Werden Sie auch eine

MATHILDE

Der Schreinerberuf hat nichts mit »Basteln« zu tun

Renate Gärtner leitet als Tischler-Meisterin einen Darmstädter Betrieb

Frau Gärtner, Sie sind ausgebildete Tischlerin oder Schreinerin, wie kamen Sie als Frau auf die Idee, einen typischen Männerberuf zu erlernen?

Eigentlich wollte ich ein Architekturstudium beginnen, mein Vater bestand darauf, vorher ein Handwerk zu erlernen. Er selbst ist Schreinermeister, deshalb lag diese Ausbildung für mich nahe – und dabei bin ich dann auch geblieben.

Wie sieht eine solche Ausbildung aus, wie lange dauert sie?

Die Ausbildung dauert drei Jahre, das 1. Lehrjahr ist Berufsgrundbildungsjahr und findet in der Berufsschule statt. Hier werden die Grundlagen der Holzbearbeitung und auch die traditionellen Verbindungstechniken vermittelt. Im 2. und 3. Lehrjahr arbeiten die Lehrlinge dann in einem Ausbildungsbetrieb, bei mir war das die Fachschule für Holz und Elfenbein in Michelstadt.

Warum entschieden Sie sich noch zur Weiterbildung zur Meisterin?

Während meiner Ausbildung merkte ich, dass mir die praktische und technische Seite des Handwerks vielmehr zusagten als das Entwerfen und Gestalten. So entschloss ich mich nach der Lehre zur Weiterbildung als Holztechnikerin und später zur Meisterprüfung. Somit konnte ich auch den elterlichen Betrieb weiterführen.

Ist es schwierig, mit den männlichen Kollegen zusammen zu arbeiten, sind sie die einzige Frau?

In unserer Schreinerei wird kein Unterschied zwischen Frau und Mann gemacht, deshalb gibt es auch keine Schwierigkeiten. Wichtig ist vor allem die fachliche Kompetenz, ohne diese hat eine Frau im Männerberuf keine Chance, weder bei Kollegen und noch weniger bei Kunden oder Architekten. Andererseits gibt es natürlich Kollegen, die wesentlich kräftiger gebaut sind als ich, wobei das durch andere Fähigkeiten ausgeglichen werden kann.
Während der Ausbildungszeit waren wir fünf Mädchen und sieben Jungen, bei der Techniker- und später Meisterausbildung war ich die einzige Frau. Schwierigkeiten gab es nie, vom Fachlichen her war ich immer etwas besser als die Männer.

Haben Sie als Frau eine andere Herangehensweise an Ihre Aufträge, gibt es spezielle Vorlieben, aber auch Abneigungen?

An die Aufträge gehe ich nicht anders heran als meine männlichen Kollegen. Bei meinen Kunden versuche ich einfühlsam zu beraten, besonders weibliche Kunden kann ich damit gut ansprechen, sie fühlen sich von einer Frau oft besser verstanden.
Es gibt aber auch Kundenanfragen, bei denen es deshalb nicht zu einem Auftrag kommt, weil ich eine Frau bin und die Kunden mir die Arbeit nicht zutrauen. Das passiert zum Glück aber äußerst selten.
Vorlieben und Abneigungen gibt es in jedem Beruf, und das hat meines Erachtens nichts mit Frau oder Mann zu tun.

Welche Kenntnisse und Fähigkeiten brauchen junge Frauen heute zu diesem Beruf, würden Sie sie dazu ermuntern?

Der Schreinerberuf hat nichts mit »Basteln« zu tun, leider haben viele Jugendliche falsche Vorstellungen. Voraussetzung ist zunächst einmal Spaß an handwerklichen Tätigkeiten.
Gutes logisches Denken, technisches Verständnis und gute Mathematikkenntnisse sind ebenfalls wichtig, da die Arbeiten zunehmend mit computergesteuerten Maschinen erledigt werden. Für Frauen ist er nicht nur deshalb gut geeignet, sondern auch durch seine Vielseitigkeit und den großen Spaß am Handwerk.

Frau Gärtner, herzlichen Dank für die ausführlichen und interessanten Einblicke in Ihre Arbeit und weiterhin viel Erfolg.

Das Interview führte Michaela Kirsch

zurück

MATHILDE