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Ursula Sigismund - Foto: Kathrin Hampf

Nietsches kluge Nichte

Zum 100. Geburtstag von Ursula Sigismund

Das Fest zu Ursula Sigismunds 100. Geburtstag im Literaturhaus Darmstadt hätte ihr sicher gefallen. Eingeladen hatte Agnes Schmidt von der Luise-Büchner-Gesellschaft in Zusammenarbeit mit dem Zonta-Club und der Literaturinitiative Darmstadt. Viele waren gekommen Ursula zu Ehren. Kurzweilige Reden wurden gehalten, einige ihrer Kurzgeschichten wurden vorgetragen und von klassischer Musik umrahmt. Der abschließende Umtrunk bot eine schöne Gelegenheit, weitere Erinnerungen an Ursula wach werden zu lassen.

Ursula Sigismund, am 9. Juli 1912 in Danzig geboren, wuchs auf in Weimar im Schatten ihres Onkels Friedrich Nietzsche und unter der teilweise gestrengen Aufsicht von Tante Elisabeth Förster-Nietzsche, deren „Jour fixe“ in den Van-de-Velde-Räumen an Sonnabendnachmittagen Ursula schon früh mit Musik, Literatur und bedeutenden Persönlichkeiten zusammenbrachte. Vielleicht war sie auch deswegen später eine so erfreulich unaufgeregte und wissende Frau.

Ich habe Ursula Sigismund das erste Mal wahrgenommen beim Literarischen März in Darmstadt 1987, da saß sie ein Reihe hinter mir und beeindruckte mich mit ihren klugen Kommentaren. Bei vielen Veranstaltungen traf ich Ursula dann wieder – und immer war sie munter bis zum Schluss dabei!

Die großen Geburtstage haben wir fortan zusammen gefeiert. Anlässlich ihres 80. Geburtstags wurde Ursula Sigismunds Biographie „Zarathustras Sippschaft“ im neu gegründeten Kranichsteiner Literaturverlag herausgebracht und zur Feierstunde im Rathaus der Stadt Darmstadt vorgestellt. Unter den vielen Gästen saß, in der ersten Reihe neben dem damaligen Oberbürgermeister, Eva Franke-Weißgerber, in blau-rot-weiß gestreiftem Hosenanzug mit selbstverständlich farblich passendem Hut. Im Grunde so, wie Ursula sie bei ihrem ersten Theaterbesuch in Darmstadt wahrgenommen hat.

Den 85. Geburtstag von Ursula Sigismund haben wir im Literaturhaus Darmstadt gefeiert, dieses Mal mit der Neuauflage des Buches „Montmartre, das Leben der Mutter Utrillos“. Auf Wunsch der Autorin nun mit dem Titel „Suzanne Valadon. Model und Malerin“. Zu ihrer Lesung aus diesem Buch, als der Literarische Abend noch im Café CHAT NOIR stattfand, kam Ursula in leuchtend roten Strümpfen, weil diese zu dem Buch und der Welt der Malerin am besten passten. Ja, so war Ursula!

„Gepäckaufbewahrung“ – surreal und fabelhaft

Zum 90. Geburtstag brachte der Kranichsteiner Literaturverlag (KLV) einen Reprint heraus, der 1987 erstmals von der Gesellschaft Hessischer Literaturfreunde veröffentlicht worden war. „Gepäckaufbewahrung“, eine Sammlung von Kurzgeschichten, die den Alltag zum Thema haben, surreal und fabelhaft, mit dem feinen Humor der Autorin gespickt. Dieses Fest 2002 war gleichzeitig ein Abschiedsfest, denn Ursula Sigismund zog anschließend zurück in ihre alte Heimat Weimar.

Parallel zum KLV hatte Ursula Sigismund eine zweite Verlagsheimat im Brandes & Apsel Verlag, Frankfurt. Mit Volkhard Brandes, an dessen Küchentisch zu Hause sie erste Korrekturen zur Herausgabe des Erzählbandes „Schonzeit für Diebe“ erarbeitete, der später die Romane „Bedrängte Zeit“ und „Das alte Haus am Hang“ zum 80. Geburtstag herausgegeben hat, war Ursula freundschaftlich verbunden. Volkhard habe ich durch Ursula kennen gelernt; er war für mich viele Jahre Partner auf der Buchmesse und freundschaftlicher Berater.

Das letzte Werk von Ursula Sigismund ist eine Arbeit über ihren Vater, Max Oehler. „Denken im Zwiespalt“ ist eine kritisch-liebevolle Auseinandersetzung mit dem Leben ihres Vaters, der 25 Jahre das Nietzsche-Archiv leitete, 1945 zu einem Verhör abgeholt wurde, und den sie nicht mehr wiedersehen sollte.

Ursula Sigismund ist am 27. März 2004 in Weimar verstorben. Ich hoffe sehr, dass sie und ihre Werke in der Erinnerung lebendig bleiben.

Kathrin Hampf

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