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Kunstreise - USA

Mit Dagmar von Garnier, Judy Chicago "The Dinner Party", Niki de Saint Phalle "Queen Califia’s Magical Circle" |

Anfang 2009 besuchte ich eine Veranstaltung im Literatur-Salon von Dagmar von Garnier in Frankfurt und bekam von ihr die Ausschreibung der Kunstreise nach New York und San Diego 2009.

Die Ausstellung in der Frankfurter Schirn 1987 »The Dinner Party« von Judy Chicago hatte ich verpasst und das letzte Kunstwerk »Queen Califia’s Magical Circle« von Niki de Saint Phalle wollte ich unbedingt im Original sehen.

Zur Vorbereitung der Reise besorgte ich mir den Schirn - Ausstellungskatalog von 1987 und das Buch »Durch die Blume« von Judy Chicago. Ebenso den 1992 anläßlich der Ausstellung »Niki de Saint Phalle« in der Kunsthalle Bonn erschienene Katalog und das Buch von Monika Becker: »Starke Weiblichkeit entfesseln«. Auf diese Weise habe ich viel über Leben und Arbeiten beider Künstlerinnen erfahren und wie mühsam sich ihr Weg als Künstlerinnen gestaltete.

Im Brooklyn Museum in New York hat nach Jahre langer Einlagerung die Installation »The Dinner Party« einen großzügigen dauerhaften Raum gefunden, der ganz auf das Kunstwerk abgestimmt ist. Abgeschirmt von hohen schwarzen Glaswänden in Form eines gleichschenkligen Dreiecks kann ich beim Betreten des Raumes von Außen nur durch die schmalen Öffnungen an den Spitzen einen ersten Blick auf die Installation werfen. Ein dunkler Raum, Lichtkegel sind nur auf die 39 Gedecke der Frauen, an die erinnert und die geehrt werden sollen, gerichtet.

Still betrete ich den sakral wirkenden Raum. Jedes laute Wort stört. Die drei Seiten der großen dreieckigen Tafel enthalten je 13 Gedecke auf 13 gewebten Teppichen, abgestimmt und angepaßt an die jeweilige Frau. Messer, Gabel und der Kelch sehen alle gleich aus und stellen untereinander eine Verbindung her. Die Anordnung und Symmetrie schaffen eine Atmosphäre der Ruhe. Kein Teller gleicht dem anderen. Jetzt begreife ich langsam, warum diese Arbeit 5 Jahre bis zur ihrer Fertigstellung benötigt hat. Höchste handwerkliche Kunst und technische Fertigkeit waren nötig für die Umsetzung.

Gegen Ende der Tafel sind immer wieder Teller dreidimensional gestaltet, die gewebten Teppiche darunter höchst aufwendig und kompliziert gearbeitet. Eine zusätzliche Herausforderung. Mir scheint es ein Symbol für den Kampf, den Judy Chicago lebenslang gekämpft hat – nicht nur gegen die widrigen Umstände, sondern auch gegen die vorherrschende Männerkunst.

Nach einer Unterbrechung kehre ich noch einmal zurück. Ich revidiere mein Urteil, das ich mir nach dem Betrachten der Fotos im Katalog gemacht hatte: zu schön, zu gleichmäßig, zu viel Symmetrie...

Als Gesamtkunstwerk ein sinnliches Erlebnis. Ausdrucksstark, vielfältig, beeindruckend, kunstvoll, überraschend. Jetzt schaue ich mir auch noch einmal den Teller mit dem 3D-Klavierflügel genauer an. Bei meinem ersten Rundgang stellte ich fest, passt nicht, banal, Ausrutscher, völliger Gegensatz zu den anderen Arbeiten. Aber lebt die Kunst nicht von Gegensätzen, die eine Arbeit spannend machen? Zieht nicht gerade das Alltägliche, Banale die Aufmerksamkeit auf sich, ganz gleich, wie wir es bewerten? Ich verabschiede mich von dem vermeintlich »disharmonischen Klang des Flügels«. Ich bemerke erst jetzt, dass die Fliesen unter der gedeckten Tafel ganz gleichmäßig mit den Namen weiterer 999 Frauen, die in ihrem Leben viel gelitten und geleistet haben, beschriftet sind. Es wirkt auf mich wie ein ruhiger, gleichmäßiger Teppich, der das große Werk von Judy Chicago trägt und ihr Anliegen weiter trägt.

Nach 5 Tagen Kunst und Kultur satt – New York schläft nicht – einem Virus, dem man unschwer entgehen kann, Weiterflug nach San Diego/Kalifornien auf den Spuren von Niki de Saint Phalle. In La Jolla, einem Ortsteil von San Diego, hat sie ihre letzten Jahre seit 1994 verbracht, gesundheitlich bereits angeschlagen erwartete sie hier mildes Klima, Sonne und klare Meeresluft.

Ende November ist es tatsächlich noch angenehm warm, Sonne, blauer Himmel – gute Voraussetzungen für die Spurensuche. Hier in La Jolla befindet sich Niki’s großzügiges Haus mit Atelier, nur ein paar Schritte vom Meer entfernt. Nördlich von San Diego im Park von Escondido besuchen wir als erstes »Queen Califias Magical Circle«. Eine Mauer, auf der zwei große Schlangen den Abschluß bilden, liegt schützend um dieses große Kunstwerk. Ich umrunde erst einmal von Außen die Arbeit, sehe jeweils in den Schlangenwölbungen nur Ausschnitte und bekomme so allmählich eine Vorstellung, was mich im Inneren erwartet. Alle zwei Meter ändert sich Material und Ausgestaltung der Mosaiken, mit denen die Schlangen belegt sind. Ich kann gar nicht anders und muß ab und zu mit der Hand darüber streichen. Der Eingang als Labyrinth angelegt verwirrt mit seinen in schwarz/weiß gestalteten Fließen und eingearbeiteten Spiegeln. Ein Durchblick ist nicht möglich. Die Spiegelung fasziniert mich, mit ihren kleinen Ausschnitten von den Arbeiten im Inneren. Nach dem Labyrinth komme ich in das Innere. Meterhohe Totems umschließen das große Phantasietier in der Mitte, auf dessen Rücken majestätisch Queen Califia mit ihrem Adler steht. Ich nehme mir viel Zeit um die wunderschönen Details in den Mosaiken zu entdecken. Die Innenseite der Mauer erzählt viele Geschichten.

Das Zusammentreffen mit einem Zeitzeugen vor Ort ist berührend und gleichzeitig informativ. Als Assistent von Niki hat er mit seiner ganzen Firma die Umsetzung und Ausführung der Mosaikarbeiten realisiert. Auf die Frage, wie die Zusammenarbeit und Person Niki war, kam eine kurze Antwort: sie war trinkfest, workaholic und hatte bei allen Besprechungen das letzte Wort. Außer am Magical Circle wurde ja gleichzeitig noch im Tarot Garten in Italien gearbeitet und für Israel die 39 Tiere für das Arche-Projekt fertig gestellt und verschifft. Überall in der Welt besorgte er tonnenweise Steine aus ganz unterschiedlichen Materialien, darunter Halbedelsteine, versteinerte Holzstücke und ausgefallene Mosaiksteine. Sechs Monate bis zu ihrem Tod 2002 begeleitete er Niki auf der Intensivstation. Die große Hauptfigur im Magical Circle beendete er erst nach ihrem Tod.

Am Ausgang angekommen, frage ich mich, wie der Eingangsbereich (Labyrinth) mit der übrigen Arbeit zusammen paßt. Wieder ein starker Gegensatz: eckig zu rund, farbig zu schwarz/weiß, weich zu hart...Ist es ihre Antwort auf die noch immer vorherrschende Männerkunst, gegen die sie sich ein Leben lang behaupten mußte? Der Kontrast war es, der sie immer wieder faszinierte.

Auf unserer Spurensuche treffen wir auf dem Universitätsgelände von La Jolla »Sun God« (1983).

Aufrechtstehend, ein papageiähnlicher Vogel, breitbeinig mit ausgestreckten Flügel-Armen steht er auf einem 5 Meter hohen unregelmäßig geformten Bogen. Von Weitem leuchtet die goldene Farbe seines gezackten Kammes im Kontrast zum blauen Himmel.

In San Diego im Bilbao Park steht die Skulptur »Poet und Muse« (1998). Die Figur ist mit Mosaiksteinen belegt. Der kleine Poet stemmt seine übergroßen Muse!

Ein paar Meter weiter erwartet uns »Nikigator« (2001). Ein heiteres Krokodil, das nicht nur Kinder zum Klettern und Spielen einlädt.

Unterwegs im Park muß der Busfahrer noch einmal anhalten. Ist das auch eine Arbeit von Niki oder eine Nachahmung? Kein Hinweisschild, später erfahren wir den Titel: »Hommage an einen berühmten Basketballspieler« von Niki de Saint Phalle.

Ganz im Süden nahe der mexikanischen Grenze steht Niki’s »Coming Together« (2001). Die Arbeit ist kurz vor ihrem Tod entstanden, ein Gesicht unterteilt in Schwarz/ Weiß und Farbe. Fragil durch die Aussparungen, einem großen Diskus ähnlich, lässt sie uns ahnen, wie ihr künstlerischer Weg hätte weiter gehen können.

Im Museum in La Jolla schaue ich mir zum Schluß noch den Skulpturen-Garten an. »Big Ganesh« (1989), eine indische Gottheit des Schicksals und Glücks, von Niki in fröhlichen Farben bemalt, treibt hier seinen Spaß Ein lustiges Rüsseltier in menschlicher Gestalt erinnert mich daran, das Leben von seiner heiteren Seite zu nehmen.

Ein Besuch im Lieblingsrestaurant von Niki im »Barbarella« in La Jolla gehört auch zu der Kunstreise. Die Weihnachtsdekoration wirkt zunächst befremdend, aber im Inneren gibt es einen von Niki gestalteten Kamin und eine »Nana«, die der Jahreszeit entsprechend mit einem Weihnachtsstern dekoriert ist. Stolz gibt uns der Besitzer eine von Niki gestaltete Visitenkarte, schließlich war sie Patin einer der Töchter. In einem Schrank entdecke ich ein von Niki gestaltetes T-Shirt. Es entschädigt mich ein wenig, da von all ihren Arbeiten, die wir gesehen haben, es weder Postkarten noch einen Katalog gibt. In Europa ist Niki de Saint Phalle bekannt, nicht aber in San Diego. Die von ihr gegründete Stiftung hat nicht einmal genügend Geld, Reparaturen an ihren Kunstwerken durchführen zu lassen oder sie vor Beschädigungen zu schützen.

Nach 5 Tagen in San Diego endet die von Dagmar von Garnier organisierte Kunstreise. 21 Frauen und 1 Mann kehren voller Eindrücke und Erlebnisse wieder nach Frankfurt zurück.

Doris Kohn

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