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Welches Gemüse hätten Sie denn gerne?

Vom Herzblatt zum Bauern, der eine Frau sucht. Der Boom der Kuppelshows

Kuppelspielchen im Fernsehen begannen einst Ende der 1980er Jahre relativ harmlos mit der Sendung »Herzblatt«, ein Flirtspiel mit Damen- und Herrenwahl. Jeweils ein Mann und eine Frau durften pro Sendung aus drei gegengeschlechtlichen Personen, die hinter einer Wand versteckt saßen, mit drei Fragen entscheiden, welche sie zu ihrem »Herzblatt« küren, um dann mit dem Herzblatthubschrauber in ein gemeinsames Wochenende geschickt zu werden. Diese Sendung griff eine alte Idee auf: Gesellschaftsspiel, bei dem verbale Spontaneität angesagt ist. Die vom Sender ausgewählten Personen mussten sich möglichst witzig oder klug präsentieren, um eine Chance auf bezahlte Urlaubstage zu bekommen. Es ging dabei nicht um Lebensglück, sondern um ein bisschen Flirten und nett gemeinsam verbrachte Zeit. Diese Form sozialen Spiels relativ normaler Menschen miteinander zog nicht mehr genug Zuschauer an. Die Sendung wurde 2006 eingestellt.

Findige Köpfe in den Sendern stellten fest, dass die Schnupperphase mit relativ harmloser Selbstdarstellung ohne emotionalen Strip nicht mehr genügte und setzte genau dahinter an: beim Dating mit Entblößung. Jetzt ging es medienfinanziell nur noch darum herauszufinden, welcher Kanditat oder welche Kandidatin die größten und zuschauerinteressanten Menschengruppen anlocken könnte. Ein reicher Mann war es nicht, musste RTL feststellen. Die Sendung »Ich heirate einen Millionär« war ein Riesenflop. Die »Blaublütigen« zogen ein bisschen besser - auf Sat.1 wird für vier alternde Herrschaften eine »Gräfin gesucht« -, doch der absolute Renner und die publikumswirksamste Kuppelshow derzeit ist bei RTL »Bauer sucht Frau« oder einmalig auch »Bäuerin sucht Mann«. Hier wird zwar nicht gewünscht gestript und Probe geknutscht, wie bei den Viva-Shows »Date or Fake« und »Jung, sexy sucht«, doch Entblößung in anderer Form gehört auch hier zum Programm.

Werfen wir einen ersten Blick auf die Frauen, die sich als potentielle Heiratskandidatinnen mit Briefen anbieten, wie Gemüse auf dem Markt. Diese Frauen bekommen nichts dafür, dass sie sich öffentlich entblößen. »Ach, die macht da auch mit!«, können alle sagen, die sie kennen, denn auch Briefe von Frauen, die chancenlos sind, werden geöffnet, ihre »Bewerbung« mitsamt der Ablehnung wird präsentiert. Da dürfen die Schamgrenzen nicht besonders hoch sein. Und alles unentgeltlich, wie wir auch das Gemüse auf dem Markt anschauen können - zu reif, zu faul ... sieht lecker aus. Allerdings ist es kein junges Gemüse, das sich anbietet, sondern diese Frauen sind durchaus im Leben stehende Personen, die einschätzen können, was auf sie zukommt. Also ist Mitleid hier nicht angebracht, zumal ja die Bedingung »Freiwilligkeit« erfüllt ist.

Der zweite Blick gilt den Männern. Erstaunlicherweise müssen diese sich sehr viel mehr entblößen, als die Frauen. Der Sender lässt sie ungeschminkt, unbeholfen und unvorbereitet in die Arena. »Mama schmiert das Butterbrot« ist ein Highlight der Show. Das ist schon ziemlich entwürdigend und erinnert an den Blick, den die Menschen früherer Jahrhunderte auf Jahrmärkten auf menschliche Abartigkeiten warfen. Es ist die süchtig machende Mischung zwischen Fremdschämen und Mitleid. Skurilität ist toll, vor allem deshalb, weil die Diskrepanz zum Selbst so groß ist, dass keine Vergleichsgefahr aufkommen kann. Voyeurismus im Wohnzimmer, das ist bequem und gemütlich und besänftigt die Ängste bezüglich der eigenen Unzulänglichkeiten.

Der dritte Blick schaut auf die Toleranz der Kritiker und Kritikerinnen, die nicht besonders groß ist. Schließlich bekommen eben jener Bauer und eine der Frauen durch diese Sendung ja vielleicht genau das, was Lebensglück genannt wird. Das ist ja nun alles andere als verwerflich. Doch leider bekommen wir darüber keine Information, wieviele glückliche Paare sich tatsächlich finden oder wiewiele Schamgeschädigte aus dem Fenster springen.

Gabriele Merziger

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