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Opfer und Täter

www.fembio.org am 08.März 2010 - Glosse von Luise F. Pusch

Unter www.fembio.org veröffentlicht die feministische Linguistin Luise F.Pusch seit 2001 eine umfangreiche Datenbank über 32.000 bedeutend Freuen einschließlich einer Online-Sammlung von Frauenbiographien mit Bildern. Außerdem gibt es zusätzlich zu den jeweiligen "Frauen der Woche die "Frauengedenktage" für jeden Tag, die Weblogs von Luise F.Pusch /Deutsch) und Joey Horsley (Englisch), aktuelle Glossen von Luise F.Pusch, Empfehlungen zu Büchern, Hörbüchern, Webseiten, Musik, Filmen und Fernsehsendungen. MATHILDE Bedankt sich bei Luise Pusch für die großzügige Erlaubnis, nach Wunsch Glossen aus ihrem Blog zu übernehmen.

In letzter Zeit reden wieder alle vom »sexuellen Missbrauch«. Feministinnen kämpfen seit bald 40 Jahren gegen diese unsägliche Formulierung. Sie impliziert, dass es neben dem sexuellen Missbrauch auch noch einen richtigen/ akzeptablen sexuellen Gebrauch von Mädchen und Knaben gebe, so wie es neben dem Alkohol- oder Tablettenmissbrauch auch einen korrekten Gebrauch von Tabletten oder Alkohol gibt. Unerträglich ist auch die Implikation, dass die Missbrauchsopfer ein Genussmittel seien, wie Alkohol oder Nikotin. Trotzdem handelt es sich bei dem sogenannten sexuellen Missbrauch eindeutig um Missbrauch, und zwar um Macht- oder Amtsmissbrauch - bei den Priestern um beides. Wir sollten ab sofort sagen, die Kinder sind *Opfer sexuellen Machtmissbrauchs*.

Denn der Machtmissbrauch in unserer Gesellschaft ist ja das zutiefst Alarmierende an all den Missbrauchsfällen, die jetzt ruchbar werden - eine katholische oder sonstige sogenannte Eliteschule oder Elite-Institution nach der anderen. Das Schlimme ist, dass diejenigen, denen wir vertraut und Macht über andere anvertraut haben, diese Macht gegen die Anvertrauten und ihnen Ausgelieferten skrupellos missbrauchen, und das jahre- und jahrzehntelang.

Die Fundamente unserer Gesellschaftsordnung sind bei Machtmissbrauch bedroht. Wenn die Politik, die Polizei, das Heer oder die Justiz vom organisierten Verbrechen unterwandert sind, herrscht höchste Gefahr. Wenn die Familien und die Schulen vom sexuellen Machtmissbrauch der Väter und der Lehrer durchseucht sind, sind die »Keimzellen des Staates« befallen.

In meiner letzten Glosse habe ich die Opfer der Missbrauchs-Priester mit Bedacht als Jugendliche bezeichnet und nicht von Jungen oder Knaben gesprochen. Meine Wortwahl geht zurück auf eine öffentliche Debatte in Boston vor etwa zehn Jahren, als dort die Skandale um die Missbrauchs-Priester und ihre Missbrauchs-Oberen, die sie jahrelang gedeckt hatten, aufbrachen. Bostoner Feministinnen machten sich Gedanken darüber und beschwerten sich lautstark, dass mit einem Mal das Thema Missbrauch so viel Medien-Aufmerksamkeit bekam, weil jetzt die katholische Kirche involviert war, weil auch oder sogar vorwiegend Knaben die Opfer waren und es somit um das Thema Homosexualität ging - viel geiler als der stinknormale »Missbrauch von Mädchen«, das ist ja bloß zum Gähnen, lockt keinen mehr hinterm Ofen hervor. Aber das brisante Gemisch katholische Kirche, Knaben als Opfer und Schwulitäten war neu und trieb die Auflagenziffern und die Einschaltquoten in die Höhe.

Die Bostoner Feministinnen wehrten sich gegen die Einstellung, dass »Missbrauch von Mädchen« etwas Gewöhnliches und »Missbrauch von Knaben« etwas besonders Schändliches sei - etwas, was für Knaben sozusagen schlimmer ist als für Mädchen, denn Mädchen sind ja irgendwie dafür da, missbraucht zu werden, gell?

Aus diesem Grunde also sprach ich bewusst von Jugendlichen, um nicht die weiblichen Opfer des sexuellen Machtmissbrauchs der Priester als » business as usual, nichts weiter Besonderes« außen vor zu lassen.

Nun ermahnt mich der Leser Oliver: Eine Frage ist, ob man hier betonen sollte, dass möglicherweise mehr Jungen als Mädchen zu den Opfern gehören. Wir sollten es auch betonen, wenn mehr Mädchen als Jungen missbraucht werden - oder getötet, etwa von einem Attentäter. Allerdings kenne ich keine Zahlen - und wäre an solchen interessiert.

Da klingt der Frauenmord des Tim K. in Winnenden an, dessen Stoßrichtung sprachlich fast überall zu einem Mord an »Schülern« verunklart wurde.* Ja, an Zahlen wäre ich auch interessiert - aber da ist bekanntlich die Dunkelziffer. Leserin Anne hat recherchiert, dass von den Opfern sexuellen Machtmissbrauchs zwei Drittel weiblich sind - das wird bei dem von Priestern verübten sexuellen Machtmissbrauch nicht anders sein.

Es ist verständlich, dass Oliver sich als Mann für die Unterscheidung zwischen weiblichen und männlichen Opfern einsetzt. Für Frauen primär interessant ist allerdings nicht so sehr, was Männer Männern und Knaben antun, sondern was sie Frauen und Mädchen antun. Was Männer untereinander an Schandtaten anrichten, sollen sie vielleicht zunächst mal untereinander klären. Wir Frauen haben mehr als genug mit den Verbrechen der Männer gegen Frauen und Mädchen zu tun.

Womit ich bei der Überschrift »Opfer und Täter« angekommen bin. Die Überschrift ist mehrdeutig - ohne Artikel wissen wir nicht, ob »Die Täter und die Opfer« gemeint sind oder »Das Opfer und der Täter«. Was aber klar ist, ist die Männlichkeit des Täters oder der Täter.

Frauen und Männer gemeinsam müssen sich um die Gewalttätigkeit der Männer und ihren Machtmissbrauch Sorgen machen. Auch und gerade im Gesamtbereich Pädagogik. Etwa so alt wie das Geschrei über den sexuellen Machtmissbrauch in der katholischen Kirche ist das Gewinsel der Männer über die männlichen Bildungsverlierer, die angeblichen Opfer der angeblichen weiblichen Übermacht in den Schulen.

Angesichts des sexuellen Machtmissbrauchs der Männer vor allem in Bildungseinrichtungen, der sich, wie jetzt zur allgemeinen Empörung bekanntgeworden, nicht nur gegen Mädchen richtet, wird das Gewinsel hoffentlich abebben. Die Opfer mögen beiderlei Geschlechts sein - die Täter aber sind männlich, von seltenen Ausnahmen abgesehen.

Frauen haben - ebenfalls schon seit Jahrzehnten - eine Männlichkeitssteuer gefordert, für den Opferschutz und die Prävention, vor allem aber für die Behebung der enormen von Männern angerichteten Schäden. Nun, da das Bewusstsein, dass Männer auch Männern schaden, allmählich an Boden gewinnt, ist die Zeit reif, das Thema Männlichkeitssteuer wieder zur Diskussion zu stellen. Eine Kopfpauschale brauchen wir nicht, eine Männerpauschale schon eher.

Luise F. Pusch

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