Werden Sie auch eine

MATHILDE

Die schönste Sprache der Welt

Katharina Reutter unterrichtet an einer Frankfurter Förderschule in Gebärdensprache

Foto: privat

Empfehlenswert zum Weiterlesen ist das Buch von Helene Jarmer
Schreien nützt nichts.
Mittendrin statt still dabei.

Südwest Verlag 2011.

Katharina Reutter hat nach einer langen Ausbildung und einigen Jahren Praxis im Job ihre Erzieherinnentätigkeit an den Nagel gehängt. Da sie das dringende Verlangen hatte, etwas Neues lernen zu müssen, begann sie zur Jahrtausendwende eine Lehre als Schreinerin beim Beruflichen Fortbildungszentrum in Aschaffenburg. Dort wurden immerhin zeitgleich drei Schreinerinnen ausgebildet. Im Anschluss an diese Ausbildung sammelte sie einige Jahre Erfahrung als Werkstattleitung und Seminarleitung in einer Person.

Nach Darmstadt wechselte sie im Jahr 2006 der Liebe wegen und fand Arbeit als Werkstattleitung in den Mühltal-Werkstätten der Nieder-Ramstädter Diakonie, einer Holz- Werkstatt für behinderte Menschen, wieder als einzige Frau unter Männern. Die körperliche Arbeit, das schwere Heben machte ihren Rücken krank, sie bekam schließlich ein Korsett, das sie einige Monate tragen musste. Dennoch versuchte sie weiter ihren Job zu erledigen, wurde aber zwischendurch versetzt und letztendlich gekündigt.

Glücklicherweise folgt auf ein Ende häufig ein Neubeginn. Sie hatte in den Mühltal- Werkstätten die „Unterstützte Kommunikation“ kennen gelernt, hier wird einfache Gebärdensprache eingesetzt. Und es reizte sie, diese Art der Kommunikation zu vertiefen. Um an der Hörgeschädigten-Sommerhoff-Schule in Frankfurt am Main als Lehrerin für Werkzeugkunde arbeiten zu können, benötigte sie eine neue fünfmonatige Ausbildung zur Kommunikationsassistentin, die Arbeitsagentur zahlte die Schule samt Unterkunft in Berlin. Aufregend war das für sie, in den Weihnachtsferien musste sie ganz schnell eine Wohnung finden und im größten Schneechaos nach Berlin fliegen, mit einiger Verspätung erschien sie gerade noch rechtzeitig für ihren ersten Ausbildungstag. Von da an ging es aufwärts: Die neu erlernte Sprache gefiel ihr ausgesprochen gut und sie kniete sich voll hinein, um die Ausbildung erstklassig zu absolvieren. Sie lernte nicht nur eine neue Sprache, sondern eine völlig neue Welt kennen, eine Kultur, eine Soziologie, Recht und Geschichte der Gehörlosen in Deutschland.

Der gute Abschluss ihrer neuen Ausbildung bescherte ihr eine zeitlich befristete Vollzeitstelle, allerdings musste sie auch fachfremd Fächer wie Mathematik, Geschichte und sogar Ethik unterrichten neben ihrer Hauptaufgabe, dem Werkunterricht.

Obwohl die Lerngruppen angemessen klein sind, etwa 10 SchülerInnen pro Klasse, schließen nur wenige die zehnte Klasse erfolgreich ab, um weiterführende Schulen zu besuchen. Für den weiteren Bildungsweg gibt es in Berlin die „Deaf-Studies“ für Hörende und Gehörlose und weltweit nur eine Universität für taube Menschen, die Gallaudet Universität in Washington D.C.. Die Gebärdensprache ist in der BRD erst seit 2002 als Sprache voll anerkannt. Mit dem Spracherwerb haben Gehörlose gute Chancen, ein normales Leben zu führen. Mit dieser Sprache können wir verschiedene Dialekte sprechen, Katharina Reutter selbst sagt, dass sie Berliner Dialekt spricht. Die Gebärdensprache kann vieles ausdrücken: Sachverhalte, Abstraktes, Gefühle, einfach alles. Die Grammatik ist völlig verschieden von unserer Grammatik. Die Sprache besteht aus Gebärden, einem Fingeralphabet, der Mimik, Körperhaltung und Handhaltung. Die Sprache ist dreidimensional.

Wenn in eine Familie ein taubes Kind geboren wird, ist die Aufregung groß. Es wäre wichtig, wenn Eltern neben der medizinischen Versorgung auch eine Beratung durch Fachkräfte bekämen. Diese könnten den Eltern aufzeigen, dass ihr Kind durch das Erlernen der Gebärdensprache alles erreichen kann und gute Chancen hat, normal aufzuwachsen.

Dieser neue Beruf hat Katharina immens begeistert und politisch sensibilisiert. Sie hat einen weiteren Traum: Sie möchte gern junge taube Frauen zu Schreinerinnen ausbilden.

Gundula Pause

zurück

MATHILDE