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Chinas Reichtum auf den Schultern junger Wanderarbeiterinnen

Chinas Wirtschaft wächst und damit auch der Wunsch der chinesischen Landbevölkerung an diesem Wachstum zu partizipieren. Seit nun mehr als zwei Jahrzehnten strömen Frauen und Männer in die expandierenden Städte in der Hoffnung dort Wohlstand und ein besseres Leben für sich und ihre Familien zu finden. Auch nach der Olympiade von 2008 ist die Goldrauschstimmung trotz der weltweiten Wirtschaftskrise nicht abgebrochen. Zwar traf und trifft es immer zuerst die Wanderarbeiter/Innen, wenn es um Stellenabbau ohne Folgen geht. Gleichzeitig braucht die Industrie und das produzierende Gewerbe diese billigen Arbeitskräfte aber, um die Inlands- und Auslandsnachfrage zu befriedigen.

Der vorliegende Artikel wirft einen kleinen Blick auf junge Wanderarbeiterinnen, - den sog. "Dagongmeis" was soviel wie "kleine Arbeiterschwester" heißt - in der VR China, die aus ländlichen Regionen stammen und zur Erwerbsarbeit für einen befristeten Zeitraum in die Städte abwandern.

Schwellenländer wie China, mit einem florierenden Wirtschaftswachstum verzeichnen ein hohes Migrationsaufkommen. Zurück zu führen ist dies u. a. auf die große Anziehungskraft städtischer Regionen, in denen die Arbeitsmöglichkeiten für die Landbevölkerung besser als im ruralen Raum sind (Le Breton Baumgartner, Maritza: 2000, S. 120f).

Viele junge Frauen vom Land migrieren in die Städte, um sich und ihren - teilweise auf dem Land verbliebenen Familienangehörigen - eine finanzielle Unterstützung zu bieten.

Diese Entwicklung birgt sowohl Chancen als auch Risiken. Zum einen stärken die selbstständig erworbenen finanziellen Mittel die Position junger Frauen innerhalb ihrer Familien. Sie werden nicht mehr nur, wie vielfach tradiert üblich als "Kuaize" "Essstäbchen" betrachtet, die man nach ihrem Gebrauch weg wirft und die nach der Heirat das elterliche Haus verlassen, sondern gewinnen zunehmend stärkere Achtung und werden sogar teilweise mit männlichen Nachkommen gleichgestellt, als stützende "Dachbalken" im Familienhaus anerkannt. Gleichzeitig schwächt jedoch Chinas enormes ökonomisches Wachstum in manchen Teilen die Gleichbehandlung der Geschlechter am Arbeitsplatz, weil sich die Konkurrenz zwischen Frauen und Männern um Arbeitsplätze verstärkt. Frauen werden aus prestigeträchtigen Bereichen, die sie noch während der kommunistischen Ära bekleideten, wegen der Bevorzugung von Männern heraus gedrängt, am Aufstieg gehindert und seltener in Entscheidungspositionen eingesetzt. Auf der anderen Seite fragen das produzierende Gewerbe und die Industrie besonders nach jungen unverheirateten Migrantinnen vom Land (Vgl. Henderson, Entwisle: 2000, S. 200).

Die jungen Frauen vom Land wandern meist in die boomenden Ost-Küstenregionen, wo sich Leichtindustrie und Dienstleistungsunternehmen zahlreich angesiedelt haben ab. Sie verdienen sich ihr Geld in der Spiel-, Bekleidungs- und Dienstleistungsindustrie, als Haushaltshilfen, Masseurinnen, Kinderfrauen uvm. In diesen Tätigkeitsfeldern sind die Einkommen, um circa 30-50 Prozent geringer als im Bausektor, der meist von männlichen Migranten besetzt ist. Generell gilt, dass Wanderarbeiter/Innen die Arbeiten übernehmen, die von der städtischen Bevölkerung kaum noch übernommen werden wollen. Die jungen Frauen arbeiten meist zu sehr schlechten Arbeitsbedingungen und Gehältern. Sie verfügen häufig nur über eine geringe Schulbildung und damit bleibt ihnen der Weg zu einer höheren schulischen Weiterbildung versagt. Sozialleistungen und soziale Sicherheit finden keine Anwendung. Urlaub haben Migranten/Innen meist nur einmal im Jahr, für eine Woche zum Frühlingsfest. Zu diesem Zeitpunkt machen sich Millionen von Wanderarbeitern/Innen auf den Heimweg, um ihre Familien wenigstens einmal im Jahr zu sehen und ihnen von ihren geringen Ersparnissen Geschenke zu bringen. Meist geben die jungen Frauen bis zu 90 Prozent ihres Geldes an die Familien ab. Die Arbeitsbedingungen in den Fabriken zum Beispiel in der Textilbranche führen häufig zu katastrophalen Unfällen, wie in einer Fabrik in der Provinz Guangdong im Jahr 2006, in der 20 Arbeiterinnen in ihrem Wohnheim auf dem Fabrikgelände bei einem Brand umkamen, weil sie nachts in den Schlafsälen eingesperrt wurden (vgl. Wick, Ingeborg: 2007, S. 33). Häufig kommt es dazu, dass den Frauen ihre Gehälter nicht ausgezahlt werden, um sie an einem Arbeitsplatzwechsel zu hindern. Auch ist die medizinische Versorgung der Frauen nicht durch ein organisiertes Gesundheitssystem gesichert. Werden sie krank, so müssen sie selbst für ihre medizinische Versorgung aufkommen. (Ji, Ping/Zhang, Kaid: 1985, S. 207 ff).

Viele junge Frauen arbeiten auch in der Gastronomie als Servicepersonal oder als Schneidergehilfinnen. Eigene Schlafunterkünfte erhalten sie hierbei jedoch nur selten. Sie müssen sich oft mit einer Schlafecke in der Räumlichkeit des Restaurants zufrieden geben (vgl. Davin, Delia: 1999, S. 99 ff).

Die täglichen Arbeitszeiten beispielsweise von Hausangestellten sind lang und körperlich sehr beanspruchend. Häufig kommt es zu Diskriminierungen der Frauen vom Land, wenn sie wegen ihrer Herkunft als minderwertig und unkultiviert charakterisiert werden. Man kritisiert ihre Sprache, Kleidung, Auftreten und Speisezubereitung und ganz allgemein die ländliche Herkunft. Dies übt Druck auf die Frauen aus, sich der Umgebung anzupassen (vgl. Peng, Xizhe/Guo, Zhigang: 1996, S. 185). Das Prinzip des "hire and fire", bei dem Arbeitskräfte für kürzest mögliche Zeiten eingestellt werden, ist hier eine gängige Praxis der Beschäftigungspolitik der Unternehmen, auch um sich "lästiger" Arbeitskräfteüberschüsse bei Produktionsleerläufen zu entledigen (vgl. Davin, Delia: 2001, S. 6 f).

Trotz des hier nicht sehr positiven Bildes der Arbeitsbedingungen für die jungen Frauen vom Land muss festgehalten werden, dass dies vielfach die einzige Möglichkeit für sie ist, eigenständig außerhalb der Landwirtschaft Einkommen zu erwirtschaften und mehr Ansehen und Selbstständigkeit innerhalb der Gesellschaft zu erhalten. Damit sich die Arbeitsbedingungen jedoch langfristig verbessern können, müssen wirksame Instrumente der Arbeitsüberwachung durch den chinesischen Staat unter Mitwirkung der gesellschaftlich relevanten Gruppen installiert und überwacht werden. Aber auch wir im Westen als Konsumenten aus Fernost müssen umdenken und uns bewusst darüber werden, dass unser unstillbarer Hunger nach "billigen" Produkten, seien es Schuhe, Kleider, Kühlschränke oder PCs auch die Gehälter und Arbeitsbedingungen dieser Frauen mitbestimmen.

Katharina Roth-Deblon

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