Moritz Oppenheimer, geboren am 14. November 1878 in Fränkisch-Crumbach, ist bei der Heirat 46 Jahre alt. Er ist Zigarrenfabrikbesitzer in seiner Geburtsstadt. Die Tochter Ruth David schreibt in ihrem Buch: "Mir vorzustellen, was meine Mutter empfand, als sie in dem Dorf ankam, zu jener Zeit tiefste Provinz, ist äußerst schwierig für mich. Sie war eine Frau aus der Stadt, in Mannheim geboren und später in der damals liberalen Stadt Frankfurt aufgewachsen. ... Sie war eine intelligente, kultivierte und auch weltoffene Frau. ... Was macht sie nun aus ihrem Leben in Fränkisch-Crumbach? Ich würde es zu gerne wissen."

Die Verhältnisse, in die Margarete einheiratet, lassen sich stichwortartig so beschreiben:
Moritz Oppenheimer hat 1907 zur Hochzeit mit seiner ersten Frau in der Allee 37 für die Familie ein prächtiges Haus mit großem Garten gebaut, in das sie jetzt Einzug hält; In eine Familie mit drei Kindern: Anni, zu dieser Zeit 14 Jahre alt und schwer lungenkrank, Ernst, jetzt 9 Jahre und Werner, 7 Jahre alt. Im Haus gibt es eine Köchin und Minna als Hausangestellte, die mit allem seit Jahren vertraut ist und für Margarete zur lebenslangen Weggefährtin wird. Moritz Oppenheimer ist Mitbegründer des SPD-Ortsvereins Fränkisch-Crumbach und Mitglied des Gemeinderates. So ist Margarete nicht nur im Ort bekannte Unternehmersgattin, sondern auch durch die politischen Aktivitäten ihres Mannes eine ortsbekannte Frau. Sie schenkt vier Kindern das Leben: Hannah (1925), Ruth (1929), Michael (1930) und Feodora (1934).

Mit der Machtergreifung Hitlers beginnt für Margarete Oppenheimer eine nicht endende Zeit der Sorge und des Schreckens. Was bedeutet es für eine Mutter, wenn ihre Kinder ausgegrenzt, beschimpft, bedroht werden? Wenn ihre Kinder nicht mehr mit den Nachbarskindern, Freunden und Freundinnen spielen dürfen? Wenn ihre Kinder nur noch im Haus spielen können, den ganzen Tag drinnen sind? Schon früh beginnt die Familie Oppenheimer sich um die Auswanderung aus Deutschland zu bemühen. Tochter Ruth erzählt:

"Mutter war begeistert auszuwandern, Vater weniger. Er war 55 Jahre alt und nicht mehr bei guter Gesundheit. Dass wir emigrieren mussten, war auch Vater klar, aber ich denke, Mutter hat die Situation klarer beurteilt. Mutter lernte dafür Englisch und Spanisch, sie verfügte über Grundkenntnisse in Französisch." 1935, nachdem die jüdischen Kinder im Odenwald vom Besuch der staatlichen Schulen ausgeschlossen werden, wird die jüdische Schule in Höchst mit 35 Schulkindern gegründet. Margarete Oppenheimer-Krämer arbeitet dort als Teilzeit-Mathematiklehrerin.

Das Jahr 1938 bringt entscheidende Veränderungen für die Familie. Das Haus in der Allee muss weit unter Wert verkauft werden. Und dann die November-Pogromnacht, die Angst und Schrecken für alle verbreitet. Das Haus wird verwüstet, Mann und Sohn Ernst werden zusammengeschlagen, verhaftet und nach einem Tag Haft im Gefängnis von Fränkisch-Crumbach nach Buchenwald verschleppt. Ernst kommt relativ schnell frei, er kann in die USA auswandern, Moritz Oppenheimer kommt Wochen später als gebrochener, kranker Mann nach Hause. Margarete pflegt ihn, genauso, wie sie Schwager und Schwägerin versorgt.

Anfang 1939 flüchten sie nach Mannheim. Im Januar 1939 übernimmt Margarete Oppenheimer-Krämer dort die Leitung des Israelitischen Waisenhauses. So ist das materielle Auskommen der Familie halbwegs gesichert. Auch hier in Mannheim gibt es für sie kein längeres Überleben. So entschließen sie sich, immer noch hoffend, dass sie alle ausreisen können, die Töchter Ruth und Hannah mit den sogenannten "Kindertransporten" nach England zu schicken.
Und die Eheleute Oppenheimer haben richtig gehandelt: am 22. Oktober 1940 wird ihre Deportation nach Südfrankreich ins Konzentrationslager Gurs befohlen. Diesen schweren Weg muss Margarete mit allen Heimkindern, ihren jüngsten Kindern Michael und Feodora und ihrem Mann durchstehen. Und letzten Endes haben Moritz und Margarete Oppenheimer-Krämer sich schweren Herzens in dieser Zeit in Konzentrationslagern in Südfrankreich auch noch von Michael und Feodora getrennt. In weiser Voraussicht und in der Hoffnung ihnen so eine bessere Chance zum Überleben zu geben, werden sie 1941 an unterschiedlichen Orten versteckt. Auch hier hat Margarete Oppenheimer-Krämer wieder Organisationstalent, Mut und unglaubliche Stärke bewiesen.

Im Angesicht der drohenden erneuten Deportation schafft sie es sogar noch für eine Zeit jenseits des Naziterrors vorzusorgen, indem sie Michael und Feodora der Fürsorge einer französischen jüdischen Familie anheim stellt und einen Abschiedsbrief an ihre in der Welt verstreute Familie schreibt.

Am 16. August 1942, einem heißen Sommertag, werden Margarete und Moritz Oppenheimer von Marseille nach Drancy, nördlich von Paris verschleppt und von dort in Viehwagons nach Auschwitz deportiert.

19. August 1942: Margarete Oppenheimer-Krämer wird mit ihrem Mann Moritz in den Gaskammern von Auschwitz ermordet. Sie war eine kluge, lebensbejahende und humorvolle Frau. Sie war zudem Meisterin im Flechten von Netzwerken, im Kontakthalten und im fürsorglichen Miteinander. Was wäre es für eine wunderbare Bereicherung für uns alle gewesen, wenn diese Frau hier im Odenwald und in Deutschland mit ihrer Familie hätte weiterleben können.

Text: Barbara Linnenbrügger

Literatur:
- Ruth L. David, Ein Kind unserer Zeit, Wiesbaden 2008, 2. Auflage
- Ruth L. David, "...im Dunkeln so wenig Licht..." Briefe meiner Eltern vor ihrer Deportation nach Auschwitz, Wiesbaden 2008.
- Barbara Linnenbrügger: Margarete Oppenheimer-Krämer, eine intelligente, kultivierte und weltoffene Jüdin, unveröffentlichtes Manuskript, Reichelsheim im Odw. 2012

zurück

MATHILDE