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MATHILDE

Erzwungener Export & Import

Massenvernichtungswaffen für die Entwicklungsländer

Themenreihe Hunger durch Globalisierung (Teil 2)

In den 1990er Jahren waren in Banken durch Spekulationen erworbene Gelder gelagert, die wegen des geringen Wirtschaftswachstums nicht in höherem Maße investiert werden konnten. Die Geldinstitute suchten daher Abnehmer für Kredite und fanden sie in den Entwicklungsländern, denen sie sehr günstige Zinsen anboten. Als dann der Dollarkurs stieg, in dem die Kredite vergeben wurden, und die Zinsen in die Höhe gingen, konnten die Schuldnerländer nicht mehr zahlen, sie saßen in der Falle und wandten sich an den Internationalen Währungsfond und die Weltbank. Von diesen erhielten sie auch Kredite, allerdings geknüpft an Bedingungen, zu denen die sehr starke Ausrichtung der Agrarproduktion auf den Export gehörte.

Diese Umstellung auf den Export hat den Entwicklungsländern allerdings nicht zu Wohlstand verholfen. Sie mussten sogar immer mehr für Importe ausgeben, wodurch vor allem die ärmsten unter ihnen in ein wachsendes Handelsdefizit geraten sind. Bereits 1987 wurde deutlich, dass der Wert der Importe in die ärmsten Länder den der Exporte übertraf. Wie kam es nun zu den steigenden Importen gerade auch von Lebensmitteln?

Dazu muss ich weiter ausholen und auf Globalisierung zu sprechen kommen. Darunter verstehe ich einen historischen Prozess weltweiter Veränderungen, die sich auf verschiedene Dimensionen beziehen: die politische, ökonomische, militärische, ökologische, soziale und kulturelle. Diese sind jedoch nicht unabhängig voneinander, die politischen und ökonomischen Transformationen spielen eine zentrale und ursächliche Rolle für die übrigen Prozesse. Im Mittelpunkt steht dabei der Weltmarkt mit seinen Regeln und Organisationen.

Die hier genannten Regeln für den Weltmarkt wurden zuerst 1948 im Rahmen des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (General Agreement on Tariffs and Trade = GATT) entwickelt. Das GATT stellt ein Forum für Verhandlungen über umfassende Zollsenkungen dar; in etlichen Verhandlungsrunden wurden Zölle abgebaut und der Freihandel ausgeweitet. Die dabei angewandten Handelsregeln beruhen auf einem Gleichbehandlungsprinzip: Kein Mitgliedsstaat darf andere Staaten als Handelspartner benachteiligen; ausländische Produzenten sollen den gleichen Vorschriften unterliegen wie inländische. Auf den ersten Blick mögen solche Regeln unproblematisch erscheinen, da sie ja für Gleichbehandlung sorgen sollen. Aber wie immer, wenn "gleiches Recht für alle" gilt, ohne dass die ungleiche Ausgangssituation der Beteiligten berücksichtigt wird, kann eine formale Gleichbehandlung schnell bestehende Ungleichheiten verstärken.

Tatsächlich ist die Ausgangssituation der Länder sehr unterschiedlich und damit auch die Bedeutung, die Zölle für das jeweilige Land haben. Gerade wenig entwickelte Länder brauchen einen Schutz ihrer heimischen Wirtschaft vor billigen Importwaren. Darüber war man sich in den Anfangsjahren des GATT durchaus im Klaren und berücksichtigte die besondere Situation der Entwicklungsländer. Doch nach dem Zerfall des Ostblocks etablierten die USA und die EU immer mehr Regeln, die ihren Interessen entsprachen, brauchten sie jetzt doch nicht mehr zu fürchten, dass die Entwicklungsländer, wenn sie mit den ihnen auferlegten Bedingungen nicht einverstanden waren, sich dem Ostblock beziehungsweise dem Sozialismus zu wandten. Um die Einhaltung der Regeln sicher zu stellen, wurde die Welthandelsorganisation (World Trade Organisation = WTO) gegründet, die am 1.1.1995 ihre Tätigkeit aufnahm. Sie fungiert als Streitschlichtungsorgan, ja als Gericht, das auch Strafen in Form von Handelssanktionen verhängen kann. Allerdings wird sie nur tätig, wenn sie angerufen wird. Auch hier gilt: Wo kein Kläger, da kein Richter.

Doch zurück zu den in armen Ländern gestiegenen Importen. Ursprünglich sollten die Allgemeinen Handelsabkommen dazu dienen, Handelsschranken, vor allem Zölle, abzubauen, jedoch haben die Industriestaaten sich ihrerseits sehr wohl mit Zöllen vor Importen geschützt. Mächtige Staaten können eben Druck in ihrem Sinn anwenden. So zum Beispiel auch die EU 2007, als sie 78 Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifik, so genannte AKP-Staaten, dazu drängte, neue Handelsabkommen mit ihr abzuschließen. Sie drohte, andernfalls ihre Einfuhrzölle für Produkte aus einigen dieser AKP-Staaten anzuheben, was zu empfindlichen Einnahmeeinbußen dieser Staaten führen würde. Als wichtigster Handelspartner und Geber von Entwicklungshilfen für Afrika schaffte es die EU, 35 von 78 Ländern die Zustimmung zu Freihandelsabkommen abzuringen. Diese Abkommen nehmen den AKP-Staaten das Recht, das zu tun, was die Industriestaaten jahrzehntelang und bis heute gemacht haben, nämlich ihre Märkte und ihre Industrie durch Zölle zu schützen.

Doch damit nicht genug. Die Kreditbedingungen für die Entwicklungsländer verboten diesen, ihre (Land-)Wirtschaft zu subventionieren. Die EU stellt jedoch in ihrem Agrarhaushalt jährlich 40 Milliarden Euro als Direktzahlungen an Landwirte zur Verfügung und zusätzlich fünf bis sieben Milliarden Euro meist für intensive Tierhaltung. Dadurch können die EU-Länder ihre derart subventionierten Agrarprodukte billig exportieren, mit denen die örtlichen Kleinbauern nicht konkurrieren können. Für die Entwicklungsländer ist also die Kehrseite der durch die Handelsregeln erzwungenen Konzentration auf den Export der erzwungene Import von Agrarprodukten aus Industrieländern - zu Dumpingpreisen. Eine Politikerin aus Mali bezeichnete diese Politik daher als "Massenvernichtungswaffe".

Die Folge dieser Liberalisierung des Handels ist, dass Landwirtschaften in einigen Ländern des Südens zum Teil zusammengebrochen sind.

Noch vor einem Jahrzehnt hatte Indonesien ein gut funktionierendes Agrarwesen, konnte sich praktisch selbst versorgen. Durch die SO-Asien-Finanzkrise musste das Land Kredite aufnehmen und dafür in Handelsliberalisierung einwilligen. Dadurch stieg die Gesamteinfuhr von Lebensmitteln stark an, bei Sojabohnen um 50 Prozent, im Bereich der Sojaproduktion wurden zwei Millionen Menschen arbeitslos.

Jamaika musste seit 1994 mehr als eine Verdoppelung seiner Pflanzenölimporte hinnehmen, während im gleichen Zeitraum die inländische Produktion um zwei Drittel abnahm.

Auf den Philippinen wird der Binnenmarkt seit 1995 von importiertem Reis überschwemmt, obwohl überall im Land Reis angebaut wird.

Senegals Einfuhr von Tomatenpaste ist seit 1995 um das 15-fache angestiegen, wodurch die inländische Produktion um die Hälfte zurückgegangen ist.

Da hilft es den Entwicklungsländern wenig, wenn der Ex-US-Präsident Bill Clinton schon mehrmals ein "mea culpa" für den internationalen Handel und die Entwicklungsstrategien, die zu der Nahrungskrise führten, ausgesprochen hat.

Auch die Reden auf dem gerade Ende September gehaltenen Millenniumsgipfel in New York klangen mehr als hohl. Merkel und andere betonten, wie nötig Hilfe zur Selbsthilfe sei und forderten, die Nehmerländer sollten mehr Verantwortung übernehmen, stärker in die Pflicht genommen werden. Kein Wort darüber, wie eine neue Entwicklungspolitik aussehen soll, kein Wort über den 2003 von Weltbank und UNO in Auftrag gegebenen, inzwischen vorliegenden Welternährungsbericht, der klären sollte, wo die Weltbank am besten in landwirtschaftliche Entwicklung investieren solle. Der Bericht hatte unter anderem nachhaltige Landwirtschaft, kleinbäuerliche Produktion und eine besondere Förderung von Frauen und deren Einweisung in beide Bereiche gefordert. Bleibt nun zu klären, warum der Bericht diese Forderungen vertreten hat und wie es gelingen kann mit ihrer Durchsetzung den Hunger zu beenden.

von Ursula G.T. Müller
www.ursula-gt-mueller.de

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