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Auf dem Weg zur Zugspitze durch das Höllental. "Bei den letzten 40 Höhenmetern dachte ich, ich schaff's nicht. Aber schon nach fünf Minuten Durchatmen auf dem Gipfel, konnte ich wieder lachen."

Mit dem Kanadier durch das Sumpfgebiet von Okefenokee. "Sie waren mir überhaupt nicht geheuer, diese Alligatoren. Sie liegen bewegungslos, tauchen lautlos weg - und sind verdammt groß. Das mulmige Gefühl hat mich die ganze Zeit über nicht verlassen."

Auf der Wolga bei Nishni Nowgorod. "Die Schiffsreise auf der Wolga war im Nachhinein wohl eine meiner gemütlichsten Reisen. Beeindruckend waren unter anderem die vielen Schleusen, die wir passieren mussten. Aber das Highlight waren die Lotusfelder im Wolgadelta."

Alleine mit Zelt, Rucksack und Fahrrad durch Island.
"Mit Einsamkeit klar zu kommen kann auf einem belebten Großstadtplatz schwieriger sein, als in einer großen weiten Landschaft."

Mit dem Hundeschlitten in Lappland. "Die Hunde waren faszinierend. Sie sind vorher aufgeregt und hektisch - ein beängstigender Eindruck -, weil sie laufen wollen. Nach der Fahrt jedoch sind sie total verschmust."

Mit Fernglas und Kamera

"Ferne Länder oder einen Ort in Deutschland erkunden, das Ziel ist nicht alleine ausschlaggebend für meine Reiselust." Das sagt Margret W.- Simon, 74, und erzählt von ihren Motiven und dem Spaß, auch im Alter noch unterwegs zu sein.

Mit dem Fahrrad durch Isand, eine Schiffsreise auf der Wolga, mit dem Autozug durch den Tunnel nach England, eine Rundreise durch Namibia, auf dem Hundeschlitten in Lappland oder einfach ein bisschen in den Alpen klettern - das sind nur einige der Reiseziele der letzten Jahre, die die rüstige Rentnerin unternommen hat. Margret W.-Simon reist seit ihrer Jugendzeit, doch die Qualität der Unternehmungen hat sich im Laufe der Jahre geändert.

»Früher bin ich einfach weggefahren, heute plane und verarbeite ich.«

Geldmangel und die Familienzeit mit vier Kindern ermöglichten in jüngeren Jahren keine weiten Erlebnisreisen. Doch seit sie alleine lebt, erkundet sie die Welt - je nach Interesse, Zeit und natürlich immer noch Geldbeutel. Die Ziele reichen von Skandinavien bis Griechenland, von Alaska bis Peru und vor zwei Jahren erkundete sie Namibia, eine Reise, auf die sie sich lange vorbereitet und auf die sie lange gespart hat. Und hier liegt auch der Unterschied zu den früheren Reisen.

»Heute bereite ich meine Reisen sehr viel mehr vor. Ich schaue nicht mehr nur nach dem Ziel und lese ein bisschen rum, sondern ich suche mir etwas aus, was mich beschäftigt oder sogar berührt«, sagt sie. »Dann mache ich die Reise, fotografiere viel und versuche auf- und mitzunehmen, was mir begegnet.«

Das können sehr unterschiedliche Eindrücke sein. Die Menschen auf der Straße, ein Felsen oder auch ein kleiner Käfer, der am Straßenrand sitzt. »Nach dem Urlaub bereite ich dann nach, und manches begreife ich erst jetzt.« Das heißt dann also nicht nur Fotos sortieren und einkleben. »Das ist sehr intensiv, da ich nun eigene erlebte Anknüpfungspunkte habe, die nicht unbedingt im Reiseführer stehen. Diese Anknüpfungspunkte beziehen sich auf meine Fragen, die sich immer bei meinen Beobachtungen ergeben: Was ist das? Und: Warum ist es so?« Sie geht auf die Suche nach Antworten in unterschiedlichen Quellen vom Internet bis zur Bibliothek und manchmal kommt ein Bild-Vortrag dabei heraus, der nicht nur interessant, sondern auch einen faszinierend-künstlerischen Fokus hat, wie beispielsweise »Island-schwarz-weiß« oder die Geschichte der Völkergruppen in Namibia.

»Heute interessieren mich zunehmend die Hintergründe. Nicht unbedingt vor der Reise, sondern viele meiner Beobachtungen ergründe ich auch erst im Nachhinein. So erfuhr ich zum Beispiel über Litauen, dass in Vilnius vor dem Naziterror die Bevölkerung aus 34 Prozent Juden bestand. Ich wollte wissen, wieso.« Es sei ihre ganz privat-politikgeschichtliche Neugier fügt sie noch hinzu. Und die sei in jungen Jahren nicht vorhanden gewesen, sondern habe sich erst langsam entwickelt.

»Erholungsurlaub brauche ich nicht, ich erhole mich in meinen eigenen vier Wänden am besten.«

Solche Reisen dienen nicht der Erholung, sondern sind Exkursionen in eigener Sache. Aber nicht allein die Neugier Neues zu entdecken und kennenzulernen ist das Motiv, sondern sie liebt auch die Herausforderung. In den Alpen klettern ist eine solche, aber auch eine Reise alleine anzugehen. Denn nicht immer findet sich eine Person, mit der eine Unternehmung gemeinsam geplant werden kann.

»Alleine zu reisen hat den Vorteil, dass ich mir morgens was vornehmen kann und mittags etwas ganz anderes mache. Natürlich ist es auch schön, sich über das Erlebte mit einer anderen Person auszutauschen, aber da müssen die Bedürfnisse übereinstimmen und das ist nicht immer einfach zu finden. Insbesondere wenn Pannen passieren, war ich schon des öfteren an meinen Grenzen. Zu zweit kann man darüber lachen, wenn das Auto irgendwo in der Pampa festgefahren ist, alleine ist das dann sehr schnell nicht mehr lustig.«

Ein weiteres Motiv ist »Überblick gewinnen«. Damit meint sie: »Egal, wo ich bin, es zieht mich immer zunächst nach oben.« Vom Überblick zum Detail, diese Geschichte spiegeln auch ihre Fotos wider. Bizarre Landschaftsbilder und dann das Samenkorn einer Planze, die besonders typisch ist für eine Gegend, sind ebensolche Bildthemen, wie die Gesichter von Menschen und Orten.

»Island war ein Kindheitstraum.«

Wonach sie ihre Ziele auswählt, kann sie nicht pauschal beantworten. Das kann von aktuellen Interessen abhängen, die durch ein Buch oder eine Fernsehsendung aufkommen, das kann aber auch durch einen Besuch geweckt werden, wie beispielsweise eine Lapplandreise, die sie mit ihrem Sohn unternahm, der in Finnland lebt. Aber es gab auch eine ganz andere Motivation. »Als es mir einmal psychisch sehr schlecht ging, habe ich als Ausweg nach etwas gesucht, auf das ich mich freuen konnte. Da fiel mir Island ein, das mich durch die Bücher von Jon Svensson, der mit den Geschichten seine eigene Kindheit in Island beschreibt, als Mädchen fasziniert hat. So habe ich mich mit meiner Reise nach Island und durch die Erfüllung eines Kindheitstraumes selber aus der Krise heraus geholt.«

Nachdem sie wusste, dass sie alleine fahren würde, kamen die Vorbereitungen: Was kann schlimmstenfalls passieren? »Wenn mir bei dieser Frage eine Lösung einfällt, geht die Angst weg und ich kann planen.« In Island gibt es keine wilden Tiere, im Sommer ist auch nicht mit Schneestürmen oder Eisbären zu rechnen. Karges Gelände liebt sie. »Blümchen, die ihr Dasein im unwirtlichen Gelände neben einem Gletscher oder im August am Nordkap bei heftigem Wind und etwa vier Grad plus ertrotzen, sind für mich mehr als nur faszinierende Fotomotive.«

»Die Eisberge von Grönland - das ist eine noch ausstehende Traumreise.«

Große und kleine Ziele durchziehen die Reisegeschichte von Margret W.-Simon und sie kann nicht sagen, welche Reise am beeindruckendsten gewesen ist. »Das Sumpfgebiet mit seinen Alligatoren im Okefenokee in Georgia/USA, durch das wir zu zweit in einem Kanadier gepaddelt sind, war Aufregung pur.« Aber auch die kleinen Ziele »vor der Haustür« seien klasse. »Berlin, der Harz, die Rhön, uuml;berall gibt es Schönes zu entdecken. Auch die Schwäbische Alb hat wunderschöne Ecken und eine interessante Geschichte. Nichtsdestotrotz habe ich immer noch Ideen und Wünsche, wie zum Beispiel die Eisberge von Grönland, deren Auseinanderbersten ich sehr gerne erleben würde.«

Sie ist jetzt 74, aber durchaus nicht auf dem Weg in den Lehnstuhl. Ihre Reiselust ist ungebrochen, auch wenn sie sich inzwischen die Frage stellt: Wie lange kann ich das noch tun? »Früher habe ich einen Plan auch mal aufgeschoben. Jetzt bin ich kürzer entschlossen, denn die Frage, ob ich im nächsten Jahr noch mobil genug bin, verbietet jeden längeren Aufschub.«

Text: Gabriele Merziger - Fotos: Margret W.-Simon

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