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Frauenskulptur aus der Steinzeit

Auf der schwäbischen Alb ist der Torso einer Frauenfigur gefunden worden, aus Elfenbein geschnitzt. Sie ist nur sechs Zentimeter groß und ca. 40.000 Jahre alt.

Dieser Fund aus der Altsteinzeit gilt als Sensation, denn offenbar sind aus dieser Epoche bis jetzt nur Tierdarstellungen bekannt.

Noch Mitte des neunzehnten Jahrhunderts glaubte man, dass die Bibel wörtlich zu nehmen sei und menschliches Leben auf der Erde erst seit 6000 Jahren existiert. Inzwischen ist diese Auffassung längst revidiert, aber noch immer kursiert die Meinung, die Menschen der Steinzeit seien primitiv und der »aggressive Jäger« der eigentliche Kulturträger gewesen.

Es gibt inzwischen zahlreiche Belege dafür, dass die frühen Menschen in einer von Frauen getragenen Kultur bereits planende, denkende und ihre Erfahrung weitergebende Geschöpfe waren, die schon vor 100 000 Jahren ihre Toten rituell bestatteten. Als Zeugnis für die geistige Entwicklung des frühen Menschen beschreibt die Höhlenforscherin Marie König das Linienkreuz aus der Mittleren Altsteinzeit (gefunden in Ungarn). Es beweist, dass der Mensch bereits sehr früh die vier Himmelsrichtungen kannte. Marie König sieht in diesem Linienkreuz den schöpferischen Einfall, auf dem die Grundstruktur einer geordneten kultivierten Welt beruht.

Wir haben demnach allen Grund, diesem Fund aus der Altsteinzeit mit Respekt für unsere VorfahrInnen gegenüber zu treten.

Aber nichts davon ist in den Berichten der meisten bekannten und weniger bekannten Zeitungen zu finden. Im Gegenteil, die Berichterstattung ist unerträglich ignorant und abwertend. Es werden Zusammenhänge von »Porno, dumpfem Höhlenleben, Dolly Buster, steinzeitlichen Pin-Ups, erotischen Spielzeugen für den einsamen Jäger« und ähnlichen männlichen Fantasien zusammengebastelt. Voller Überheblichkeit und mit einem gehörigen Quantum Frauenverachtung gehen die Herren Journalisten davon aus, dass in der Zeit vor 40.000 Jahren Frauen bereits wie heute als benutzbare Sexobjekte gesehen wurden und der weibliche Körper vor allem dazu dienen sollte, der männlichen sexuellen Bedürftigkeit zu dienen. Ist es möglich, dass diese Männer die frühen Menschen mit selbstgefälligen Vorurteilen betrachten und darüber in der Zeitung schreiben, ohne je eines der zahlreichen Werke über die Erforschung der Steinzeit gelesen haben? Es sieht so aus, sonst würde vielleicht so mancher doch verstanden haben, dass es eine Zeit vor dem Patriarchat gegeben hat, in der Brüste und Vulva universell verstanden wurden als heilige Symbole des Lebens, das von Frauen geschenkt wurde.

Die Archäologin Marija Gimbutas hat sich schon vor Jahren mit der Bedeutung weiblicher Figurinen aus der Frühgeschichte beschäftigt. Auch Gerda Weiler, Heide Göttner-Abendroth, Robert Graves, James Mellaart, Kurt Derungs und andere haben wichtige einschlägige Forschungsergebnisse über die frühgeschichtlichen Menschen, ihre Entwicklung und Kultur veröffentlicht.

Aber das nützt natürlich alles nichts bei gestandenen Patriarchen, die ein Brett vor dem Kopf und unverrückbare Vorurteile haben und alles durch die Brille einer Welt voller Sexsymbole sehen.

Der eigentliche Skandal dabei ist, dass sich als Reaktion auf einen außergewöhnlichen Fund derartig sexistische und pornografisierte Texte nicht etwa in für minderwertigen Journalismus bekannten Sensationsblättern, sondern in der seriösen Presse breitmachen dürfen.

Trotzdem sind die Erkenntnisse aus der feministischen Matriarchatsforschung nicht mehr zu übergehen, zumal sie durch existierende matriarchale Gesellschaften weltweit untermauert werden. Diese Forschungsergebnisse werden auf dem Weg zu einer zukunftsfähigen, friedlichen Welt einen wichtigen Beitrag leisten.

Barbara Obermüller

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