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Heidemarie Schwermer vor dem Kölner Dom

Foto: Line Halvorsen

 

Tauschringe in Darmstadt und Region:

HeinerTalent, Darmstädter Tauschring
Kontakt: Heiko Söker,
Telefon: 06151-666414
www.heinertalent.de

Tauschring Talentbörse Darmstadt
Kontakt: Tobias Unsleber,
Telefon: 06151-8508961
www.talentboerse-darmstadt.de

Nachbarschaftshilfe Dieburg e.V.,
Tauschring der Region
Kontakt: Karsten Heinrich,
Telefon: 06071-44526
www.tauschringdieburg.de

Mein Leben ohne Geld – warum ich so lebe

Das Experiment von Heidemarie Schwermer

Seit 1996 lebt die ehemalige Lehrerin, Motopädin und Psychotherapeutin Heidemarie Schwermer ohne Geld. Ihr Buch "Das Sterntalerexperiment" ist nicht nur die Beschreibung eines intensiv und engagiert gelebten Lebens, sondern zugleich eine Ermutigung, unser Wertesystem zu überdenken und alternative Formen des Miteinanders zu wagen.

http://lebensform.heidemarieschwermer.com

Oft werde ich gefragt, ob es in meinem Leben ein Trauma gegeben hätte, weil ich diese extreme Lebensform gewählt habe und nun schon seit sieben Jahren ohne Geld lebe. Dann antworte ich, dass mein Trauma die Weltsituation sei: Täglich verhungern 100.000 Menschen, und auf der anderen Seite gibt es eine riesige Verschwendung. Lebensmittel werden ins Meer gekippt, um Preise stabil zu halten, Milliardäre bauen sich Swimmingpools in ihr Privatflugzeug, weil sie gar nicht mehr wissen, wohin mit dem ganzen Geld. Für mich ist diese Situation derart absurd, dass ich bei diesem Prozess nicht mehr mitwirken möchte und darum nach neuen Strukturen suche.

Forsche ich allerdings in meinem eigenen Leben, entdecke ich, dass es doch so etwas wie ein Trauma gegeben hat. Als zweijähriges Kind musste ich mit meiner Familie zu Kriegsende meine Heimat verlassen und wurde in der neuen Heimat plötzlich als Lumpenpack bezeichnet. Ich habe niemals verstanden, warum Besitz und Geld derart hoch gewertet wird, und so gibt es einen roten Faden in meinem Leben. Ich möchte ein Gleichgewicht herstellen zwischen Menschen, die wenig besitzen und denen, die im Materiellen schwimmen. Ich möchte neue Werte schaffen und die Würde des Menschen nicht vom Geld abhängig sein lassen.

Mit meinem Leben ohne Geld gebe ich Denkanstöße. Für viele Menschen bin ich eine Provokateurin, aber anderen diene ich als Mutmacherin. In unserer heutigen Gesellschaft ist es so, dass die Armutsgrenze immer weiter sinkt und viele Menschen am Existenzminimum leben. Durch mein neues Modell fühlen sie sich gestärkt und können ein Stück von ihrer Angst ablegen, dass sie irgendwann in der Gosse landen. An dieser Stelle ist es mir wichtig, zu sagen, dass ich keine Missionarin bin, die alle Menschen zur Geldaufgabe bekehren möchte. Vielmehr geht es mir darum, meinen ZuhörerInnen und LeserInnen Mut zu machen, den eigenen Weg zu entdecken und ihn dann Schritt für Schritt zu gehen. Dass aus meinem Experiment eine neue Lebensform geworden ist, die schon so lange dauert, hätte ich nicht für möglich gehalten. Zu Beginn meines Experimentes war mir nicht klar, dass der Einfluss des Geldes in so viele Bereiche dringt. Die Aufgabe des Geldes hat mich in eine neue Lebensqualität gebracht, die mit innerem Reichtum statt äußerem, mit Freiheit statt Abhängigkeit, mit Großzügigkeit statt Horten, mit neuen Werten zu tun hat.

Wie ich ohne Geld lebe

Im Februar 1994 gründete ich die "Gib und Nimm Zentrale" in Dortmund, einen Tauschring, in dem Dienstleistungen, Fähigkeiten, Sachgegenstände miteinander getauscht und geteilt werden, ohne dass Geld dabei eine Rolle spielt. Der Zulauf zu dem Verein, der dann von uns gegründet wurde, war groß, ebenso jedoch der sofortige Absprung bei Misserfolgen. Das und die Tatsache, dass ich durch meine Tauschereien in dem Verein weniger Geld zum Leben brauchte, stachelte mich an, das Experiment, ganz ohne Geld zu leben, zunächst in Gedanken zu entwickeln und schließlich im Mai 1996 in die Tat umzusetzen. Ich gab meine Wohnung, meine Versicherungen und meinen Besitz auf, hütete von nun an Häuser und Wohnungen von Gib–und–Nimm–Teilnehmern, die auf Reisen gingen und leitete als erste Vorsitzende die Gib–und–Nimm–Zentrale mit Leib und Seele. Das Geben und Nehmen in Fluss zu bringen, das Miteinander kreativ zu gestalten, Feindbilder abzubauen, Herzöffnungen zu erzielen, Menschen mit wenig Geld Mut zu machen, etwas Neues auszuprobieren, das alles sind Ziele von Gib und Nimm.

Mein eigenes Leben gestalte ich abenteuerlich und kreativ. Die Grundnahrungsmittel ertausche ich mir bei einem Bioladen: Kartoffeln, Gemüse, Obst und Brot – die Waren sind nicht mehr ganz frisch und werden für uns zum Abholen bereitgestellt – gegen Fegen des Hofes, Beratung am Computer o.ä. Kleidung gab es zunächst beim "Tauschrausch", einem monatlichen Flohmarkt ohne Geld. Inzwischen wird mir eine psychologische Beratung oder eine andere Hilfe schon mal mit einem Kleidungsstück beglichen. Ähnlich geht es mit anderen Dingen, die ich zum Leben brauche. Zum Beispiel verfüge ich über Schlüssel für ein Büro, dem Wissenschaftsladen in Dortmund, in dem ich gern gesehener Gast bin. Für den Anschluss ans Internet, ans Telefon und an die Post erbringe ich Gegenleistungen in Form von Kochen, Fegen, Beraten, je nachdem...

Während der letzten Jahre hat sich immer wieder etwas in meinem Leben verändert. So habe ich den Verein inzwischen verlassen, tausche überall und mit jedem, der/ die mir begegnet, allerdings nicht direkt abrechnend, wie es mit Geld geschehen würde sondern in lockerer Weise. Zum Beispiel gab es einen Notfall in einer Druckerei: Papiere waren durcheinandergeraten. Ich sortierte hingebungsvoll die Papiere an einem Sonntag, damit die Sendung fristgerecht am nächsten Tag geliefert werden konnte. Dafür erhielt ich zwei Monate später einen schön gestalteten Brief in mehrfacher Ausgabe von der Druckerei. Bei meinen Tauschaktionen handelt es sich weniger um Schwarzarbeit als um Freundschaftsdienste und Nachbarschaftshilfe. Trotzdem beschäftigt mich die Frage der Steuern sehr. Da ich mich nicht als Aussteigerin aus dem Staat verstehe, sondern eher als Um- oder noch besser Einsteigerin in eine neue Struktur, denke ich über meine Möglichkeiten nach. Vor einigen Jahren schrieb ich dem Bürgermeister von Dortmund einen Brief, in dem ich ihm anbot, Steuern auf meine Art zu zahlen, nämlich indem ich Sozialhilfe–EmpfängerInnen berate, Projekte anbiete, Mut mache, Impulse gebe. In der kurzen Antwort bekam ich einen Hinweis auf das Ehrenamt, was ganz und gar nicht dem Prinzip von Gib und Nimm entspricht.

Bei meinen Vorträgen werde ich oft darauf hingewiesen, dass mein Austritt aus der Krankenversicherung eine Zumutung für die BürgerInnen sei, die ja notfalls – z.B. bei einem Beinbruch – für mich einspringen müssten. Zwar kann ich die kritischen Äußerungen nachvollziehen, weil ich die Krankenversicherung als durchaus sinnvoll empfinde, mein Experiment jedoch verlangt die Aufgabe jeglicher finanzieller Ausgaben. Inzwischen hat sich auch hier viel für mich geändert. Ich gehe mit meiner Gesundheit bewusster und eigenverantwortlicher um, bearbeite intensiv Ängste, die immer wieder mal auftreten und besinne mich auf die Selbstheilungskräfte, über die jeder Mensch verfügt. Es gibt ein paar Ärzte und Zahnärzte, die mich im Tausch behandeln würden, was ich bislang nicht in Anspruch nehmen musste.

Für viele Menschen ist mein jetziges Lebensmodell nicht zu verstehen und sie glauben, dass ich ein abhängiges, umständliches, kompliziertes Leben führe. Das Gegenteil ist der Fall!

Heidemarie Schwermer

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