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"Wenn ich die Leute dazu bringe, nachzudenken, dann ist das schon viel."

Abisag Tüllmann im historischen museum frankfurt

Eigentlich hieß sie Ursula Eva Tüllmann. Ein guter Freund hat sie nach der jungen und schönen Abisag benannt, die im Alten Testament zu finden ist. Für sie war der Name Ausdruck ihrer jüdischen Wurzeln, denn die Mutter war Halbjüdin.1957 zieht sie nach Frankfurt, ihrer Wahlheimat, in der sie bis zu ihrem Tod 1996 lebte. Anlässlich ihres 75. Geburtstages ist nun im "historischen museum frankfurt" die erste große Werkschau dieser Meisterin der Momentaufnahme zu sehen.
385 ihrer Schwarz-Weiss Fotos und rund 40 ihrer Farbaufnahmen sind ausgestellt.

Abisag Tüllmann hat wie kaum eine andere Künstlerin die 60er, 70er Jahre dokumentiert, ein umfassendes, stets subtil-hintergründiges Bild ihrer Zeit geschaffen. Viele Fotoserien entstanden nicht als Auftragsarbeit, sondern weil sie persönliches Interesse daran hatte. Wie die Dokumentation über die erste Freie Schule in Frankfurt oder über Busreisen nach Holland, wo Frauen vor der Änderung des Paragraphen 218 zum Abtreiben hinfuhren. Sie fotografiert Protestaktionen und Akteure der Studentenbewegung, dokumentiert die erste Lesben- und Schwulendemonstration in Frankfurt 1979. Fotografiert das Begräbnis von Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe und wie durch eine Tunnel von uniformierten Polizisten die BegräbnisteilnehmerInnnen dorthin gelangen.

Ihr gelingt es, das Lebensgefühl einer Generation einzufangen- sowohl der Studentenbewegung, als auch der behäbigen bürgerlichen Gesellschaft, der Politiker wie Franz Josef Strauss und Helmut Kohl.. Was sie fotografiert, verdichtet in einem einzigen Bild eine Situation, eine Stimmung, ohne inszeniert zu sein. Komisch, grotesk traurig und banal zugleich sind die Momente, die sie festhält. Stets hat sie den Menschen im Blick. Er ist das Zentrum ihres Schaffens. Auch in ihrer Serie über Obdachlose. Sie ist ihnen nah, jedoch voller Respekt vor der Fremdheit. "Wenn ich die Leute dazu bringe, nachzudenken, dann ist das schon viel" sagt sie in einem Film 1996. Dies gelingt auch bei ihren eher humoristischen Aufnahmen wie der "Zeitungsleserin mit Dackel" in Frankfurt 1963.

Breit ist ihr Oeuvre, ohne wahllos zu sein: Reisereportage, Theater- und Kunstfotografie gehören dazu. "Ein gutes Foto muss die Essenz einer Situation, eines Sachverhalts zeigen. " So bringt Abisag Tüllmann auf den Punkt, was sie selbst unzählige Male umgesetzt hat.

Julia Reichelt

Die Ausstellung ist noch zu sehen bis 27. März 2011.
Abisag Tüllmann (1935-1996) Bildreportagen und Theaterfotografie
historisches museum frankfurt
Saalgasse 19 (Römerberg) 60311 Frankfurt am Main
Im Verlag Hatje Cantz ist das Begleitbuch
"Abisag Tüllmann 1936 - 1996. Bildreportagen und Theaterfotografie"
erschienen. 29,80 €.

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