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MATHILDE

Mahnmal für die 1938 niedergebrannte Liberale Synagoge.

Erinnerungsort Liberale Synagoge im Bereich des Klinikums Darmstadt.

Fotos: Jutta Schütz

Jüdische Frauen damals und heute

Das 1983 geschaffene "Denkzeichen Güterbahnhof", zahlreiche "Stolpersteine" und nicht zuletzt die im Klinikum konservierten Grundmauern der Liberalen Synagoge von 1875/76 sind wichtige Zeichen der Erinnerung an die Verfolgung der jüdischen Darmstädter Bürgerinnen und Bürger in nationalsozialistischer Zeit. Sie zeugen von den Verbrechen während der Nazi- Diktatur, aber auch davon, dass es in Darmstadt eine blühende jüdische Gemeinde gab, die einen wesentlichen Teil der Darmstädter Kultur repräsentierte. Dazu gehörten selbstverständlich die Frauen, auch wenn sie in der Geschichtsschreibung wenig Beachtung finden. Auf das oft tragische Schicksal einiger dieser bemerkenswerten, zum Teil vergessenen Jüdinnen gehen wir in dieser Mathilde ein.

Ein Blick zurück: Bei den orthodoxen Juden kümmerte sich die Frau um die Familie und das Haus. Das Studium der Thora, der hebräischen Bibel, und die damit verbundenen Ämter waren Männersache. Dadurch wurde die wirtschaftliche Absicherung der Familie jedoch Aufgabe der Frauen, was zu einem starken weiblichen Selbstbewusstsein führte. Die Frau war zugleich auch "Priesterin des Hauses", die den Segen zum Beginn des Sabbats sprach und die religiösen Feste gestaltete. In der bürgerlichen Mittelschicht des 19. Jahrhunderts war die jüdische Frau vom Universitätsstudium und der Erwerbsarbeit ausgeschlossen, während bezahlte Arbeit für die Frauen aus der Arbeiterschicht für die Sicherung der Existenz zwingend war. Bürgerliche Frauen wurden in Wohltätigkeitsvereinen aktiv. 1860 entstand in Darmstadt der israelitische Frauenwohltätigkeitsverein, der um die Jahrhundertwende 152 Mitglieder zählte und vielfältige soziale Aufgaben wahrnahm.1904 wurde der Jüdische Frauenbund auf Initiative von Berta Pappenheim und Sidonie Werner gegründet, der heute noch besteht und für Frauenrechte eintritt.Seit 1920 besteht WIZO (Women’s International Zionist Organisation), eine international tätige Frauenorganisation mit Verbänden in 50 Ländern, die auch in Darmstadt aktiv ist und sich für Frauen, Kinder und alte Menschen einsetzt.

Und heute – in Darmstadt?

Lassen wir zunächst Zahlen sprechen.
1933 gab es in Darmstadt noch 1427 "IsraelitInnen". Nach überschlägigen Berechnungen nach Kriegsende sind bis 1938 etwa 500, in den beiden Folgejahren noch einmal rund 500 Jüdinnen und Juden ausgewandert. Im Sommer 1940 erfassten die im Auftrag der Gestapo erstellten Listen noch 346 Darmstädter Jüdinnen/ Juden (nach Eckhard G. Franz).

Bei der Neugründung der jüdischen Gemeinde 1946 wurden rund 200 Mitglieder gezählt. In den 1950er Jahren ging die Zahl wegen der Auswanderung nach Israel und in die USA zurück auf etwa 70 Personen in Darmstadt. Bei der Einweihung der Neuen Synagoge 1988 gab es zunächst 130 Gemeindemitglieder. Inzwischen stieg die Zahl auf rund 700 Personen an durch den Zuzug von jüdischen Emigrant/innen aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion.

Die Zahl der in Darmstadt heute lebenden jüdischen Menschen ist allerdings höher, denn es gibt Jüdinnen und Juden, die sich als nicht oder nur wenig religiös begreifen. "Das Judentum ist vor allem eine Religion, aber ich kenne ganz viele Juden, die das Jüdischsein für sich inzwischen anders definieren: über Tradition, über die Zugehörigkeit zu einer Schicksalsgemeinschaft, über Kultur, über die Nähe zu Israel oder ein allgemeines jüdisches Gefühl. Es gibt viele Möglichkeiten, sich mit dem Judentum verbunden zu fühlen", erklärte Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, im Darmstädter Echo vom 12. Januar 2013. Manche der von uns befragten Jüdinnen wollen nicht als solche hervortreten und wählten ein Pseudonym. Warum? Das erklären sie selbst. Von Normalität können wir leider noch nicht sprechen beim Zusammenleben mit unseren jüdischen Mitbürgerinnen.

Text: Barbara Obermüller / Jutta Schütz

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