Werden Sie auch eine

MATHILDE

Afro-inspirierter Tanz in Darmstadt: "Wollen, können und nichts müssen"

Wer die Turnhalle betritt, sieht vor allem Frauen fast jeden Alters in Gymnastikkleidung, manche haben sich ein buntes Tuch um die Hüften geschlungen, einige tragen auch hier Schmuck, den sie für viel Bewegung und Spaß passend finden.

Dienstagabend, wir sind beim Afrotanzen in der Heinrich-Hoffmann-Schule Darmstadt, Anziehungspunkt für viele Frauen und bislang wenige Männer, die im positiven Lebensgefühl und den kraftvollen Rhythmen des Afrotanzens einen Ausgleich zu ihrem Alltag finden. Nach einigem Hallo in der Umkleide zwischen den Langjährigen, Routinierten und den Neuen, Neugierigen, sind sie in der Halle angekommen, holen sich Matten. Bereits die Aufwärmgymnastik kommt sehr gut an. Bei der professionellen Physiotherapeutin und ausgebildeten Sport- und Gymnastiklehrerin Angelika Renk sind sie gut dran. Muskelkater, so loben viele der TeilnehmerInnen, gibt es hinterher nicht.

Gut gedehnt und aufgewärmt stellen sie sich schließlich im Kreis auf. Links haben sich die Trommler platziert. Anani Attih (Togo/Heidelberg) und Cornelius Dengler begleiten die TänzerInnen seit Jahren mit ihrem mitreißenden Engagement. Die Live-Musik ist für viele eines der Highlights des Abends. Beim Tanzen kommt ein Prozess auf Gegenseitigkeit in Gang. Wenn die Musiker merken, dass es der Gruppe Spaß macht, fühlen sie sich angesprochen und legen noch mehr Power und Ausdruck in ihr Trommeln. Aber auch zwischen den Tanzenden gibt es einen ganz spezifischen Austausch: Sie stellen sich aufeinander oder auch auf die Lehrerin ein. “Ein Gemeinschaftsgefühl entsteht“, beschreibt Tänzerin Sonja die Atmosphäre.

Lehrerin Angelika hebt ihren experimentellen Zugang hervor. Sie knüpft an Rhythmen aus der Malinké-Tradition Westafrikas an, die im Senegal, in Mali, Ghana und der Elfenbeinküste zu finden sind. Afro-Tanz wird zum Afro-inspirierten Tanz. Erstarrte Traditionen gebe es auch in Afrika nicht, erklärt sie. Sie nimmt sich die Freiheit, die althergebrachten Formen so weiterzuentwickeln, dass sie noch mehr Spaß machen – und der Gesundheit dienen. So wurde ihr Tanzangebot auch schon als Therapie für Gelenkschmerzen nach Sportunfällen erfolgreich genutzt. Aber auch wer einfach nur Entspannung und Lebensbejahung oder Erdung sucht, findet hier eine “Tankstelle“, wie Tänzerin Christine es ausdrückt.

Angelika Renk, die bereits ihr halbes Leben lang Afro tanzt, beschreibt die Erfahrungen, auf deren Basis sie Choreografien entwickelt und die Tänze vermittelt: “Es bedeutet für mich Erde, Atmen, Rhythmus, Fluss, Groove, Schweiß, Freude, Akzeptieren meines Körpers und die Art, wie ich mich bewege; lockerlassen, aus der Entspannung heraus tanzen, lockerlassen, mich in Fluss bringen, nichts erzwingen, auf den Körper vertrauen und auf die anderen im Kreis, Rhythmus in mich aufnehmen und durch mich hindurchfließen lassen, gemeinsam tanzen, Offenheit; Vitalität; Erde; schauen, was passiert und was sich ergibt, geschehen lassen …“

Sabine fasst ihre Tanzerlebnisse so zusammen: “Die Choreographie und das damit verbundene Koordinationstraining lassen keinen Raum für andere Gedanken, für anderthalb Stunden bin ich nur in dieser Tanzwelt ohne Gedanken, was mich sonst im Leben noch erwartet. Ich komme danach gereinigt, mit mir selbst im Klaren und glücklich kaputt nach Hause.“ Viele genießen es wie Anna, dass es hier nicht um Leistung, sondern um Spaß geht. Auch Burnout soll mit Afrotanzen schon abgewendet worden sein. Einige verspüren nach den zwei intensiven Tanzstunden und weiterem Stretching angenehme Erschöpfung, andere eine Leichtigkeit oder innere Kraft, die noch über Tage anhält. “Auch als wirkungsvolle Vorbeugung gegen depressive Stimmungen und Zustände“, empfiehlt Sonja. “Ich zumindest“, bekennt sie, “fange irgendwann beim Tanzen oft unbewusst einfach zu lächeln an.“ Eine anonyme Tänzerin, bringt es auf den Punkt: “Unser Körper und unsere Seele brauchen das Tanzen genauso wie Essen und Trinken.“ - Auf der Basis von Texten von Angelika, Sonja, Walter, Susanne, Anna, Christine, Sabine, Thorsten u.a.

Brigitte Gotthold

zurück

MATHILDE