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Weltweite Bevölkerungspolitik - neuer Kolonialismus oder Hungerbekämpfung?

Themenreihe Hunger durch Globalisierung - Teil 3

Immer wenn vom Klimawandel oder vom Hunger in der Welt die Rede ist, kommt früher oder später das Argument, das Bevölkerungswachstum sei eine bedrohliche Entwicklung und müsse gebremst werden insbesondere in den Ländern der so genannten dritten Welt. So zum Beispiel im November 2009 beim Welternährungsgipfel in Rom (und auf dem Klimagipfel im Dezember 2009 in Kopenhagen).

Auf den ersten Blick scheint es einleuchtend, das Problem in der so genannten Dritten Welt zu verorten, stieg doch beispielsweise in Afrika südlich der Sahara die Bevölkerung in der Zeit von 1980 bis 2005 um 18,5 Prozent, in Nordamerika dagegen nur um vier Prozent. Diese geburtenstarken Länder sind zugleich diejenigen, in denen die Zahl der Hungernden besonders hoch ist.

Das Thema ist nicht neu. Nachdem der Club of Rome, eine Gruppe von wissenschaftlichen Humanisten, Pädagogen und Managern, 1972 seine Studie "Die Grenzen des Wachstums" vorgelegt hatte, begann eine Bevölkerungsdebatte. Mit dem Schlagwort der "Bevölkerungsexplosion" wurden die negativen Auswirkungen der hohen Geburtenraten in den Ländern der so genannten Dritten Welt ausgemalt und vehement verlangt, das Bevölkerungswachstum in den Ländern des Südens aufzuhalten. Dementsprechend wurde eine weltweite Bevölkerungspolitik betrieben. So formulierte US-Präsident Lyndon B. Johnson in den 1960er Jahren: "fünf gegen das Wachstum der Bevölkerung investierte Dollar sind wirksamer als 100 für das wirtschaftliche Wachstum investierte Dollar". Konsequent gewährten die USA 1966 Nahrungsmittelhilfe nur, wenn das betreffende Land ein Familienplanungsprogramm verabschiedete. Weiterhin setzten die USA die Vereinten Nationen unter Druck, eine führende Rolle bei der internationalen Bevölkerungskontrolle zu übernehmen. 1967 wurde der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen beschlossen (UN Population Fund = UNFPA), der jährlich einen Weltbevölkerungsbericht erstellte. 1969 begann eine Entwicklungshilfeorganisation der Weltbank ihr erstes bevölkerungspolitisches Programm in Kenia. Bei Kreditvergaben wurden Drittweltländer gedrängt, nationale bevölkerungspolitische Programme einzuführen. Bei der Vergabe von Kleinkrediten an Frauen mussten diese einen höheren Zins zahlen, wenn sie entgegen den Vereinbarungen schwanger wurden. Akzeptanz und Verbreitung von Verhütungsmitteln wurde zum Maß für den Erfolg. Je sicherer das Mittel desto besser; folglich war in den 1980er Jahren die Sterilisation (zu 80 Prozent an Frauen vorgenommen) die am häufigsten verbreitete Methode. Über die Endgültigkeit des Eingriffs wurden die Frauen nicht aufgeklärt, was in über 40 Prozent der Familienplanungszentren der Fall war. Empfohlen wurden auch hormonelle Verhütungsmittel, obwohl diese zum Teil nicht genügend untersucht worden waren; ein Mittel wurde in den USA wegen hohen Krebsrisikos 1978 verboten, in den Ländern des Südens dagegen galt es als sicher. Auch vor Zwangssterilisationen wurde nicht zurückgeschreckt.

Über Jahre war Bevölkerungspolitik so ein Schwerpunkt der Entwicklungspolitik. Allerdings kam es dabei im Laufe der Zeit zu einer Akzentverschiebung. Man hatte erkannt, dass die Geburtenrate zurückgeht, wenn sich die Lebenssituation verbessert, insbesondere die von Frauen. So wurde Frauenförderung von den 1980er Jahren an auch als flankierende Maßnahme für die Bevölkerungspolitik angesehen. Aus dieser Haltung spricht eine Funktionalisierung von Frauen für die Effektivierung der Bevölkerungspolitik.

Natürlich ist es abzulehnen, wenn die reichen Länder für die armen definieren, was diesen und den dortigen Frauen nutzt. Die betroffenen Länder haben ihre Ziele selbst formuliert und dabei steht weniger Geburtenrückgang als vielmehr Selbstbestimmung und Teilhabe im Vordergrund.

Beispielhaft dafür sind die Empfehlungen der Weltbevölkerungskonferenz aus dem Jahr 1984 in Mexiko City. Gefordert wurden:

  • die Integration von Frauen in allen Phasen des Entwicklungsprozesses, also in der Planung, Politik und den Entscheidungsprozessen
  • die freie Entscheidung der Frau sich als Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen
  • das Recht auf Erziehung, Ausbildung und Beschäftigung im nicht-familiären Bereich, aber auch die Unterstützung ihrer Mutterrolle
  • die stärkere aktive Beteiligung des Mannes auf allen Gebieten der Familienaufgaben, einschließlich Familienplanung, Kindererziehung und Hausarbeit, so dass die Familienpflichten von beiden Partnern voll geteilt werden können.
  • Kenntnisse über Körperfunktionen, Information über Zeugungs- und Empfängnisverhütungsmitteln und -methoden, um eine Auswahl treffen zu können.

Doch mit den Krisen, in die die Entwicklungsländer gerieten, und mit der daraus folgenden Abhängigkeit von Krediten des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank mussten die Länder die an deren Gewährung geknüpfte Bedingungen akzeptieren und dazu gehörte auch die Durchführung von Familienplanungsprogrammen mit dem Ziel der Bevölkerungsreduktion.

Während so erneut versucht wird, das Bevölkerungswachstum in den Entwicklungsländern zu bremsen, schrumpft in den reichen Industrieländern die Bevölkerung, was angesichts des durch die technologische Entwicklung und durch Auslagerung der Produktion bedingten Rückgangs an Arbeitskräften und teilweise hoher Arbeitslosigkeit ökonomisch sinnvoll erscheinen könnte. Dem ist jedoch keineswegs so. Vielmehr wird - gerade in der Bundesrepublik - die Angst vor dem Aussterben geschürt. Zudem stilisieren Arbeitgeberverbände einen Arbeitskräftemangel hoch und meinen damit bestimmte Arbeitskräfte: qualifizierte und hoch qualifizierte. Denn aus ökonomischer Perspektive ist bei schrumpfenden Gesellschaften die "Qualität" der Bevölkerung von wachsender Bedeutung.Deshalb soll eine sozial differenzierte Geburtenförderung betrieben werden. So richtet sich Familienpolitik in Deutschland an hoch qualifizierte Frauen/Eltern (zum Beispiel durch einkommensabhängiges Elterngeld). Kinderlose Akademikerinnen werden stigmatisiert, Mütter mit niedrigem Bildungsstatus als Problem dargestellt. Auch die Diskussion um eine gesteuerte Einwanderungspolitik verfolgt mit einem angedachten Punktesystem dasselbe Ziel. Willkommen ist nur qualitativ hochwertiges "Humankapital".

Doch zurück zum Hungerproblem. Ist es richtig, dass die Menschen in den Ländern des Südens sich ungebremst vermehren? Nein. Heute hat sich die Situation in vielen Ländern Asiens geändert. Vor allem in China, Indien und Indonesien hat sich das Bevölkerungswachstum inzwischen bei 2,1 Kindern pro Frau stabilisiert. Es scheint daher, als würde das Bevölkerungswachstum in den Ländern des Südens besonders dramatisiert.

Und ist es richtig, dass die Erde die Menschen bald nicht mehr ernähren kann? Nein. Schon heute ernten Landwirte, in Kalorien ausgedrückt, ein Drittel mehr, als für die ausreichende Versorgung aller Menschen notwendig wäre. Es wird geschätzt, dass es sogar möglich wäre, nicht nur die für 2050 prognostizierten neun Milliarden sondern elf bis zwölf Milliarden zu ernähren. Ein Widerspruch zur steigenden Hungersituation? Was geschieht mit den Agrarprodukten? Darauf soll im letzten Teil eingegangen werden.

Ursula G.T. Müller

www.ursula-gt-mueller.de

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