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Mit dem Körper denken

Body-Art als Menschenbild in der Kunst von Frauen

Als ich gefragt wurde, ob ich einen Vortrag zum Thema Menschenbild in der Kunst machen könnte, wurde es mir etwas mulmig, denn eigentlich scheue ich es, mich als bildende Künstlerin mit Worten festzulegen. Auf der anderen Seite reizt es mich aber auch, Stellung zu beziehen zur eigenen Entwicklung und zur Einbettung meiner Arbeit in die Kunst meiner Zeit.

Nahezu vier Jahrzehnte arbeite ich freischaffend als bildende Künstlerin, seit 1973 in Darmstadt. Hier hatte ich Anfang 1974 meine erste Einzelausstellung mit Radierungen und Zeichnungen in der Galerie Garuda. Frau Dr. Gisela Bergsträßer vom Hessischen Landesmuseum hatte sie eröffnet und einen Text dazu verfasst, der heute noch Gültigkeit für mich hat:

"Die Frauen der Annegret Soltau befinden sich in sehr persönlichen und von der Künstlerin selbst erfahrenen Situationen". Sie seien einsam, lebten in einer unfreundlichen Umwelt, eingeschlossen. Doch wie sich jeder Mensch "hindurchschaffen" müsse, so seien auch die Soltauschen Frauen dabei, in eine andere Umwelt hindurch zu brechen. Symbol dafür: Tücher und Netze, von denen die Figuren umschlossen und umgeben sind, von denen sich loszumachen sie aber im Begriffe sind. (Bergsträßer)

Wie in meinen Radierungen und Zeichnungen der Durchbruch für mich ein vorwiegendes Thema war, so spiegelte sich darin der Auf- und Umbruch der Frau in der Gesellschaft. Es waren die 70er Jahre, und der Slogan "Das Private ist politisch" bewegte viele Frauen und rüttelte sie auf.

Frauen schlossen sich in Gruppen zusammen, und Künstlerinnen sprengten die Formen, Techniken und Themen ihres künstlerischen Tuns, weil sie aus der unmittelbaren Sinnlichkeit ihres eigenen Erlebens schöpfen wollten.

Ein Kultbuch wurde "Häutungen" von der Schriftstellerin Verena Stefan. Das Buch, erschienen im Verlag Frauenoffensive in München, steht exemplarisch für den Ausbruch der Frau aus patriarchalischer Bevormundung. Die Autorin versucht, sich der Sprache zu vergewissern und der Beschreibung von Sexualität eine neue Annäherung zu geben:

"Beim schreiben dieses Buches, dessen Inhalt hierzulande überfällig ist, bin ich Wort um Wort und Begriff um Begriff an der vorhandenen Sprache angeeckt. Sicher habe ich das zunächst so krass empfunden, weil ich über Sexualität schreibe.

Beim schreiben bin ich auf die Sprache gestoßen. Das klingt seltsam, doch es ist erstaunlich, wie viele Leute schreiben können, ohne mit der Sprache selber in Berührung zu kommen. In dem vorliegenden Text konnte ich noch nicht jedes Wort drehen und wenden. Ich musste erst den weg freilegen, indem ich einen Bruchteil meiner Geschichte abgearbeitet habe. Jetzt kann ich anfangen, systematisch über Sexismus in der Sprache, über weibliche Sprache, eine weibliche Literatur zu arbeiten und genauer über das Leben unter Frauen zu berichten." (Berlin, im August 1975, Verena Stefan)

Es war die Zeit der aktiven Frauenbewegung. Viele bildende Künstlerinnen bezogen ihre eigene Person und ihren Körper in ihre Kunst ein, sie arbeiteten sozusagen mit "Haut und Haaren". Es kam einem Tabubruch gleich; offensiv und mutig ihre Schamgrenzen überwindend, benutzten sie intime Prozesse ihres Körpers und stellten diese in den Mittelpunkt ihrer künstlerischen Produktivität. Sexualität, Schwangerschaft, Geburt, Abtreibung, Krankheit und Gewalt wurden Themen ihrer Kunst. So auch bei mir.

1977 bis 1980 verarbeitete ich meine Schwangerschaften und die Geburt meiner beiden Kinder. In der Videoperformance "schwanger Sein" beobachtete ich mittels der Video-Aufzeichnung meinen eigenen Körper über den ganzen Zeitraum der neun Monate, dabei habe ich äußerliche Veränderungen und gleichzeitig innere Zustände aufgezeigt. Die einzelnen Phasen nannte ich: Panik, Zwiespalt, Hoffnung, Alleinsein, Trennung, Beengung, Erinnerung, Ansprache, Geboren-werden.

In dieser Zeit wurde für Frauen die Frage wichtig, wie sie Kreativität und Mutterschaft miteinander verbinden können, ohne sich als eigene Person zu verlieren.

Schon die Worpsweder Malerin Paula Modersohn-Becker malte sich um die Jahrhundertwende als expressiven Halbakt mit entblößtem schwangerem Leib - für damalige Verhältnisse äußerst frei.

Ein prägendes Vorbild für mich wurden auch die Körperbilder der Mexikanerin Frida Kahlo.

Sie malte sich selbst kompromisslos in medizinisch-analytischer Sicht in ihrer ganzen seelischen und körperlichen Qual, nackt, verwundet und verkrüppelt.

Mit ihrer Arbeit und auch ihrem Leben wagte sie es, sich, weibliches Denken und Wahrnehmen sichtbar zu machen - zu ihrer Zeit alles andere als selbstverständlich.

Ihre Willensstärke, trotz Krankheit, ist beeindruckend, auch wie sie durch ihre Selbstdarstellung zur Ikonisierung ihrer Person beitrug.

Damit ist sie nach wie vor eine Identifikationsfigur für heutige Künstlerinnen geblieben.

"Ich schreibe, also bin ich!", ein Ausspruch der Schriftstellerin Karin Struck. Sie veröffentlichte 1973 ihr Debüt "Klassenliebe" im Suhrkamp-Verlag. Der Roman wurde ein Bestseller. Auch sie schreibt von sich selbst, über Selbstentfremdung, ihre Todesängste und die Vorbereitungen für ein ungezwungeneres Leben.

Mit Karin stand ich seit den 70er Jahren in einem kontinuierlichen künstlerischen Austausch. Die Aufbruchstimmung motivierte uns zur Zusammenarbeit in mehreren Projekten.

Die Auseinandersetzung des weiblichen Geschlechtes mit sich selbst fand einen eigenständigen Ausdruck in Kunst und Literatur.

Zahlreiche bildende Künstlerinnen sowie Marina Abramovic, Carolee Schneemann, Martha Rosler, Yoko Ono, Rebecca Horn, Valie Export, Ulrike Rosenbach, Hanna Wilkes, Cindy Sherman u.v.a.m. haben diesen Weg der Body experiences intensiv, jede auf ihre eigene Art und Weise, durchgestaltet und durch ihre Körpersprache allgemein menschliche Erfahrungen vermittelt.

Eine Welle von aktuellen Ausstellungen und Publikationen zeugt vom regen Interesse an der feministischen Kunst der 70er Jahre. Erwähnen möchte ich zwei Ausstellungen, an denen ich selbst beteiligt war:

"WACK!Art and the Feminist Revolution" kuratiert von Dr. Cornelia Butler vom Modern Art Museum in New York. Zu dieser Ausstellung wurden 119 Künstlerinnen aus allen Ländern der Welt eingeladen. Sie begann 2007 im Museum in Los Angeles und tourte durch verschiedene Museen in den USA und in Kanada. Die Kuratorin betonte: "Die Auswirkungen des Feminismus in der Kunst der 1970er Jahre stellen die bedeutendste internationale Bewegung der Nachkriegszeit überhaupt dar…" WACK! Ist ein Meilenstein in der Geschichte der Ausstellungen feministischer Kunst, weil mit dieser Ausstellung diese Kunstbewegung der 1970er Jahre erstmals auch im Museumskontext autorisiert wurde.

In Italien folgte in diesem Jahr die Ausstellung "DONNA - Feministische Avantgarde der 70er Jahre" im Nationalmuseum in Rom, an der 17 internationale Künstlerinnen teilnahmen. Die Kuratorin Dr. Gabriele Schor schreibt, dass diese Kunstbewegung der 70er Jahre die postmoderne zeitgenössische Kunstproduktion entscheidend beeinflusst hätte und bescheinigt dieser Kunstbewegung eine radikale Umwertung:

Ich zitiere: "Aufgrund ihrer Bereitschaft, sich gegen eine ganze Epoche aufzulehnen, etwa gegen den männlichen Geniekult, oder die Hegemonie der Malerei, und wegen der grundlegenden Neuerschaffung des Bildes der Frau durch die Frau, ist es an der Zeit, für diese radikale Kunstbewegung einen Namen einzuführen, der ihrer historischen Vorreiterrolle gerecht wird - nämlich: Feministische Avantgarde".

Was vereint nun uns Künstlerinnen? Uns Künstlerinnen vereint ein kollektives Bewusstsein!

Es ist erstaunlich, dass sich oft ästhetische Ähnlichkeiten zwischen den Werken einzelner Künstlerinnen ausmachen lassen, bei denen es unwahrscheinlich ist, dass sie die Arbeiten der jeweils anderen kannten.

Ich zitiere weiter die Kuratorin Gabriele Schor: "Es galt, ein Jahrhunderte altes "Naturgesetz" einer radikalen Umwertung zu unterziehen.

Eine der großen und weit reichenden Errungenschaften der Künstlerinnen der Feministischen Avantgarde war es, durch ihr kollektives Bewusstsein, das vom Künstler über Jahrhunderte mit Projektionen, Stereotypen, Sehnsüchten und männlichem Wunschdenken aufgeladene "Bild der Frau" zu dekonstruieren und diese eindimensionale Subjekt-Objekt Relation durch eine Vielfalt von Identitäten und Identitätskonstruktionen aufzulösen". (Schor) Es bleibt nicht aus, dass sich auch jüngere Künstlerinnen auf die Werke von Frauen der 70er Jahre beziehen. Erwähnen möchte ich Tracey Emin, die zur Vernissage der DONNA-Schau nach Rom kam. Sie gehört zur Gruppierung der "Young British Artists". Tracey Emin arbeitet offen autobiographisch und setzt ganz bewusst ihre persönlichsten Erfahrungen wie Abtreibung, Vergewaltigung, oder Sexualität in ihre Kunst um. Ihr Buch "Strangeland", erschienen 2005 (in Deutschland 2009), ist unterteilt in drei Kapitel: Motherland - Fatherland - Traceyland, dort gibt es in dem letzten Kapitel Textüberschriften wie "Hinweise für den Umgang mit einer ungewollten Schwangerschaft" oder "Abtreibung - wie es sich anfühlt" oder "sich schwanger fühlen". Ich finde, mit diesen Themen ihrer künstlerischen Arbeit steht Tracey Emin ganz im Kontext der Kunst der Feministischen Avantgarde der 70er Jahre. Im Verlag Klaus Wagenbach in Berlin ist im letzten Jahr ein Buch herausgekommen mit dem Titel "VULVA - die Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts". Die Autorin Mithu M. Sanyal, geb. 1971, ist indisch-polnischer Abstammung und lebt in Düsseldorf. Sie erzählt die Kulturgeschichte des weiblichen Geschlechts. Es ist eine Geschichte von Aberkennung und Aneignung und stellt die aktuelle Diskussion um Post- und Pop-Feminismus sowie um öffentlich enthüllte Privatgebiete auf ein solides Fundament.

Annegret Soltau

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