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Femina Migrans

Edeltraud Aubele/Gabriele Pieri (Hg.):
Femina Migrans. Frauen in Migrationsprozessen (18.-20. Jahrhundert).
Ulrike Helmer Verlag 2011, ISBN 389741314,. ca. 19,95 €

Menschen wandern von je her aus den unterschiedlichsten Gründen. Sie überschreiten geographische Grenzen, aber auch imaginäre kulturelle. Migrationsphänomene sind Geschichten des Ortswechsels und des sozialen Lebens. Migrationsprozesse sind dynamisch und wandelbar, genauso wie unsere Gesellschaften. Sie sollten immer als Ganzes in den Blick genommen werden: mit der Phase des Entschlusses zur Migration, der eigentlichen Reisezeit und der Inklusion in der aufnehmenden Gesellschaft. In all diesen Phasen, sowie ihrer gesellschaftshistorischen Einbettung, gelten für Frauen komplett andere Voraussetzungen als für Männer.

Um Charakteristika weiblicher Migration ausfindig zu machen, muss ein feministischer Forschungsansatz gewählt werden, der die analytische Kategorie Geschlecht als ein zentrales Kriterium von Untersuchungen fasst. Denn auch hier gilt der Grundsatz: Frauenspezifische Fragestellungen ergeben sich nicht durch den Vergleich zur männerspezifischen Migration. Wie auch die Herausgeberinnen selbst beschreiben, nimmt die migrationshistorische Forschung aus einer geschlechtersensiblen Perspektive eine immer noch marginalisierte Stellung im Fachgebiet ein. Der Tagungsband liefert einen ergänzenden Beitrag und beleuchtet in zehn Artikeln die vielseitigen Dimensionen der Thematik „Migration und Geschlecht“ in Geschichte und Gegenwart.

Die Auseinandersetzung mit Migration bzw. Diversität sollte dem Anspruch gerecht werden, neben Geschlecht auch andere grundlegende Differenzkategorien zu analysieren. Eine eingeschränkte Sicht auf Migration verschließt sich davor, zum Beispiel den sozialen Status als Merkmal zu beleuchten. Heute wie damals ist es eher einer mobilen Elite vorbehalten, bildungsmotiviert zu migrieren. Diese Tatsache zeigt der Beitrag über frauenspezifische Bildungsmigration von polnischen Studentinnen der Züricher Universität im 19. Jahrhundert von Iwona Dadej explizit auf. Die Aufarbeitung historischer Fallbeispiele, die Migration als Form von Emanzipations- oder Individualisierungsprozessen aufzeigen, können der medien-öffentlichen Debatte neue Impulse geben.

Die Thematik der medialen Wahrnehmung von Migrantinnen wird im zweiten Abschnitt aufgenommen. Regina Wonisch stellt grundlegende Fragen nach dem Umgang mit Heterogenität, Differenz und Diversität anhand von Repräsentationen von Migrationsprozessen in Museen aus erinnerungspolitischer Sicht. Das Museum selbst als Institution und Teil der Gesellschaft ist an Konstruktionen und Darstellungen gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Diskurse maßgeblich beteiligt. Aufgrund mangelnder materieller Überlieferungen wird oft auf lebensgeschichtliche Erinnerungen der Migrantinnen und Migranten zurückgegriffen. Die Autorin merkt an, dass dieses Vorgehen sich für museale Zwecke nicht immer eignet, da die Definitionsmacht der Geschichten nicht bei den Migrantinnen und Migranten liegt. Wonisch schlägt in ihren Ausführungen hervorragend Brücken zwischen der Präsentation der Arbeiter-, Geschlechter- und Migrationsgeschichte. Die erst genannten stellen sich anfangs auch der Problematik der Aufarbeitung und Sichtbarmachung historischer und gesellschaftlicher Macht- und Ungleichheitsverhältnisse. Ansätze könnten aus den Errungenschaften der feministischen Tätigkeit zur Eigenrepräsentation in Museen geschöpft werden: Über die Kritik der Musealisierung von Frauengeschichten, welche die Subjekte unsichtbar macht, haben sich Fraueninitiativen mit der Strategie der Selbstermächtigung in zahlreichen Projekten die Partizipation an ihrer eigenen Darstellung erkämpft. Museumskonzepte könnten als ergebnisoffene „Kontaktzonen“ geschaffen werden, die Raum für Reflexionen bieten und wechselseitige Verhandlungen mit den „Repräsentierten“ zulassen.

Selbstermächtigung und Handlungsspielräume von Migrantinnen werden auch im dritten Abschnitt „Integration als gesellschaftliche Herausforderung“ aufgegriffen. Besonders hervorzuheben ist der Beitrag von Rukiye Kaplan und Sigrid Räkel-Rehner über die Ulmer Stadtteilinitiative „Mädchen und Frauenladen Sie´ste“. Hier ist es bereits 1992 gelungen, eine deutsche Fraueninitiative und Fraueninitiativen von Migrantinnen zu einem gemeinsamen Verein zusammenzuschließen, sich im Laufe der Jahre zu professionalisieren und bis heute einen eindrucksvollen Beitrag zur politisch geforderten „Integration vor Ort“ zu leisten. Diese generations- und nationalitätenübergreifende Zusammenarbeit ist deshalb bemerkenswert, da sie nicht die Realität von Zusammenarbeit widerspiegelt. Etablierten Fraueneinrichtungen der Mehrheitsgesellschaft ist es nicht immer gelungen, Migrantinnen gleichermaßen zu integrieren bzw. Migrantinnen fanden und finden wenig Zugang zu diesen Einrichtungen. In diesem Bereich besteht großer Nachholbedarf, da – wie der Beitrag bildlich darstellt – solche Vereinigungen enorm fruchtbar sind. Im „Frauenladen Sie´ste“ werden gemeinsame gendersensible (Begegnungs-)Freiräume geschaffen, in denen Mädchen und Frauen die Möglichkeit bekommen, sich durch kulturelle und soziale Angebote weiterzubilden.

Der kurze Einblick in die Artikel zeigt, dass das Ziel des Sammelbandes, welcher im Kontext der Tagung „Zwischen Welten – Frauen in Migrationsprozessen“ des Vereins Frauen & Geschichte entstanden ist, erreicht wurde und historische Geschlechterforschung mit sozialwissenschaftlicher Migrationsforschung und aktuellen politischen Debatten vereint werden konnte.

Iva Kocaman

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