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MATHILDE

Die Fernbedienung immer fest im Griff!

Letztens erzählte mir eine Nachbarin eine kleine Episode, die ihr vor kurzem passiert ist und für sie und andere folgenreich war.

Folgendes trug sich zu: Sie ist eine dieser gemütlichen Damen, die bei gutem Wetter mit dem Blümchenkissen über dem Balkongeländer sitzend die Straße beobachten, wenn im Fernsehen nichts Interessantes kommt. Gegenüber schaut sie der kinderreichen Familie in die Fenster, ob sie will oder nicht, es sind ja keine Gardinen als Sichtschutz angebracht. Bisweilen wird es ganz lustig, wenn Kissen hin- und herfliegen, Rangeleien auf dem Fußboden ausgetragen werden oder der Älteste seine Freundin zu Besuch hat. Aber was ist bloß heute los?

Alina, die Mittlere, bewegt ruckartig ihre Arme, zuckt, fällt hin, steht wieder auf, zuckt, schreit, boxt wie wild in die Luft. Plötzlich Stillstand, hat sie sich wieder beruhigt? Nein, es beginnt von vorn, jetzt schlägt sie um sich, haut wie wild auf etwas ein, doch da ist gar nichts. Die Nachbarin macht sich Sorgen, bekommt es mit der Angst zu tun. Abermals ist Ruhe. Da fängt es erneut an. Das Mädchen scheint von Anfällen geplagt zu werden. Die Nachbarin erhebt sich endlich aus ihrem gemütlichen Sitz und eilt hinüber, klingelt, atemlos wartet sie, ist denn keiner außer dem Mädchen zu Hause? Laute Schlaggeräusche kommen aus dem Inneren des Hauses. Dann endlich öffnet sich die Tür und Alina steht da, etwas genervt, aber offensichtlich im Vollbesitz ihrer Sinne.

»Guten Tag, Frau S., was gibt’s? Geht’s Ihnen nicht gut, Sie sehen so blass aus?« »Alina, ich dachte, dir ist etwas passiert. Was machst du, du hast so seltsame Verrenkungen gemacht.« »Ich? Ach, ich habe doch nur mit der Wii gespielt.« Auf das ahnungslose Gesicht der Nachbarin erklärt sie: »Also an der Wii kannst du Sport treiben, beispielsweise Boxen und Tennis, und Autorennen fahren. Du kannst natürlich auch Musik machen mit der Gitarre oder wie ein Pop-Star mit einer Band singen, macht echt Spaß. Willst du, äh, wollen Sie mal probieren?

Sie führt die verwirrte Frau in ihr Zimmer, wo ein den Raum einnehmender Bildschirm in der Ecke hinter einer freien Fläche steht. Auf dem Schirm gibt es mehrere witzige Figuren mit Schlägern bewaffnet in Warteposition.

»Ich spiele gerade Tennis«, erklärt Alina, »soll ich es mal vorführen?« - »Aber gern, ich muss mich nur erstmal setzen«, und Frau S. lässt sich in den blumigen Sessel fallen. Alina startet das Spiel und los geht’s. Wie beim Schattenboxen wirft sie ihre Arme in die Luft, mal rechts mal links, und gleichzeitig bewegen sich die bunten Figuren, ein Ball fliegt hin und her. »Die Fernbedienung musst du fest in der Hand halten, ein Klassenkamerad hat das Ding mal beim Spielen losgelassen, die ist in Richtung Bildschirm geflogen, der war hin!«

Gibt es auch ruhigere Spiele? Alina legt eine neue Kassette ein, »Fitness und Training für den Gleichgewichtssinn, willst du mal?« Alina legt zwei Standflächen auf den Boden, die aussehen wie eine Waage. »Hierauf musst du stehen und dein Gewicht verlagern, die Figur auf dem Monitor bewegt sich entsprechend.« Frau S. traut sich und ist begeistert. Sie probieren noch andere Spiele aus wie Bowling.

Nach einer halben Stunde ist die Nachbarin platt. »Ist auch eine Art Sport zu treiben, gar nicht übel. Werde ich mal unserem Bowlingclub vorschlagen, so können wir unsere Bowlingnachmittage ganz privat gestalten und sogar noch etwas Geld sparen.«

Einen Monat später hat sie eine Wii gekauft und fortan mit ihrem Verein zu Hause gekegelt. Es hat sich schnell herumgesprochen. Ein halbes Jahr später hat eine kleine Kneipe mit Bowlingbahn Konkurs angemeldet. Irgendwann wurde es den Herrschaften zu langweilig ...

Pech aber auch!

Gundula Pause

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