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Orchestermusikerinnen

Während die Universitäten in Deutschland ihre Tore für Frauen erst nach 1900 öffneten, war das Musikstudium an staatlichen und privaten Musikhochschulen für Frauen bereits seit den 1870er Jahren möglich. In den Gründungsstatuten der königlichen Musikschule München von 1874 heißt es z.B. ausdrücklich: „Der Zutritt zum Unterricht ist In- und Ausländern ohne Unterschied des Geschlechtes gestattet.” Dort waren um 1900 bereits etwa 40% der Studenten weiblich.

Die meisten der Musikstudentinnen belegten die Fächer Klavier und Gesang und hofften auf eine Solokarriere. Notfalls wollten sie als Musiklehrerin arbeiten. Die Anstellung in einem Theater- oder Symphonieorchester war zu dieser Zeit fast unmöglich, da Dirigenten mit Ausnahme der Harfenistin keine Frauen einstellten. Wegen mangelnder Arbeitsmöglichkeiten wuchs im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts die Zahl der Damenorchester, die in vielen Städten in In- und Ausland erfolgreich auftraten. Berühmt war das im Jahre 1900 gegründete Berliner Tonkünstlerinnen-Orchester. Am Gründungskonzert standen u. a. Johann Sebastian Bachs „Brandenburgisches Konzert” Nr. 3, G-Dur (BWV 1048), Felix Weingartners „Serenade” sowie Robert Schumanns Adagio op. 59 Nr. 6 auf dem Programm.

Am Orchester des Darmstädter Hoftheaters sind Musikerinnen im 19. Jahrhundert nicht bekannt. Allenfalls als Klaviersolistinnen traten einige wenige Frauen bei Konzerten auf. So z.B. die Pianistin Henriette Luise Ritter (1794-1874) aus Mannheim, die 1811 bei einem Konzert in der Darmstädter Oper spielte. Sie heiratete 1824 den Konzertmeister der Darmstädter Hofkapelle, Wilhelm Casimir Schmitt und machte sich einen Namen als Klavierpädagogin in Darmstadt. Zusammen mit ihrem Sohn, Philipp Carl Schmitt gründete sie 1851 eine Musikschule, die Vorgängerin der städtischen Akademie für Tonkunst.

Auftritt des ersten Europäischen Damenorchesters in Darmstadt

Artikel aus der Darmstädter Zeitung am 2. November 1873

Das Concert der Damenkapelle

„Von allen Concerten dieser an musikalischen Genüssen ungemein reichen Saison war der gestrige, von der Damenkapelle veranlasste, unstreitig der unterhaltsamste. Dieses von Frau Josefine Aman Weinlich dirigierte Orchester besteht aus 15 Violinen, 3 Bratschen, 1 Cello, 5 Kontrabassen, 2 Flöten, 2 Clarinetten, 3 Hörner, 1 Bassetthorn und einem Harmonium, welches letztere die Stimmen von Fagott und Oboe vertritt.

Unter diesen sind eine erste Violinspielerin und eine Cellistin, Virtuosen auf ihren Instrumenten. Erstere, Fräulein Pauline Jewe, welche von mehreren unserer ersten Musiker geradeaus mit Milanollo verglichen wurde, ist bewundernswürdig sowohl durch die absoluten Reinheit des Tons, wie durch die Leichtigkeit und Grazie, mit welcher sie die technischen Schwierigkeiten überwindet. Dieselben Vorzüge kann man dem Spiel von Fräulein Louise Dellmayer nachrühmen, die durch eine Composition von Lasner gleich ihrer Collegin den Beifall der Zuhörer gewann.

Die übrigen Damen leisten, was ein gutes Orchester leisten soll. Geleitet von einer aufmerksamen, durch allen ihren Bewegungen eine große Energie verratenden Dirigentin, welche jede Instrumentengruppe im Auge hat, unter welchen die Einzelne so gesetzt sind, dass eine weniger geübte Spielerin immer zwischen zwei geübte kommt, und welche da, wo es nötig ist, zur richtigen Zeit einen Wink gibt, überrascht es sowohl durch die Präcision, mit welcher die einzelnen Instrumente eintreten, wie durch die feine Nuancierung, charakteristisches Piano und Forte und ausdruckvolles Crescendo und Decrescendo.

Ungemein schön war z.B. das Anschwellen des Tons bei dem Gretryschen Chor, „die Wache kommt”. Alle Damen, welche Streichinstrumente spielen, sind offenbar auf dieselbe Weise nach derselben Methode geschult. Wie eine Compagnie Soldaten beim Parademarsch immer genau dieselbe Linie einhält, so führen die Streicher alle denselben Bogenstich, man sieht immer auch parallele Bogenbewegungen.

Von den Blasinstrumenten werden die Flöten von Damen, Klarinetten und Blechinstrumente von Knaben, Schülern der Musikschule zu Dresden, geblasen.

Die Damen stehen mit Ausnahme einiger wenigen abgesehen, in einem Alter von zwölf bis vierundzwanzig Jahren; die große Mehrzahl ist unter zwanzig und befinden sich eine große Zahl recht freundlicher Gesichtchen darunter. Sie sind alle schwarz und gelb gekleidet. Die Kapellmeisterin, eine elegante Wienerin, ist dagegen durch einen schwarzen Jupon mit gelben Auszeichnungen, sowie durch einen hohen Chignon von den übrigen Damen unterschieden. Außerdem führt sie eine mächtige silberne Batuta (Taktstock)…

Wenn man nun den einzelnen Spielerinnen das landesübliche Bild, dass man gewöhnlich von einem Orchestermitglied zu machen pflegt, gegenüberhält, so kann man sich denken, wie ergötzlich es ist, dem Treiben der Damenkapelle zuzusehen und zuzuhören.”

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