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Pflege andersrum

Anders leben - anders altern

Im "KultCafé" in Köln meldete sich so ein 71jähriger Teilnehmer des ErzählCafés zu Wort: "Ich will doch im Alter nicht mit Leuten zusammen wohnen, die mich vor 40 Jahren ins Gefängnis gebracht hätten". Eine lesbische und vielleicht auch heterosexuelle Frau möchte sich nicht von einem männlichen Pfleger waschen, ein schwuler bettlägeriger Patient möchte sich nicht vom Pflegepersonal diskriminieren lassen.

Bei der Diskussion über das Älterwerden und Pflege wurden Lesben und Schwule der über 70-Generation bisher nicht als besondere Gruppe wahrgenommen. Im Bewusstsein der Verfolgung während und nach der Nazizeit leben sie eher im Verborgenen. Auf Nachfrage bei Pflegeleitungen wird meist erklärt, dass keine homosexuellen Patienten in der Einrichtung seien, da sie nicht wahrgenommen werden. Das Pflegepersonal benötigt eine besondere Schulung, um Anfeindungen aufgrund der sexuellen Identität zu verhindern.

Seit der 1968er Revolte, mit der die sexuelle Befreiung einherging, die auch zur Abschaffung der Strafverfolgung von Homosexualität geführt hatte, sind lesbische und schwule MitbürgerInnen als Gruppe stärker für ihre Rechte eingetreten.

Wie möchten wir leben, wenn wir alt und gebrechlich sind, auf die Hilfe von anderen angewiesen, fragen sich viele frauenliebende Frauen. Es ist sinnvoll, im Voraus zu denken, zu planen, nicht erst, wenn es zu spät ist. Eine Gemeinschaft aufbauen, neue Lebensformen entwickeln. Die Generation, die in den 1960ern und 1970ern Wohngemeinschaftserfahrung gesammelt hatte, besinnt sich wieder auf gemeinsame Formen des Zusammenlebens.

Es geht um eine neue Kultur des Altwerdens, nicht nur um andere Heime. Ideal sind Hausgemeinschaften, in denen jede eine Tür schließen, aber auch die Gemeinschaft aufsuchen kann, wie im "Beginenhof Berlin", wo das Eigentum sich in Frauenhand befindet. (MATHILDE berichtete in Heft 98/2009.) Neben den rund 50 privaten Wohneinheiten gibt es Gemeinschaftsräume zum Feiern, zum Essen, Garten und Dachterrasse, wo sich die Frauen begegnen können. Gemeinsame Ausflüge und Veranstaltungen im Haus können organisiert werden.

Vielleicht ist es für Lesben, die eher versteckt leben und im Alter oft einsam sind, wichtiger, gemeinsame Perspektiven zu entwickeln. Sie möchten sich im privaten Bereich mit Frauen umgeben, und besonders die intime Körperpflege nur von weiblichen Kräften verrichten lassen.

Geeignete Orte finden, in denen das Zusammenleben organisiert werden kann, ist nicht so einfach und muss von langer Hand geplant werden. Die Vorstellung, nicht im Heim zu verdorren, wo frau keine Aufgaben hat, steht im Kontrast zur Idee, dass jede leistet, so viel sie kann für die Gemeinschaft: den Garten pflegen, für andere kochen oder Filmabende organisieren. Die kleinen Dinge des Alltags wie das Einkaufen können so besser organisiert werden.

Es existieren schon konkrete Alternativen. Nach vier Fachtagungen zum Thema: "Lesben und Alter" haben sich Ende 2009 bundesweit die verschiedenen Initiativen von lesbischen Frauen zu einem Dachverband zusammengeschlossen, um neue Perspektiven zur Verbesserung der Lebenssituation älter werdender Lesben zusammenzutragen und eine Interessenvertretung aufzubauen.

Verschiedene Initiativen für Frauenwohnprojekte finden sich bisher mehr im nördlichen Teil Deutschlands, beispielsweise in Köln, Hamburg und Berlin, aber auch in Frauenorten wie dem Frauenferienhaus Charlottenberg in Rheinland-Pfalz, das Darmstadt am nächsten liegt. Schöne Namen wie "winterfest - Wohnprojekt", Rad und Tat, ALTERnativen Köln, zeugen vom Ideenreichtum der engagierten Frauen.

Gundula Pause

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