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Bild von Dorothee Roth

Schwerbehinderung mit Ausweis

Ein Kampf um Prozente für den „Nachteilsausgleich“

Beim Diabetiker-Stammtisch fragte sie in die Runde: Habt ihr eigentlich einen Schwerbehindertenausweis? „Na klar“ kam es fast unisono zurück. „Und was bringt der euch?“ „Zum Beispiel 50 Prozent auf den Eintritt zu Veranstaltungen in der Centralstation“, lautete eine Rückmeldung. Oh, nicht schlecht. Hatte sie etwas falsch gemacht? Seit vielen Jahren hatte sie es immer wieder erwogen und dann verworfen, ihre Behinderung amtlich zu machen. Sie fürchtete Beeinträchtigungen im Berufsleben, beim Autofahren… Aber die Leidensgenoss/innen zählten immer mehr Vorteile des Schwerbehindertenstatus‘ auf. „Fünf Tage mehr Urlaub, wenn du angestellt bist. Besonderer Kündigungsschutz. Steuerliche Erleichterungen. Ermäßigungen selbst beim ADAC.“

Sie fand den Antrag im Internet und füllte ihn aus. Dazu wurden Arztberichte aus den vergangenen zwei Jahren gefordert. Damit konnte sie dienen. Gerade in den letzten zwei Jahren war es ihr sehr schlecht gegangen durch eine zusätzliche schwere Erkrankung. Die Entlassungsberichte aus den Krankenhäusern waren drastisch. Von ihrem Hausarzt erfuhr sie, dass das Versorgungsamt sich bei ihm weitere Auskünfte eingeholt hatte.

Nach drei Monaten kam der Bescheid: die Feststellung einer Schwerbehinderung von 70 Prozent, unbefristet. Sie wusste, dass das ein ziemlich hoher Grad ist. Denn ihre Diabetikerkolleg/innen haben in der Regel maximal 50 Prozent, manche haben Einspruch eingelegt. Für den Erhalt von Vergünstigungen spielt dieser Prozentsatz oft eine Rolle. 100 Prozent erhalten zum Beispiel Menschen, die schwer gelähmt im Rollstuhl sitzen oder völlig blind sind. Wenn unsere Diabetikerin nun ihren Schwerbehindertenausweis zückt, wundert sich das Gegenüber meistens, weil man ihr nichts ansieht. „Roter Apfel mit Wurmstich“, sagt sie dann. Und alles lacht.

Aber eine Behinderung, egal welcher Art, ist eigentlich nicht zum Lachen. Und der Schwerbehindertenausweis soll für „Nachteilsausgleiche“ sorgen.

Freie Fahrt im Nahverkehr

Der Ausweis ist grün und hat eventuell zusätzliche Merkzeichen. Ein G bedeutet „gehbehindert“, aG bedeutet „außergewöhnlich gehbehindert“, hierzu zählen zum Beispiel querschnittsgelähmte Menschen. Bl bedeutet blind usw. Diese Merkzeichen führen zu einer Freifahrtberechtigung im öffentlichen Nahverkehr. RollstuhlfahrerInnen erhalten einen Ausweis fürs Auto, um die speziellen Parkplätze nutzen zu können, die aber leider oft von den Autos von Leuten besetzt sind, die keineswegs behindert sind. „Wenn du mir meinen Parkplatz nimmst, dann nimm mir auch meine Behinderung!“ stand auf einem Schild, das zwei Mathilde-Frauen im Ausland (in Frankreich und in Kroatien) entdeckt haben.

In der Öffentlichkeit wird immer wieder darüber diskutiert, ob es überhaupt erstrebenswert sein kann, einen Schwerbehindertenausweis zu beantragen. Es wird eine stigmatisierende Wirkung befürchtet, da es noch immer Menschen gibt, die Behinderten mit einer negativen Einstellung begegnen. Viele Betroffene haben vor allem Angst vor beruflichen Nachteilen. Langfristig zahlt es sich aber trotz allem aus, mit der eigenen Behinderung offen umzugehen. Verheimlichen lässt sie sich in vielen Fällen ohnehin nicht. Insgesamt überwiegen die Vorteile, wenn frau die ihr zustehenden Rechte tatsächlich wahrnimmt. ­

Jutta Schütz

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