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MATHILDE

Tischlerin am Werk

Foto: HandwerkerInnenagentur Perle, www.perle-hh.de

"Mühsal und Nichtigkeit"

Angst vor der Armut im Alter

Angst vor der Armut im Alter "Unser Leben währt siebzig Jahre, und wenn es hoch kommt, so sind’s achtzig Jahre; und worauf man stolz ist, das war Mühsal und Nichtigkeit, denn schnell enteilt es, und wir fliegen dahin." (Psalm 90, Vers 10)

Harte Wahrheiten aus der Bibel. Sybille (60) * kann stolz sein auf ein reiches Arbeitsleben. Es war mit Mühsal verbunden, und nichtig waren meist die Beträge, die sie als Handwerkerin verdient hat. Nun, da die Zeit näher rückt, bis sie sich ihre Rente verdient hat, drückt ihr manchmal die Angst vor der Zukunft die Kehle zu. Laut Rentenbescheid stehen ihr nicht mal 900 Euro Rente zu. "Davon muss ich meine Miete und den ganzen Lebensunterhalt bestreiten", gibt sie zu bedenken. "So lange ich fit bin, werde ich sicher weiter arbeiten, vielleicht in einem 400-Euro-Job", ist sie sich sicher. "Aber wenn ich nicht mehr kann oder krank werde.... nicht auszudenken." Dann könnte sie sich nicht mal ihre Medikamente finanzieren, fürchtet sie.

Dabei wollte sie irgendwann in diesem Leben nicht mehr arbeiten. Sie ist schon mit 14 Jahren ins Arbeitsleben eingetreten, als sie eine handwerkliche Ausbildung begann und sich nach deren Abschluss in diesem Beruf bewähren konnte. "Handwerk hat goldenen Boden", heißt es. Doch Sybille hat nie viel damit verdient. Und nach ihrer Heirat bekam sie eine Tochter und hat zehn Jahre "nur" als Hausfrau und Mutter gelebt. "Mein Mann hat mich in meiner beruflichen Entwicklung ausgebremst. Die Versorgung der Familie stand für ihn an erster Stelle", erinnert sie sich. Sie hat sich irgendwann von ihm getrennt und musste als Alleinerziehende auch wieder arbeiten gehen, zunächst in Teilzeit. Viel Zeit und Kraft hat sie für ihre Qualifizierung als Meisterin in ihrem Fach investiert. Mit 40 hatte sie den Titel in der Tasche und die Urkunde an der Wand. Als Meisterin hatte sie nun Chancen auf Stellungen als Vorgesetzte und ein angehobenes Gehalt.

Zeitweilig hat sie es auch mit der Selbstständigkeit versucht, doch die Investitionen und Nebenkosten waren zu hoch. Der Einsatz hat sich nicht gelohnt, hat eher einiges von ihrem Ersparten gefressen. "Ich konnte nie viel auf die Seite legen, obwohl ich gespart habe, wo ich konnte", so Sybille. Nun hat sie große Angst, dass ihr im Rentenalter "zum Leben nix bleibt". Sie würde alleine 75 Prozent ihrer Rente für Miete und Nebenkosten hinblättern müssen, und beides steigt. "Von Unternehmungen, vom Wegfahren spreche ich gar nicht. Ich fürchte, dass ich mir nichts mehr leisten kann." Sie ist geschieden, was ist mit dem gesetzlich geregelten Versorgungsausgleich? "Der ist nicht so hoch, weil mein Ex-Mann ebenfalls Handwerker, also kein Spitzenverdiener war."

Sybille ist allerdings keine Frau, die den Kopf in den Sand steckt. Sie hat mehrere Ideen, wie sie ihr Leben im Alter gestalten könnte. Eine Frauen-WG könnte sie sich vorstellen: "Ich würde gerne mit Frauen zusammen wohnen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden." Das stellt sie sich nicht nur finanziell günstiger vor, sondern sie erhofft sich auch gegenseitige Hilfe und Unterstützung, Gespräche und gemeinsame Unternehmungen – "gemeinsam Spaß haben" - von diesem Wohnmodell. "Auch könnte mir eine mal ein Süppchen kochen, wenn ich krank bin." Das tut sie zurzeit eher für andere.

Sie hat neben ihrer beruflichen Tätigkeit eine Ausbildung zur Seniorenbegleiterin absolviert und betreut derzeit eine alte Dame ehrenamtlich. "Aber wenn ich mal in Rente bin, kann ich mir ein reines Ehrenamt nicht mehr leisten", fürchtet sie. Vielleicht könnte sie sich dann als "Bufti" im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes im Seniorenbereich gegen Entgelt engagieren. Auch für die Betreuung von Demenzkranken gibt es einen kleinen Obulus. Das Schöne daran: "Die Leute freuen sich, wenn ich komme. Und ich fühle mich gebraucht."

Jutta Schütz

*Der vollständige Name der Interviewpartnerin ist der Redaktion bekannt. Sybille würde sich über Meldungen von Frauen freuen, die Interesse an einer Wohngemeinschaft haben. Ideen, Meinungen und Anregungen bitte an redaktion@mathilde-frauenzeitung.de

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