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Gender Pay Gap im Buchhandel

Interview mit Anja Spangenberg und Heidi Strauss

Am 25. März 2011 war Equal Pay Day. Bis zu diesem Tag mussten Frauen in der Bundesrepublik statistisch gesehen arbeiten, um den sogenannten Gender Pay Gap, den prozentualen Unterschied im durchschnittlichen Bruttostundenverdienst von Frauen und Männern für das Jahr 2010 auszugleichen. Die unterschiedliche Berufs- und Branchenwahl von Männern und Frauen ist eine der wichtigsten messbaren Ursachen für den Gender Pay Gap. So gehen Frauen eher Tätigkeiten nach, die mit tendenziell geringeren Verdienstmöglichkeiten und Anforderungen verbunden sind. Eine dieser Frauendomänen ist der Buchhandel. sprach zu diesem Thema mit zwei ehemaligen Buchhändlerinnen aus Darmstadt.

Theorie und Praxis. Welche Gründe können zur Wahl dieses Berufs führen?

„Meine Eltern wollten gerne, dass ich Abitur mache. Doch trotz guter Noten wollte ich nach der Mittleren Reife von der Schule abgehen und trat dafür in einen Hungerstreik”, so Heidi Strauss. Ihr Vater hatte ein Einsehen und hat ihr eine Lehrstelle in einer Buchhandlung in Kassel besorgt. „Du liest doch gerne”, hat er gemeint. Und dass sie danach Lehrerin werden sollte. „Als Buchhändlerin verdienst du zu wenig.” Das war weise gesprochen, wie Heidi später erfahren sollte, doch Lehrerin ist sie nicht mehr geworden. In der Buchhandlung hat sie ihren späteren Mann kennengelernt und ist mit ihm nach Darmstadt gegangen. Während er an der TH studierte, hat sie im Buchhandel die Brötchen verdient. Nach einer Kinderpause und ihrem Wegzug von Darmstadt und dem Zurückkommen nach drei Jahren, hat sie wieder als Buchhändlerin gearbeitet, aber zunächst nur noch halbtags. Nach ihrer Scheidung ist sie wieder auf eine Ganztagstätigkeit umgestiegen – bis zu ihrer Pensionierung.

Anja Spangenberg ist in ihrer Familie als Älteste von mehreren Geschwistern bei der Berufswahl aus der Reihe getanzt. „Meine Eltern haben erwartet, dass alle Kinder studieren. Doch ich wusste nicht was - trotz Einser-Abi.” Eine Tante war Buchhändlerin und die Eltern befreundet mit Familie Schlapp, den Inhabern der Darmstädter Traditionsbuchhandlung Schlapp. So kam Anja in die Buchhandlung, zunächst eine Woche zur Probe, dann als Praktikantin für ein halbes Jahr vor der Lehre. Sie ist Buchhändlerin geworden und geblieben. Allerdings mit mehreren Ortswechseln. So hat sie zum Beispiel zwei Jahre lang in London gearbeitet. Nach ihrer Rückkehr hat sie bald angefangen, ihre Arbeitszeit zu reduzieren, obwohl noch alleine lebend: „Ich brauchte nicht viel Geld”, so ihre Begründung.

Stolz ist sie darauf, sehr viel selbstständig gearbeitet zu haben, in London etwa als Abteilungsleiterin. Dabei sehe man in diesen Positionen eher die wenigen Männer, die sich in dieser Branche tummeln, betonen beide. „Meine männlichen Kollegen hatten immer bessere Stellungen oder Privilegien, zum Beispiel einen eigenen Schreibtisch oder Rückzugsecken. Mann durfte im Hinterzimmer Pfeife rauchen oder Haxe essen. Männer, die Kassendienst machten, waren eine absolute Minderheit,” so Anja Spangenberg, die auch nach ihren Kinderpausen weitergearbeitet hat, „sobald die Kinder abgestillt waren”.

Heidi Strauss hat immer wieder mit Auszubildenden geredet und junge Frauen vor dem Beruf gewarnt. „Er ist schlecht bezahlt. Und hier findet ihr keinen Märchenprinzen. ”Nach ihrer Erfahrung haben viele Frauen den Beruf nicht ergriffen, um ihn bis zur Rente auszuüben, sondern nur bis zum Lebensziel Heirat. Das kann Anja Spangenberg nicht bestätigen und nennt einen Vorteil des Berufs: „Ich hatte nie ein Problem, einen Job zu finden, zum Beispiel in Frankfurt oder in Düsseldorf. Wohl auch deshalb, weil so wenig bezahlt wird.”

Doch was sagen beide zur Kardinalfrage, Thema der aktuellen ? Haben sie den Gender Pay Gap, also eine schlechtere Bezahlung als Männer für dieselbe buchhändlerische Tätigkeit am eigenen Leib erfahren? Konkret können sie dazu nichts sagen. „Über das Gehalt durfte mit den Kollegen und Kolleginnen nicht gesprochen werden. Das haben wir im Arbeitsvertrag unterschrieben”, bedauert Heidi Strauss. Doch gibt es hierzu eine aktuelle Untersuchung.

Zur Frankfurter Buchmesse 2010 hat das Netzwerk BücherFrauen das Buch „MehrWert. Arbeiten in der Buchbranche heute” herausgegeben. Es präsentiert die Ergebnisse der ersten berufsübergreifenden Studie zum Thema, die auch die Unterschiede der Situation für Frauen und Männer in den Fokus nimmt.

Die Studie basiert auf einer von Prof. Dr. Romy Fröhlich durchgeführten Online-Befragung mit einem Rücklauf von 1.234 vollständig ausgefüllten Fragebögen, 1.074 (87 Prozent) von Frauen und 160 (13 Prozent) von Männern. Im Folgenden eine Auswahl der Fakten, die auf eine tatsächliche Ungleichbehandlung in der Buchbranche hinweisen:

Im Durchschnitt verdienen Frauen in der Buchbranche 28 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Nur bei den Einstiegsgehältern und Teilzeitstellen gibt es keine Einkommensunterschiede. Ansonsten steigt die Differenz mit der Hierarchiestufe. Der Gender Pay Gap bei der Berufsgruppe Verlagskaufleute und BuchhändlerInnen liegt mit 36 Prozent an der viertletzten Stelle im deutschen Vergleich. Nur beim Luftverkehr (minus 42 Prozent), bei den Köchinnen (minus 39 Prozent) und Feinmechanikerinnen (minus 38 Prozent) ist die Lücke größer. Von den Befragten waren 69 Prozent kinderlos, Frauen dabei doppelt so oft wie Männer.

Bei dem großen Anteil an Akademikerinnen ist das nicht überraschend, aber die Medien (Romy Fröhlich hatte zuvor auch eine Studie für den PR-Bereich und den Journalismus durchgeführt) zeigen sich damit als ein Arbeitsmarktfeld, in dem sehr hohe Kinderlosigkeit herrscht. Damit fällt ein bevorzugtes Erklärungsmuster, das den erschwerten Ein- und Aufstieg von Frauen auf die Doppelbelastung zurückführt, weg. Erstaunlich auch: Familiengründung führt bei den Männern zu einer Erhöhung des Gehalts. Bei Frauen dagegen sinkt es.

Bei der Kinderlosigkeit fallen unsere beiden Interviewpartnerinnen aus der Statistik heraus. Und durch ihre Familien haben sich beide nicht von der Berufstätigkeit im Buchhandel abhalten lassen. Doch immerhin haben beide lieber in Teilzeit gearbeitet und damit auf einen Karrieresprung verzichtet. Anja Spangenberg hat aber inzwischen den Job gewechselt – und verdient jetzt deutlich mehr.

Jutta Schütz

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