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LabyrinthGehen lehrt Vertrauen und Sicherheit

Sind alle eingeweiht, muss niemand blind vertrauen, können alle sehenden Auges mitlaufen. Li Shalima

Seit ich Anfang der 1980er Jahre Labyrinthe kennengelernt habe und sie begehe, habe ich eine Ahnung, eine Gewissheit, dass es andere Erklärungen, Deutungen und Sinn- Gebungen gibt, als das, was mir in der einschlägigen Literatur begegnet und ich in Frauengruppen erfahren habe. Als ich 2007 Li Shalima in ihrer Arbeit mit dem Labyrinth kennenlernte, wusste ich sofort: Das ist es, was ich schon lange gesucht habe! Li arbeitet mit der Urform des Labyrinths, das wir heute auch das klassische oder kretische Labyrinth nennen, nur dieses kennzeichnet sie als Labyrinth. Erklärungen und Deutungen schöpft sie aus dem kulturellen Schaffen von Frauen. Ihre Labyrinth-Praxis bietet für mich ungeahnte Dimensionen, die es nach wie vor zu erschließen gilt und die eine gesellschaftliche Perspektive aufzeigen. Ich erlebe, dass Li Shalima das Labyrinth in mir lebendig werden lässt.

Die politischen Möglichkeiten bringen die Züricher Labyrinthfrauen auf den Punkt, wenn sie fordern: „So selbstverständlich wie Fußballplätze, Bibliotheken, Hallenbäder und andere öffentliche Einrichtungen sollte in Gemeinden und Städten ein Labyrinthplatz zur Verfügung stehen, von Frauen initiiert, verwaltet und in Absprache mitgestaltbar, frei zugänglich, für alle; als Ort der Besinnung, als Neuorientierung in der Gegenwart als Kulturmuster für Umgangs- und Begegnungsformen im öffentlichen Raum.“

Seit Männergedenken bis in die Gegenwart werden immer wieder lebensfeindliche Leit (d)bilder geschaffen, für Männer wie für Frauen. Die Frauenbewegung der 1970er/ 1980er Jahre hat in vielen Aspekten dazu beigetragen, Lebensbilder zu kreieren und sie mit einer entsprechenden Praxis in die Welt zu senden, die das Leben in den Mittelpunkt stellen und nicht Gewalt, Gier und Verachtung allen Lebens. Zu diesen Lebensbildern gehört das LabyrinthGehen.

Die Form des Ur-Labyrinths vermittelt: Wir gehen hinein und gehen hinaus, Schritt für Schritt, ohne uns verirren zu können. Also eine Botschaft und ein Tun, das Vertrauen und Sicherheit lehrt. Das sich abwendet vom höher, schneller, weiter, von Gewalt und Herrschaftsausübung. Deshalb fasziniert das LabyrinthGehen, deshalb weist es einen Weg in die Zukunft, in ein gutes Leben für alle. Das Labyrinth ist kein Symbol, sondern es ist lebbares Tun, Handeln in der Gegenwart. Der Sinn des LabyrinthGehens liegt darin, sich dieses Erleben in seiner Einfachheit und Schlichtheit zuzumuten, es auszuhalten, sich daran zu erfreuen, daran zu wachsen - nicht mehr und nicht weniger. Selbstbegegnung als Maß unserer Lebensorientierung und die Begegnung mit Anderen und Anderem, in Beziehung zu sein. Alle können die Botschaft des Labyrinths über den eigenen Körper in der jeweiligen Muttersprache verstehen und nutzen.

Wir wissen nicht, wie das Labyrinth entstand, die Bedeutung und praktische Anwendung erschließt sich uns über Vermutungen, Phantasien, Überlieferungen und Ahnungen. Aufgrund der Labyrinth-Funde ist davon auszugehen, dass es sie seit mindestens 4000 bis 5000 Jahre gibt. Wenn ich heute allein oder in Gruppen LabyrinthGehe, spüre ich die Weisheit vieler Kulturen und Völker, in denen das Labyrinth womöglich eine tiefe existentielle Aufgabe hatte. In vielen weltumspannenden, alle Zeiten umfassenden Kulturen ist das Labyrinth gefunden worden, aber nicht in allen. Hermann Kerner vermutet, dass das Labyrinth einer gewissen kulturellen Entwicklung einer Gesellschaft bedarf. Ist es deshalb über viele Jahrhunderte in patriarchalen Zeiten fast verschwunden, verunstaltet und missbraucht worden? Besteht jetzt die Chance mit dem Labyrinth ein das Leben erhaltendes Weltbild zu praktizieren?

LabyrinthGehen lässt Lebensanalogien erfahren. Li Shalima sagt: Der LabyrinthWeg orientiert sich am weiblichen Leib und den drei weiblichen Lebensphasen, der Jungen, der Gebärenden und der Alten. Es ist ein maß-voller Weg, der Fülle und Vielfalt bietet und nicht das Maß überschreitet. Das Labyrinth lehrt umsichtiges Denken und Handeln. Ausgangsformel des Labyrinths ist das Erdkreuz, das auch für den Jahreskreis mit seinen acht Festen steht. Einfache und klar erkennbare Teile prägen das Labyrinth: drei Wege im Außen, drei Wege im Innen und dazwischen der Weg, der die beiden miteinander verbindet und gleichzeitig auch trennt. Damit können wir der Maßlosigkeit unserer heutigen Welt begegnen. Das Labyrinth ist der kleinste gemeinsame Nenner, der die größtmögliche Vielfalt enthält. Das ist die spirituelle Grundformel, die zum Erhalt allen Lebens auf dieser Erde führt. Eine Sinn-volle Ordnung. LabyrinthGehen schafft Verbindung zu Anderen und Vertrauen in uns selbst.

Li Shalima erklärt: Eine der schönsten und für mich wichtigsten Choreografien im Labyrinth ist diejenige, bei der wir die ersten vier Umgänge an der Hand einer Anderen, die lange vor uns gegangen ist, geführt werden, dann ein Stück alleine gehen, um am Ende, auf dem Rückweg selbst eine Andere an die Hand zu nehmen.

Anleitung: Eine geht ins Labyrinth und kommt von der Mitte heraus, eine andere geht hinein. Sie trifft nach den ersten Schritten auf die Herauskommende. Sie können sich vier Umgänge lang an die Hand nehmen, jede geht auf ihrem Weg. Bis sie sich loslassen und die eine herausgeht aus dem Labyrinth und die andere bis zur Mitte alleine ihren Weg geht.

In der Mitte können sie etwas loslassen und sich selbst begegnen. Auf dem ersten Teil des Rückweges ist Zeit zur Vertiefung und nach innen zu schauen. Dann wird die Rausgehende selbst zur Person, die einen Neuankömmling an die Hand nimmt und sicher führen kann. Und so geht wieder eine neue Person an der Hand einer anderen, die lang vor ihr einmal selbst geführt worden ist. Und so weiter und so fort.

Quelle: „...die symbolische Mutter in Ordnung bringen“ - ein Labyrinth Film-Vortrag von Li Shalima, Christel Göttert Verlag, Rüsselsheim 2011 (Mitschrift B.L.)

Weiterführendes zum Lesen und Betrachten:
Agnes Barmettler u.a., Erzähl mir Labyrinth - 20 Jahre Züricher Labyrinthplatz, Christel Göttert Verlag, Rüsselsheim 2011
Ilse M. Seifried (Hrsg.), Das Labyrinth oder die Kunst zu wandeln, Haymon Verlag, Innsbruck 2002
Hermann Kern, Labyrinthe - erscheinungsformen und deutungen, 5000 Jahre Gegenwart eines Urbildes, München 1982
„...die symbolische Mutter in Ordnung bringen“ - ein Labyrinth-Film-Vortrag von Li Shalima, Christel Göttert Verlag, Rüsselsheim 2011

www.labyrinth-international.org
begehbare-labyrinthe.de
atelier-lishalima.de
frauen-gedenk-labyrinth.de
zeughaushof.ch

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