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Im Feenreich des Karst

Unterirdische Wunder, Alpengipfel und Adriastrand in Slowenien

Ein kleines buntes Lebkuchenherz, Geschenk der Wirtsleute des historischen Gasthauses Lectar (»Der Lebkuchenbäcker«) in der oberkrainischen Stadt Radovljica, verfehlt seine Wirkung nicht: Es erinnert uns an die herzliche Gastfreundschaft, die wir in Slowenien auf Schritt und Tritt genießen konnten. Die Freundlichkeit der Menschen zeigt sich schon darin, so unser Reiseleiter Marijan Kriškovic, dass es kaum Schimpfwörter in der slowenischen Sprache gebe. »Möge dir ein Huhn einen Tritt verpassen«, sei schon einer der schlimmsten Flüche. Die Hühner müssen auch für die Selbstironie der Slowenen und Sloweninnen über ihre Heimat herhalten: »So klein ist das Land, dass ein gut genährtes Huhn mit Leichtigkeit darüber hinwegfliegen könnte«, sagt man hier. Und tatsächlich ist Slowenien nur halb so groß wie die Schweiz, hat aber neben schneebedeckten Alpengipfeln auch einen Zipfel Adriaküste zu bieten. Mit großer Vielfalt auf kleinstem Raum wirbt Slowenien, das sich - seit dem Zweiten Weltkrieg Teilrepublik des sozialistischen Jugoslawiens - 1991 für unabhängig erklärt und seitdem zu einer marktwirtschaftlichen Demokratie gewandelt hat, für den Tourismus. Seit 2004 ist der kleine, prosperierende Staat Mitglied der Europäischen Union.

Zwischen der Alpenregion Gorenjska (Oberkrain) und den Urlaubsorten an der nördlichen Adria liegt der geheimnisvolle Karst (kras = steinerner Boden). Eine Gebirgslandschaft aus Kalkstein mit einem Hochplateau, das von Graten und Rinnen zerfurcht ist und unterirdische Naturwunder birgt: märchenhafte Grotten und Tropfsteinhöhlen sind das Werk des Wassers, das immerzu auf löslichen Kalkstein tropft und bizarre Formen hervorbringt. Berühmt ist die fast 20 Kilometer lange Adelsberger Grotte oder Postojna- Höhle, die auf 5,2 km besichtigt werden kann, davon allerdings nur 1,7 Kilometer zu Fuß.

Die Besucher besteigen in der Höhle, in der eine konstante Kälte von 8° C herrscht, zunächst einen kleinen, offenen Zug, der ziemlich flott 3,5 Kilometer bis zum »Kalvarienberg« fährt. Dort kann man sich einer Führung in deutsch, englisch, französisch oder italienisch anschließen. Alles ist bestens organisiert in der Postojnska jama, die der Bildhauer Henry Moore als »beste Skulpturenausstellung der Natur« bewunderte. Millionen von Jahren alte Stalagmiten wachsen wie Pilze, kleine Gnome oder Orgelpfeifen aus dem Boden. Domhohe Hallen wirken wie ein spitzzipfeliges Feenreich. Im »Spaghetti-Saal« sind die aus der Decke wuchernden Stalaktiten so fein wie Fäden. Die schönsten Tropfsteinformationen besitzt der 40 Meter hohe »Konzertsaal«, der zehntausend ZuhörerInnen fasst.

Rund eine Million BesucherInnen werden alljährlich durch diese Höhle geschleust. Weniger überlaufen und vielleicht noch spektakulärer sind die 35 Kilometer westlich gelegenen Höhlen von St. Kanzian (Škocjanske Jame), die 1986 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurden. Ein fast hundert Meter tiefer unterirdischer Canyon kündigt sich durch anschwellendes Rauschen an. Künstliche Beleuchtung durch Positionslampen am Felsenweg und dichte Wassernebel schaffen eine gespenstische Atmosphäre, die Dante Alighieri zu den apokalyptischen Visionen seiner »Göttlichen Komödie« inspiriert haben soll. Nach dem Höhlenausgang geht es mit einer Gondel wieder bergauf.

Zum slowenischen Höhlen-Wanderweg zählen noch eine Reihe anderer Höhlen. Aber auch über der Erde birgt der Karst, der 40 Prozent der Fläche Sloweniens einnimmt, erstaunliche Sehenswürdigkeiten. Etwa die Burg von Predjama, die sich mit ihrem grauen Gemäuer in einen Felsen schmiegt und über kilometerlange Geheimgänge mit den Karsthöhlen verbunden ist. Nur durch Verrat konnte der hier im 15. Jahrhundert hausende Raubritter Erasmus Lueger bezwungen werden. Eine Kanonenkugel traf ihn, als er auf dem Abort saß. Kein Führer, keine Führerin würde diese tragische Geschichte auslassen. Mit dicken Mauern befestigt war auch die Kirche von Hrastovlje, ebenfalls Unesco-Weltkulturerbe wegen ihrer fantastischen gotischen Fresken, die sich über alle Wände und die Decke ziehen. Gemalt wurden sie 1490 von Meister Johannes von Kastav. Besonders eindrucksvoll ist der »Totentanz«, bei dem der Tod alle gesellschaftlichen Stände, ob Bettler oder Graf, Papst oder Kaiser unerbittlich ins Grab führt.

In einer kleinen Karst-Oase mit Quelle entstand das berühmte Gestüt von Lipica (»Klein-Linden«), Urheimat der Lipizzaner. Seit 1580, als Erzherzog Karl die ehemalige Sommer-Residenz der Bischöfe von Triest kaufte, werden hier Pferde gezüchtet. Rund 350 Lippizaner stehen in den Ställen. Anfang Mai dürfen die Stuten mit ihren schwarzen Fohlen auf die Weide. Sie haben zunächst nur weiße »Söckchen«. Erst im Lauf der Zeit - manchmal dauert es bis zu zehn Jahre - wird ihr Fell schneeweiß. Die Lipizzaner eignen sich bestens für die Dressur. Nach rund fünf Jahren Ausbildung können sie Pirouetten und Piaffen vorführen, wie man sie von der Wiener Hofreitschule kennt, die allerdings heute mit Pferden aus dem steirischen Piber versorgt wird. Pferdefreunde und -freundinnen können in Lipica Reitkurse und Reiterferien buchen und in einem der beiden komfortablen Hotels auf dem Gelände übernachten.

Auch kulinarische Spezialitäten hat das Karstgebiet zu bieten. Vor allem den luftgetrockneten Karstschinken (pršut) und den rubinfarbenen, fruchtigen Rotwein Terran (von terra rossa, »rote Erde«). Schon von den Römern wurde er wegen seines hohen Eisengehalts als Heilwein geschätzt. Er mag bei der Verdauung eines typischen Karstmenüs, das im Hauptgang meist aus einem deftigen Eintopf besteht und vielleicht mit einem süßen, schmalztriefenden Strudel endet, hilfreich sein. Dober tek! Guten Appetit!

Jutta Schütz

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