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Gabriele Wohmann am 5. März 2012

 

Aktuelle Veröffentlichungen:

Gabriele Wohmann:
Wann kommt die Liebe. Erzählungen. Aufbau Verlag, Berlin 2010. ISBN 978-3-351-03310-21, ca. 19,95 €

Gabriele Wohmann:
Sterben ist Mist, der Tod aber schön. Träume vom Himmel. Kreuz Verlag, Freiburg i.Brsg. 2011. ISBN 978-3-451-61023-3, ca. 14,95 €

Gabriele Wohmann:
Eine gewisse Zuversicht. Kreuz Verlag, Freiburg i. Brsg. 2012, ISBN 978-3-451-61064-6, ca. 14,99 €

Ilka Scheidgen:
Gabriele Wohmann – Ich muss neugierig bleiben. Die Biografie. Kaufmann Verlag, Lahr 2012, ISBN 978-3-7806-3112-1, ca. 19,95 €

Gabriele Wohmann:
Eine souveräne Frau. Erzählungen. Aufbau-Verlag, Berlin 2012, ISBN 978-3-351-03393-4, ca. 19,99 €,
erscheint im Mai 2012

Schreiben als „Genussvolle Krankheit“

Gabriele Wohmann wird 80:
Zu Besuch bei einer „literarischen Legende“

Venezianisch rot leuchtet der Bungalow an der Rosenhöhe. Und in der Einfahrt steht ein weiß-rot gestreiftes Wachhäuschen. Es schaut keiner raus, als ich klingele und nach dem Öffnen des Tors den Weg zum Eingang hoch laufe. Gabriele Wohmann erwartet mich an der Tür und bittet mich dann, eine schwarze Marmortreppe wieder hinunter zu gehen in ihr geräumiges Atelier. „Bitte gehen Sie zuerst, damit ich auf Sie fallen kann“, kommentiert sie ihr vorsichtiges Gehen ironisch. Und während ich meine Utensilien aus der Tasche krame – Lesebrille, Block und Stift – zündet sie sich eine Gauloise an. „Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich rauche?“ Wie könnte es, wir sind in ihrem Haus.

Unsere erste Begegnung war beim Italiener. Ich wurde erst auf sie und ihren Mann Reiner aufmerksam, als zwei Frauen am Nachbartisch tuschelten und heimlich mit einem Handy zu fotografieren begannen. „Ach ja?“ Gabriele Wohmann lacht, als ich ihr das erzähle bei unserem Interview. Sie gilt als „literarische Legende“, und sie fühlt sich eher geehrt als gestört, wenn man sie erkennt. „Das ist mir nicht lästig. Nein, es macht mir Spaß! Leider fällt es mir meist nicht ein zu fragen, wer sind denn Sie?“

Und wer ist sie, Gabriele Wohmann? Das möchten zurzeit viele wissen, um sie zu ihrem 80. Geburtstag am 21. Mai zu ehren. Er wirft seine Schatten voraus, etwa mit mehreren Interviewterminen, und ihr „schaudert davor“. Am schlimmsten sei der Tag selbst. Sie habe die Devise ausgegeben: „Wer mich liebt, kommt nicht“, doch prompt sei eine Freundin sehr beleidigt gewesen, die von Hamburg aus anreisen wollte. Sie habe überlegt, wie an anderen Geburtstagen an die Bergstraße zu ihrer Tante zu fahren, aber das könne man an einem solchen Datum wohl nicht tun. Nun versucht sie, ihrem Ehrentag mit Fassung entgegen zu sehen.

Rechtzeitig vor dem runden Geburtstag ist die Biografie von Ilka Scheidgen erschienen: „Gabriele Wohmann – Ich muss neugierig bleiben“ (Kaufmann Verlag, Lahr 2012). Warum sie nicht eine Autobiografie vorlegen wollte? „Das kommt mir so indiskret vor mir selbst gegenüber“, versucht Wohmann zu erklären. Außerdem sei ihr Gedächtnis nicht gut genug. Sie habe so vieles vergessen, was in ihrer Kindheit wichtig war. Und sie sei selbst zu rastlos für so eine Arbeit. Die Biografie von Ilka Scheidgen sei vor allem eine Werkbiografie („ich hatte darum gebeten“). Und ihr Mann habe die meiste Arbeit damit gehabt: „Er musste tief ins Archiv greifen. Und Ilka hat sich große Mühe gegeben.“ Es fehle aber in diesem Buch vieles aus ihrer Kindheit, auch von ihren Freundschaften sei wenig erzählt.

Immerhin kann man in der Biografie lesen, dass „die Wohmann“ als Gabriele Guyot in Darmstadt geboren wurde. Sie wächst in einem Pfarrhaus in Bessungen auf und geht auf die Viktoriaschule. Doch das Abi macht sie im Nordsee-Pädagogium auf der Insel Langeoog. Danach beginnt sie ihr Studium der Germanistik, Romanistik, Philosophie und Musikwissenschaft in Frankfurt und lernt den Kommilitonen Reiner Wohmann kennen, der ebenfalls aus Darmstadt stammt. Sie „schmeißt“ ihr Studium, und die beiden heiraten 1953 (im kommenden Jahr können sie Diamantene Hochzeit feiern!) und ziehen für ein Jahr nach Langeoog. Nach ihrer Rückkehr beendet er sein Studium und beginnt seine Laufbahn als Gymnasiallehrer, während sie „privatisiert“ und schreibt und schreibt und schreibt.... Über 100 Bücher sind seitdem entstanden. Erzählungen, Romane, Gedichte. Schreiben wurde ihr immer mehr zum Lebensinhalt. Auf vielen Lesereisen im In- und Ausland lernt sie die Welt kennen.

Ihr Mann Reiner hat von Anfang an großen Anteil an ihrem Schreiben genommen. Und er unterstützt sie rückhaltlos, nimmt ihr viele praktische Dinge des Lebens ab. Sie musste keine perfekte Hausfrau sein, sondern konnte sich ganz dem Schreiben widmen. Ein großes Privileg, nach dem sich viele andere Frauen nur sehnen können. Ob sie wohl deshalb nie eine erklärte Feministin gewesen ist? „Feminismus hatte ich nicht nötig“, sagt sie. „Schon mein Vater hat verhindert, dass ich mich als Mädchen geringer fühlen musste als meine Brüder. Meine Mutter kam mir auch nicht unterdrückt vor, selbst wenn in unserer Familie die klassische Arbeitsteilung praktiziert wurde. Aber sie konnte auch ihren Interessen nachgehen.“ In ihrer Ehe mache ihr Mann „fast alles, was das Haus betrifft. Ich mache das Frühstück und das Abendessen. Aber das sind Lappalien.“ Mit 54 ließ sich Reiner Wohmann auf eigenen Wunsch aus dem Staatsdienst entlassen und war von da an tätig als „Kleinstunternehmer“: als Lektor seiner Frau und zuständig in allen geschäftlichen Belangen.

Wer nun denkt, Gabriele Wohmann würde einen gemütlichen, gar faulen Ruhestand genießen, hat sich geirrt. „Ich kann es nicht. Wenn ich mal faul bin, dann leide ich drunter. Obwohl mein Freund Kierkegaard gesagt hat: „An sich ist Müßiggang durchaus nicht eine Wurzel allen Übels, sondern ist, im Gegenteil, ein geradezu göttliches Leben, solange man sich nicht langweilt.“ Langeweile kommt bei Wohmanns sicher nicht auf. Sie schreibt fleißig weiter, ist noch immer eine „Graphomanin“, wie sie sich selbst einmal bezeichnet hat. „Schreiben ist eine Krankheit, Nichtschreiben auch“, hat sie dazu gesagt. Ob diese „Krankheit“ auch qualvoll sein könne oder ob es eher eine große Lust am Schreiben ist, die so viel Produktivität bewirkt hat? „Wenn ich schreibe, ist es eine genussvolle Krankheit“, entgegnet die Autorin, auch wenn sie sich manchmal dazu aufraffen müsse.

Gabriele Wohmanns nicht nachlassende Schreibarbeit hat Ilka Scheidgen interpretiert als „ein Anrennen gegen die Vergänglichkeit, gegen die vielen überaus misslichen Dinge des Lebens.“ Auch thematisch hat sich die Schriftstellerin in letzter Zeit verstärkt mit der Vergänglichkeit beschäftigt. Im letzten und in diesem Jahr erschienen zwei Bücher im Kreuz-Verlag. Ihre Titel: „Sterben ist Mist, der Tod aber schön – Träume vom Himmel“ und „Eine gewisse Zuversicht – Gedanken zum Diesseits, Jenseits und dem lieben Gott“. Das sei aber kein neues Thema für sie, betont Wohmann. Schon als Kind habe sie viel über Vergänglichkeit nachgedacht. „Jetzt bin ich natürlich näher dran. Jetzt wird es ja bald ernst“, sagt sie ohne Pathos.

Ilka Scheidgen hat in ihrer Werksicht herausgefunden: ...“diese ganzen unerlaubten Vokabeln wie Gott, Erlösung, Himmel, Paradies, Glauben, Ewigkeit entdeckt man, wenn man aufmerksam liest, wenn man sie nicht überliest, in allen Büchern Gabriele Wohmanns, und zwar schon von Anfang an. Aber sie sind so unauffällig hineingeschmuggelt, dass kein Kritiker bis jetzt auf den Gedanken gekommen ist, Gabriele Wohmann als christliche Autorin einzuordnen.“ Glaube, Liebe, Hoffnung – über diese drei göttlichen Tugenden hat Gabriele Wohmann in den aktuell erschienenen Büchern geschrieben. „Ich glaube, weil ich unbedingt nicht nicht glauben will. Als ungläubiger Mensch auf dieser Erde herumzutapsen, wäre mir so zuwider! Ich könnte es überhaupt keinen Tag aushalten“, bekennt die Pfarrerstochter (Zitat aus „Sterben ist Mist, der Tod aber schön“).

Nach den für sie wichtigen Botschaften, die in diesen Büchern enthalten sind, meint Gabriele Wohmann, dass sie nun „im Grunde alles geschrieben habe, was gesagt werden sollte“. Aber vielleicht kann sie sich, von der inneren Verpflichtung zu diesen hoffnungsvollen Aussagen befreit, in Zukunft wieder ganz anderen Themen widmen. „Ich muss neugierig bleiben“, so der Untertitel der Scheidgen-Biografie. Und so können wir uns wohl freuen auf weitere detailverliebte, oft skurrile Alltagsgeschichten im „Wohmann- Sound“.

Jutta Schütz

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