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Frauen & Sport

Die Nacht der Nächte - von der Mystik des meditativen Laufens

Laufen ist ein Sport, der zu jeder Tages- und Nachtzeit und bei fast jedem Wetter ausgeübt werden kann. Und dabei ist es egal, wie schnell man oder frau unterwegs ist, auch im gemütlichen Joggingtempo oder als WalkerIn ist es wunderbar, die Natur zu genießen. Und das geht ja gerade in Darmstadts Wäldern oder auch im Odenwald, dem Ried, an der Bergstraße oder auch in den Parkanlagen gut.

Wer es gerne in der Gruppe mag, ist bei den vielen Treffpunkten des Darmstädter Lauftreffs sehr gut aufgehoben, dort wird für jede LäuferIn oder WalkerIn etwas angeboten – und das nahezu jeden Tag völlig kostenlos.

Bei mir war der Darmstädter Lauftreff vor vielen Jahren die Initialzündung für ein Erlebnis der ganz besonderen Art, das ich mittlerweile schon mehrfach habe erfahren dürfen. Eine Lauftreffleiterin erzählte beiläufig von „der Nacht der Nächte”, in der Laufen in einer völlig neuen Dimension erlebt werden könnte. Das hat mich neugierig gemacht und als ich erfuhr, um was es sich handelt, war mir klar: da möchte ich dabei sein! Es hat dann zwar noch über 20 Jahre gedauert, bis ich mein Vorhaben in die Realität umgesetzt habe, aber gut Ding will eben Weile haben.

Mythos Biel – 100 Kilometer per pedes durch die Nacht

Hinter dem geflügelten Ausspruch „die Nacht der Nächte” verbirgt sich ein mittlerweile schon über fünfzig Mal ausgetragener Ultra-Marathon über 100 Kilometer in Biel in der Schweiz. Das hört sich unglaublich anspruchsvoll an, ist aber für mein Empfinden weniger anstrengend als ein schneller Lauf über 10 Kilometer.

Gestartet wird um 10 Uhr abends, was gerade den ganz besonderen Reiz ausmacht – der Abend senkt sich herab, es ist noch nicht ganz dunkel im Juni, und Jahr für Jahr machen sich über tausend LäuferInnen aller Altersklassen auf den Weg. Und dieser Weg ist ein ganz besonderer, der nicht nur im Bieler Seenland auf einer großen Runde gelaufen wird, sondern vor allem auch im Inneren einer jeden Läuferin und eines jeden Läufers. Der Frauenanteil beträgt knapp 20 Prozent, ein Anteil, der höher ist als bei manch einem Marathon.

Meditatives Laufen und die Reise zu sich selbst

Kurz nach dem Start, der ruhig und entspannt vor sich geht – wir haben ja noch so viel Zeit – geht es erst durch die Stadt Biel und es fühlt sich zunächst fast so an wie bei einem abendlichen Stadtlauf. Dann aber, nach einigen Kilometern, geht es hinaus in die dunkle Nacht, über Feldwege und Strassen, auch einige Abschnitte durch den Wald. Die Dunkelheit umfängt uns und nur selten benutze ich meine Stirnlampe. Ich finde zu meinem natürlichen Lauf-Fluss und spüre recht bald, wie ich innerlich sehr ruhig werde, Gedanken kommen und gehen und ich werde eins mit der Nacht. Es ist ein ruhiges Dahingleiten – in diesem Jahr allerdings recht feucht, da es fast die ganze Nacht geregnet hat. Gelegentlich laufen wir durch typisch schweizerische Dörfer, in denen uns die Brunnen vor den Gehöften mit leisem Plätschern empfangen. Fast störend empfinde ich den ersten Checkpoint bei Kilometer 38, weil hier Scheinwerfer das Geschehen erleuchten und hier auch das Ziel für die Nachtmarathon-Läuferinnen ist.

Weiter geht es durch die stille, dunkle Nacht, in der die Grillen ihre Lieder zirpen und immer wieder die Glocken der Kühe auf den Weiden zu hören sind. Regelmäßig gibt es Verpflegungsstationen, an denen alles angeboten wird, was wir in dieser Nacht brauchen – und hier tauche ich immer kurz aus meiner Versenkung auf und wechsle ein paar Worte mit den netten HelferInnen und auch meinen MitläuferInnen. Und dann kommt der Moment, der mich jedes Jahr aufs Neue mit tiefer unbändiger Freude erfüllt: Es ist noch stockfinster, und auf einmal höre ich den ersten Vogel zwitschern. Ungefähr ab halb vier Uhr morgens und nach und nach erwachen auch die anderen Vögel, und es fängt in der Ferne ganz langsam an zu dämmern. Erst ist es nur ein Hauch am Himmel und je nach Wetter werden wir mit einem wunderbaren Morgenrot beglückt, in das wir hineinlaufen.

Schweizer Dschungellandschaft am Fluss

Dann kommt der Abschnitt dieses Laufes, der auch ganz besonders ist, denn wir laufen auf den Emmendamm zu, über zahlreiche Wurzeln und Steine. Hier ist konzentriertes langsames Laufen angesagt, und mittlerweile ist es auch richtig hell geworden. Umgeben vom dichten Blattwerk der Bäume und Sträucher traben wir entlang der Emme, die ruhig neben uns her fließt. Als wir dann wieder auf die Strasse laufen, vermisse ich fast den urwüchsigen Wald um mich herum – aber nun tut sich eine wunderbare hügelige Landschaft auf, die dem Auge und der Seele wohl tut.

Die Nacht ist zu Ende – aber sie bleibt unvergessen

Schließlich laufen wir nach einem Anstieg, den ich in aller Ruhe gehend zurücklege, ins Tal hinunter, wo dann die letzten Kilometer in Richtung Bieler See und Ziel anstehen. Hier merke ich immer wieder mein Erstaunen, wie schnell diese Nacht doch wieder vorbeigegangen ist und wie viel mir dieses ruhige meditative Dahinlaufen wieder gegeben hat. Und natürlich fühle ich jetzt zunehmend auch die Freude und Dankbarkeit, dass mir wieder einmal dieses Lauferlebnis vergönnt war. Der Zieleinlauf ist völlig unspektakulär, aber darum umso schöner – keine Hektik, kein Höllenlärm, aber eine Medaille wird trotzdem allen umgehängt. Und diese Nacht wirkt noch sehr lange nach und zaubert mir immer wieder ein Lächeln ins Gesicht ….

Ultramarathon –die Domäne der Frauen

Noch eine kleine Nachbemerkung sei mir erlaubt: Dass Frauen wie ich und meine knapp 200 Mitläuferinnen überhaupt lange Strecken laufen dürfen, ist durchaus nicht selbstverständlich. Als 1967 Kathy Switzer beim Boston-Marathon unter falschem Namen mitlief, wäre sie beinahe mit Gewalt aus dem Rennen genommen worden. In Biel hat man sich darum aber nicht geschert, hier haben sich die Frauen bereits 1962 auf die Strecke gewagt – auch das ist für mich ein Grund, diesen Lauf immer wieder mitzumachen. Und erst 1984 wurde der Marathon für Frauen olympisch – nachdem sich Männer jahrelang darüber den Kopf zerbrachen, warum Frauen keine langen Strecken laufen dürfen. Von der herausrutschenden Gebärmutter bis geschädigtem Brustgewebe und verlorener Anmut war alles dabei. Aber, welch Wunder: gerade beim Ultramarathon zeigt sich, dass Frauen hier in Sachen Ausdauer Männern in keiner Weise nachstehen. Ganz im Gegenteil: Frauen geben viel seltener auf und sehen im Ziel oft wesentlich frischer aus als Männer. Und gelegentlich siegt auch eine Frau vor allen Männern, vor allem bei extrem langen Strecken kommt das immer einmal wieder vor. Aber das Wichtigste von alldem ist: Laufen ist wohltuend, wenn es entspannt und genussvoll betrieben wird … dann kommt frau schon mal ins Meditieren.

Marion Möhle

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