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MATHILDE

Ein Samstag im Frankfurter Frühling

Zwei junge Frauen auf der Suche nach …

… nach was eigentlich?

Es riecht nach Frühling. Unter dem Arm einen Bund Zweige, aus denen sich rosa Pfirsichblüten an das Tageslicht kämpfen, denke ich an Paris, Welthauptstadt des Küssens. Unzählige Liebespaare haben dort auf unzähligen Brücken unzählige Küsse ausgetauscht - oft auch unter den Brücken, denn das soll besonders viel Glück bringen, so die Legende. Ich denke, dass es Amor wohl besonders gut mit dieser Stadt gemeint haben muss.
Anders als mit Frankfurt. Hier lebe ich nun seit etwas über einem Jahr und mit jedem Tag, den ich in dieser Stadt verbringe, frage ich mich mehr, warum Amor dieser Stadt mit solch einer Verachtung begegnet. Manchmal ist es, als wirke sich die Sterilität der gläsernen Hochhausfassaden auf die BewohnerInnen aus.
Verbindet man mit Paris einen Romantikfaktor, so ist Frankfurt bekannt für seinen Ruf als Finanzzentrum. Frankfurts wilde Zeiten, in denen die 68er getobt haben und die Grünen gegründet wurden, scheinen längst vorbei. Heute schmückt sich Frankfurt lieber mit seiner Skyline und seinem Bankenviertel. Oje.

Wie es wohl in Paris sein muss, wo den Menschen die Liebe in den Augen geschrieben steht, stelle ich mir vor. Bestimmt trifft man seinen Francois zufällig in der Boulangerie um die Ecke. Ich denke an gestern Abend zurück.
»Speed dating«. Mit einer Mischung aus Neugier, Langeweile und einem Grad an Verzweiflung haben wir uns angemeldet, um gemeinsam mit fünf anderen, wahrscheinlich neugierigen, gelangweilten und verzweifelten Frauen zu testen, ob es die »Liebe auf den ersten Blick« gibt, oder etwas realistischer betrachtet, ob man in sieben Minuten ein Interesse für zumindest mal ein zweites Gespräch entwickeln kann.
Wir, das sind meine Freundin Janet und ich. Solch eine Gelegenheit bietet sich in Frankfurt nicht oft und so waren wir bereit, 30 Euro für einen Spaß der besonderen Art zu investieren.
Unter dem Motto »Sieben Männer, Sieben Frauen, Sieben Minuten« bietet sich einem bei diesem Event die Gelegenheit bis zum nächsten »Gong« der Klingel seinen Gegenüber kennen zu lernen und dabei das Bauchgefühl wirken zu lassen. So ist es angeblich wissenschaftlich bewiesen, dass der erste Eindruck zählt, wenn es darum geht, ob man jemanden interessant findet. Oder eben auch nicht.
Entgegen meiner eigenen Empirie, die bewiesen hat, dass ich meine vergangenen Freunde immer einige Zeit lang kannte, bevor ich mich verliebt habe, vertraue ich diesen Erkenntnissen der Wissenschaft und stelle mich der teilnehmenden Beobachtung.

Big Blue sitzt mir als erster gegenüber und auf die Frage, warum »Big Blue« erklärt er mir begeistert, worum es sich in diesem Hollywoodstreifen über den »Rausch der Tiefe« und das Hochseetauchen dreht. »Naja, und Big Blue heißt eben Meer.« Ich frage nicht weiter nach. Und auch sonst interessiere ich mich nicht wirklich für das, was er erzählt. Seine Nase lässt er operieren, das ist mir noch in Erinnerung geblieben. Auch hier frage ich nicht weiter nach.
Später erzählt mir meine Freundin, dass er ihr seine gesamte Leidensgeschichte seines Gesundheitszustands erzählt hat, inklusive seiner Behandlung mit Pilates und Yoga. Ich will es mir nicht vorstellen. Der Dating-Engel schlägt mit der Glocke, sieben Minuten sind um.

MSB ist der Nickname meines nächsten Gegenübers. Ich frage diesmal lieber nicht nach, was das heißt. Es ist Finanzmathematiker. Obwohl ich das zunächst ziemlich unspannend finde, entgegne ich ein »Cool, dann verstehst du ja die Finanzkrise und so«. Er scheint einigermaßen interessiert zu sein und ich finde, dass er irgendwas hat, obwohl er mit seiner Sturmfrisur irgendwie auch aussieht wie ein verrückter Mathematiker eben. Aber sein Lächeln könnte man als sympathisch bezeichnen. Und schließlich geht es ja in diesen sieben Minuten nur um die Sympathie. Er fragt mich, ob ich meinen Traumjob habe. Welches Buch ich zuletzt gelesen habe. Immerhin. Der Gong schlägt wieder. Ich kritzele versteckt ein Fragezeichen auf meinen Notizzettel, den der Dating-Engel am Anfang der Veranstaltung ausgeteilt hat.

Erkutio ist als nächstes an der Reihe, Erkutio von Mercutio, aus Romeo und Julia, erklärt er mir. Ok. Spielst du Theater, fällt mir da spontan als Frage ein. Im Laientheater, entgegnet er. Sympathisch. Wenig später erklärt er mir als Afrikawissenschaftlerin für wie gefährlich er den afri kanischen Kontinent hält, Südafrika, Angola, Uganda, Sudan – alles gleich. Mm. Wir kommen wohl nicht so auf einen Nenner. Ist also nicht so schlimm, dass die sieben Minuten wie im Fluge vergehen. Bei Janet lässt er sich später noch darüber aus, wie sinnlos er Entwicklungshilfe findet und dass es eine Verschwendung an Steuermitteln ist. Wir arbeiten beide für eine entwicklungspolitische Organisation. Durchgefallen also. Doppelt gefloppt. Ich bestelle schnell einen Organgensaft, mir ist irgendwie schon ganz heiß von dem vielen schnellen Reden.

Im Karo-Hemd sitzt mir nun Mr. Wonderful gegenüber. In der realen Welt hätten wir uns vermutlich nie kennen gelernt und auch nichts zu erzählen gehabt. Er kommt aus dem Rheinland - Gott sei Dank, ein Thema. Karneval. Es ist nämlich Faschingswochenende. Endlich sind die sieben Minuten vorbei.

Stefano, der vorletzte an der Reihe. Italiener, wie es im Buche steht. Obwohl er sympathisch ist, wirkt sein italienischer Charme eine Nummer zu dick aufgetragen und auch sein Augenzwinkern am Ende und »Vielleicht sehen wir uns wieder« kann mich nicht überzeugen, dass ich ihn wiedersehen will.

Eine kurze Erholungspause – ein Mann ist nicht aufgetaucht, Männer sind in der Überzahl und daher müssen die Frauen eine Runde aussetzen. Nicht schlecht, denn so kommt man ins Gespräch mit dem Dating-Engel. Netter Job, sagt die PR-Studentin aus Dieburg, die diesen Job seit einem halben Jahr nebenher macht. Kann ich mir vorstellen. Sie erzählt, dass es doch das ein oder andere Mal eine Erfolgsgeschichte gibt und sich Paare tatsächlich hier kennen lernen. Sie weist darauf hin, dass man auch gerne wieder kommen kann, aber »unter uns gesprochen, ich würde einige Mal ausfallen lassen und erst dann wieder kommen, damit nicht die gleichen Männer wieder kommen, wie heute«. Krass. Daran hätte ich nie gedacht. Weder an das Wiederkommen, noch an die Tatsache, dass es Männer gibt, die an solch einer Veranstaltung mehrere Wochen hintereinander teilnehmen. Welch ein normaler Mann macht das schon, frage ich mich und schaue mich noch einmal um – kein normaler Mann.

Als letzter an der Reihe ist Up-to-date, Geograf und irgendwie bei den Verkehrsbetrieben arbeitend. Er mag Theater, das ist alles, was mir hängen bleibt, gelegentlich in mein Lieblingstheater in Frankfurt. Hoffentlich treffe ich ihn dort nicht wieder, denke ich. »Gong«, das Spiel ist vorbei.

Einigermaßen amüsant war das Ganze ja und vor allem die Frauen waren nett. Wir tauschen Nummern aus. Wenigstens etwas. Eine der Frauen verlässt bereits vorzeitig die Bar. Auf den Hinweis, dass jetzt noch erklärt wird, wie das mit der Auswertung im Internet funktioniert, entgegnet sie schnippisch: »Da gibt es nichts auszuwerten, die Männer kommen mit meinem Job nicht klar und damit, dass ich viel unterwegs bin.« Ich sag ja, welcher normale Mann nimmt schon an so einer Veranstaltung teil? – So viel Karo-Hemd und Bodenständigkeit habe ich schon lange nicht mehr erlebt, aber etwas anderes habe ich von Frankfurt auch irgendwie nicht erwartet.

Ob es in Paris auch Speed-Dating gibt oder ist es in der »Stadt der Liebe« völlig unnötig, solche Veranstaltungen zu haben? Ich schaue meine rosa Pfirsichblüten an und frage mich, ob MSB sich auch - auf zumindest mal ein zweites Gespräch - treffen würde.

Stefanie Bauer

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