Werden Sie auch eine

MATHILDE

Woher kommt die Ehre?

Eine für alle - alle für eine

Jeder dritte Mensch über 14 Jahren engagiert sich in Deutschland ehrenamtlich*. Als Schöffen und Schiedsleute, bei der Freiwilligen Feuerwehr und anderen Hilfsorganisationen, in gemeinnützigen Vereinen oder als Mitglieder in den unterschiedlichsten sozialen Einrichtungen oder auch völlig ohne Organisation im Hintergrund finden wir Menschen, die sich freiwillig und ohne Entgelt engagieren. Damit ist ein großer Teil unserer Bevölkerung in ein freiwilliges Engagement gesellschaftlicher Art eingebunden. Der Staat dankt es seit 2007 mit Steuererleichterung für diejenigen, die neben der Ehre auch Geld erhalten. Diejenigen, die jedoch tatsächlich für die Ehre arbeiten, können sich nur darüber freuen, dass sie staatliche Anerkennung für ihre Beteiligung am Erhalt unserer bestehenden Gesellschaftsstrukturen bekommen könnten. Die Politik würdigt damit grundsätzlich diese "Demokratie von unten".

Wie steht es nun aber um diese Bürgerbeteiligung tatsächlich? Worin liegt ihre originäre Kraft und ihre Chance? Welche Perspektiven ergeben sich aus ihr - politisch und gesellschaftlich? Denn es handelt sich ja bei freiwilliger Arbeit nicht nur alleine um den Erhalt unserer gesellschaftlichen Errungenschaften, sondern es finden durch sie auch Veränderungen statt, Veränderungen, die durchaus den Stellenwert "Mitgestaltung" haben. Somit ist das Ehrenamt nicht nur eine Tätigkeit, die zu Ehre verhelfen kann. Es verdient eine Betrachtung in einem sehr viel weiteren Rahmen.

Als Bürger und Bürgerinnen bietet es uns die Möglichkeit, die eigene soziale, körperliche oder mentale Kraft in eine Verbesserung des Miteinanders zu stecken. Deshalb wird es auch als bürgerliches Engagement bezeichnet. Ehrenamtlich und ohne Perspektive auf eine Entlohnung ist es wichtig, dass jede und jeder sich gestaltend in der eigenen Umgebung einsetzt. Zum einen können unsere Ideen und Ziele bezüglich der Art des Miteinanders so vermittelt, soziale Netze gebildet und ein lebendiger Austausch mit anderen angeregt werden. Zum anderen gibt es keine Person außer uns selber, die diese Ideen formulieren und umsetzen könnte. Tun wir es nicht, kann unser individueller Beitrag zum gesellschaftlichen Leben nicht wahrgenommen werden. Dabei spielen Geschlecht, Herkunft und Bildung keine Rolle für die Bedeutung des eigenen Beitrages. Und damit ist Ehrenamt ein Auftrag aus uns selbst heraus an uns und unsere gesellschaftlichen Bedürfnisse.

Dies ist im Grunde genommen ein sehr alter Gedanke, dass das profane Geld nicht das ist, wofür in diesen Bereichen gearbeitet wird, und die Ehre nicht von den anderen kommen muss, sondern in uns ganz alleine ihre Wurzeln und ihre Bedeutung hat. Und damit sind nicht christliche Vorstellungen gemeint, die ja durchaus nach einer Ehre suchen, auch wenn sie nicht im jetzigen Leben, sondern im Paradies liegt. Nein, gemeint sind viel ältere Gesellschaftsmuster, bei denen der Entlohnungsgedanke noch keine Rolle spielte. Unsere Urgesellschaften funktionierten so. Eine/r für alle, alle für eine/n. Was die einzelnen taten, hatte einen Einfluss auf die Gesamtgruppe. Sei es durch die Jagderfolge, sei es durch Weiterentwicklungen, wie Feuer machen. Dafür gab es keinen Preis und keine Ehre. Die Urmenschen entwickelten sich fort, indem sich die eine oder der andere in ganz ureigenem Interesse einbrachte - ohne Lohn, wenn nur die direkte Entlohnung gemeint ist, oder mit riesigem Lohn, wenn die Auswirkung auf das Gesamtgefüge gesehen wird. Somit hatten alle etwas von der Ehre.

Irgendwie steht alles in einem gesellschaftlichen Verhältnis: es ist eine Art Tauschgeschäft zwischen individueller Ehrenarbeit, die Wert für die Gesellschaft produziert, und der Gesellschaft, die sich ihren Wert genau darüber erhält.

Anja Spangenberg / Gabriele Merziger

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