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In Paris: auf den Spuren berühmter Frauen

Nur 200 Straßen der Metropole tragen die Namen von Pariserinnen

Bei meinem natürlich nur vorläufig letzten Besuch des geliebten Paris zeigte meine Freundin Hélène mir und zwei anderen „copines“ mit großer Begeisterung ihre neueste Buchentdeckung: “ PARISIENNES“, ein im Juni 2011 im französischen Verlag Balland erschienenes Buch von Malka Marcovich.

Die Autorin, eine hübsch frauenbewegt engagierte Historikerin, hatte mit angemessener Empörung festgestellt, dass es in Paris, sage und schreibe, 4000 Straßen und Plätze gibt, die nach einem Mann benannt wurden, und dass dagegen nur 200 Straßen den Namen einer Frau tragen dürfen. Mit ihren beeindruckenden Recherchen zu den „PARISIENNES“ will Marcovich auf diesen Missstand aufmerksam machen und gleichzeitig dazu einladen, sich auf eine Pariserinnen-Spurensuche zu begeben. Ihr gefiele das Wort „flaner“, man solle durch die französische Hauptstadt flanieren und dabei schauen, wer diese Frauen waren, die in der französischen Metropole eine besondere Rolle gespielt haben oder noch spielen. Wer sind jene Frauen, die das tatsächliche Paris geprägt haben und prägen, all jene, die ganz und gar nicht dem Klischee von Sexweibchen oder Modepuppen entsprechen, das leider immer noch allzu verbreitet sei, wenn man sich eine Pariserin vorstelle. Im Vorwort ihres hervorragend recherchierten, spannend zu lesenden Pariserinnenbuches bemerkt die Autorin außerdem, wie auffallend es doch sei, dass es oft nur winzige Gassen sind, die den Namen einer Frau tragen. Das sei ein repräsentativer Ausdruck für die fehlende Anerkennung dessen, was Frauen jahrtausendelang in Frankreich geleistet haben und heute weiterhin an Besonderem leisten.

Mit dem Buch unterm Arm durch Paris

Malkovich interessiert sich einerseits für diese etwa 200 Frauen, denen – im Gegensatz zu Tausenden anderer bemerkenswerter Geschlechtsgenossinnen – die Ehre zuteil wurde, dass sie nun per Namensnennung öffentlich erwähnt wurden. Sie erinnert aber auch an viele andere Frauen, denen ebenfalls unbedingt eine gewisse „Hommage“ zustünde. So zum Beispiel an jene Marktfrau aus den Hallen, die schließlich allein deshalb auf der Guillotine endete, weil sie sich einmal auf ein kurzes Gespräch mit Königin Marie-Antoinette eingelassen hatte.

Wir waren zu viert, als wir an einem sonnigen Herbstwochenende beschlossen, mit dem PARISIENNES-Buch unterm Arm Paris und seine Frauen noch besser zu entdecken. Da wir uns im 17. Arrondissement getroffen hatten, begaben wir uns gleich dort auf erste Spurensuche und stießen auf die Geschichte der engagierten Frauenrechtlerin Maria Deraismes (1828 bis 1894), von der bisher keine von uns gehört hatte. Neben der Rue Maria Deraismes entdeckten wir in einem kleinen Park eine Statue, die zu Ehren der talentierten Rednerin und ersten weiblichen Freimaurerin aufgestellt wurde. Deraismes kämpfte vor allem dafür, dass mehr Mädchen Zugang zur Bildung erhielten. Unweit des Parks befindet sich eine Berufsschule, die aus diesem Grunde nach Maria Deraismes benannt wurde. Mit einer aktuellen Statistik macht Malkovich in diesem Zusammenhang deutlich, dass auch in Frankreich in vielen Berufssparten und Ausbildungszweigen der Frauenanteil nach wie vor erschreckend gering ist.

Jetzt geht es weiter ins 18. Arrondissement. Dort liest uns Sophie auf dem „Place Dalida“ bewegende biographische Notizen zur Sängerin vor und trällert die französische Variante des bekannten Dalida-Chansons „Salma Ya Salama“.

Bevor wir uns zum „Place Suzanne Valadon“ aufmachen, nehmen wir dort ganz in der Nähe im Restaurant „Le Moulin de la Galette“ ein köstliches kleines Mittagessen ein. Es heißt, dass hier Renoir und Toulouse-Lautrec verkehrten, die beide große Verehrer der Suzanne Valadon waren. Vielleicht haben sie sich ja dort mit ihr getroffen, stellen wir uns vor, während wir uns nun - von Malka Marcovich angeregt - lange über Künstlerinnenschicksale unterhalten. Die begabte Autodidaktin Valadon konnte als Malerin im 20. Jahrhundert ihr großes Talent ausleben, während die Bildhauerin Camille Claudel, die uns beim Flanieren durch Paris schließlich auch noch begegnen wird, als Künstlerin im 19. Jahrhundert von Anfang an extrem harten Bedingungen ausgesetzt war. In unserem Pariserinnen-Buch finden wir ein ganz besonders anrührendes Briefdokument der absolut klarsichtigen, verzweifelten Camille, die darin ihren Bruder anflehte, sie aus dem menschenunwürdigen „Irrenhaus“ zu erlösen. Nicht boshaft, aber leicht ironisch und sehr klug, macht sie dabei Anspielungen auf die ausgeprägte Religiosität ihres Dichterbruders.

Wer war Marie-Andrée Lagroua Weill Halle?

Wir wussten es auch nicht und erfahren heute, dass sie diejenige war, die nach einer Reise in die USA im Jahr 1947 den Anstoß zu der Bewegung MLAC* (Mouvement pour la Liberté de l`Avortement et de la Contraception) gegeben hatte. Sie und ihre Mitstreiterinnen kämpften höchst engagiert für das Recht der Frauen, über den eigenen Körper zu bestimmen und machten auf eindrucksvolle Weise mobil. Erst 1967 wurde in Frankreich die Verhütung liberalisiert, und erst acht Jahre später konnte mit dem Gesetz Simone Veil der Schwangerschaftsabbruch legalisiert werden.

„Endlich mal eine feministische Paris-Lektüre“, denke ich, als ich die treffenden Kommentare zum tragischen Mord an Marie Trintignant lese, der in Frankreich dazu beitrug, dass dem Thema häuslicher Gewalt mehr Bedeutung beigemessen wird. Der Square Marie Trintignant befindet sich ganz in der Nähe der Crèperie, in der wir uns jetzt stärken und überlegen, welchen unserer Lieblings-Pariserinnen wir denn morgen einen Straßen- oder Parkbesuch abstatten wollen: Olympe de Gouges? Georges Sand? Colette? Simone de Beauvoir oder Hannah Arendt?

Neben der Übersetzung dieses großartigen Paris-Frauenbuchs, die hoffentlich bald ein deutscher Verlag in Auftrag gibt, hoffen wir, dass sich eine aufrafft und so etwas auch für deutsche Städte macht. Positive Vorbilder von aktiven Frauen in allen Bereichen der Gesellschaft spielen öffentlich so eine geringe Rolle, dass man dem mit solchen Büchern vielleicht etwas entgegenwirken kann. Dem sollten aber Initiativen für die Benennung von Straßen und Plätzen voraus gehen. Da könnten die MATHILDE-Leserinnen durchaus Vorschläge machen?

Sanne Glanz

* MLAC: Bewegung für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbruch und Empfängnisverhütung

Malka Markovich: Parisiennes.
De Marie Stuart à Simone de Beauvoir, ces femmes qui ont inspiré les rues de Paris.
Editions Balland 2011, ISBN: 9782353151028, ca. 24,90 €

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