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Kinder und Beruf sollen kombinierbar bleiben

In einer Studie, die vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung 2008 initiiert wurde, gingen Susanne Dähner und Daniel Erler der Frage nach, ob auch 20 Jahre nach dem Fall der Mauer noch Unterschiede im Erwerbsleben und im persönlichen Entwurf von Ost- und Westfrauen festzustellen sind.

 

Während in den alten Bundesländern in den letzten zwanzig Jahren die Geburtenziffer stetig gleich blieb, bei 1,37 Kindern pro Frau, so hat der Schreck der Wiedervereinigung (durch Firmenschließungen und dem Verlust von Arbeitsplätzen) bei den Ostfrauen in einen Gebärstreik gemündet. Von fast zwei Kindern pro Frau im Jahr 1980 sank die Gebärfreudigkeit erst langsam, dann rasant und lag 1993 nur noch bei 0,8 Kindern pro Frau. Mittlerweile hat sich der Unterschied wieder ausgeglichen, Frauen haben sich angenähert auf nur 1,38 Kinder pro Frau in Ost und West.

Führt der ausgeprägte Kinderwunsch im Osten an den häuslichen Herd? Nein! Dreiviertel der ostdeutschen Frauen würden gern über 30 und bis 40 Stunden die Woche arbeiten, im Westen sind es nur 52 Prozent. Die Ostlerinnen wollen selbstständig sein, ihr eigenes Geld verdienen und eine gute Ausbildung erwerben. Der Wunsch nach Familie und Kindern hindert sie nicht daran. Bis 1998 gingen 92 Prozent der Frauen im Osten einer Erwerbsarbeit nach, später wurde dieser Anteil kleiner wegen der für Frauen und Männer fehlenden Arbeitsplätze, betrug aber weiterhin immerhin noch 70 Prozent.

Die Versorger-Ehe ist den Frauen im Osten eher fremd, mit dem Schuleintritt ihrer jüngsten Kinder sind ostdeutsche Frauen normalerweise wieder Vollzeit beschäftigt. Sie greifen dabei auf ein gut ausgebautes Netz an Kinderbetreuungsmöglichkeiten zu, 60 Prozent der drei bis fünfjährigen Kinder werden ganztags betreut, im Westen beträgt dieser Anteil nur 17 Prozent aller Kinder, die ganze Tage in einer Kita verbringen. Alle anderen haben lediglich Teilzeitplätze.

Nur 17 Prozent aller ostdeutschen Frauen und Männer finden, dass es besser wäre, wenn Frauen bei Kindern und Küche bleiben, der Mann im Gegenzug den Ernährer spielt und Vollzeit arbeitet. Im Westen sind es 40 Prozent aller westdeutschen Frauen und Männer, die dieses traditionelle Modell befürworten. Über 86 Prozent der jungen Ostfrauen wollen Kinder und gleichzeitig sich beruflich verwirklichen, beides soll kombinierbar bleiben.

Im Westen ist die weibliche Erwerbsquote von früher 57 Prozent, im Jahr 1991 auf 67 angestiegen und wächst weiterhin, allerdings arbeiten Frauen immer häufiger in Teilzeit oder im Minijob, weil sie ihren Aufgabenschwerpunkt in der Familie sehen.

Das Lohnverhältnis, der Gender Pay Gap, ist im Osten ausgeglichener als im Westen. Ostfrauen erhalten 94 Prozent von dem, was ihre Männer verdienen, Westfrauen dagegen nur 76 Prozent. Allerdings erreichen wir hier eine Lohngerechtigkeit auf tiefem Niveau, da Löhne und Gehälter im Osten deutlich niedriger liegen.

Wie sieht es aus mit Frauen in Führungspositionen? Im Osten sind deutlich mehr Posten auf der ersten Führungsebene durch Frauen besetzt. Weibliche Präsenz in Führungspositionen ist selbstverständlicher als im Westen. Das bedeutet Chance und Gefahr gleichermaßen: Eine Chance, weil sich durch die selbstverständlichere Befürwortung von Gleichberechtigung tatsächliche Handlungsspielräume für Frauen eröffnen; eine Gefahr, da weiterhin bestehende Hürden leicht übersehen und nicht mehr bekämpft werden.

Mehr Frauen in Führungspersonen bedeutet auch mehr Macht für Frauen. Eine Folgestudie 2009 mit dem Schwerpunkt auf der Bewältigung der Wirtschaftskrise führt zu der Schlussfolgerung, dass Frauen jetzt, wo der "Karren im Dreck steckt", besser dafür geeignet scheinen, die Wirtschafts- und Finanzkrise zu bewältigen. Der Ruf nach den so genannten "Trümmerfrauen" wird laut. Es bleibt zu erwarten, dass sie sich diese gewonnene Einflussnahme nicht mehr nehmen lassen.

Nach der Wende haben viele junge Frauen dem Osten den Rücken gekehrt, besonders in den ländlichen Gebieten von Mecklenburg. Was hat diese jungen Frauen dazu bewogen, was hat sie im Westen erwartet? In der Brigitte Studie 2009 (Rezension zum Buch in dieser MATHILDE): "Wie junge Frauen heute leben wollen" finden wir einige Antworten darauf.

Die Migration der jungen Frauen aus den ländlichen ostdeutschen Gebieten ähnelt einer Landflucht. Auf der Suche nach einem sicheren Arbeitsplatz und besseren beruflichen Chancen bei besserer Bezahlung wandern viele junge Frauen Richtung Westen, (sieben Prozent) und dort in die Städte, selten kehren sie zurück. Sie legen weite Wege zurück für ihre Ausbildung, sie sind flexibel und hoch motiviert. Die Folge ist, dass in manchen Gebieten von Mecklenburg auf 100 Männer nur noch 85 Frauen kommen.

Ein kleinerer Teil von westdeutschen Frauen (fünf Prozent der 22-Jährigen) ergreifen ihrerseits die Möglichkeiten einer Arbeit im Osten und nutzen dort die immer noch besseren Kinderbetreuungsmöglichkeiten für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Fazit: Die ostdeutsche Frau ist selbst bestimmter, auf dem Arbeitsmarkt und beim Spagat zwischen Familie und Beruf. Die daraus gewonnene Unabhängigkeit lassen sie sich nicht wieder wegnehmen.

Gundula Pause

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