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Frauen in der Kunstgeschichte

Frauen wurden Jahrhunderte lang als Künstlerinnen unsichtbar gemacht. Jeder Rundgang durch eine Stadt, jeder Museumsbesuch und jeder Blick in so genannte Standardwerke bestätigen diesen Eindruck. Obwohl es zu jeder Zeit Künstlerinnen gegeben hat, ist die Frau in der Kunstgeschichte, die bis ins 20. Jahrhundert fast ausschließlich von Männern geschrieben wurde, als Künstlerin nie wirklich akzeptiert und als überlieferungswürdig angesehen worden.

 

Frauenklöster, Malertöchter und Damenmalschulen

Frauenklöster waren im Mittelalter Zentren des weiblichen Kunstschaffens. Von Hildegard von Bingen (1098-1179), von Gisèle von Kerssenbrock (um 1250-1300) und anderen sind kostbare Bildwerke in Bibliotheken erhalten. Ab dem 16. Jahrhundert erhielten Malerinnen ihre Ausbildung als Töchter oder Verwandte von Malern. Das Lernen in der familieneigenen Werkstatt war für Mädchen der einzige Weg, eine qualifizierte Ausbildung als Künstlerin zu erhalten. Die Malerinnen Artemisia Gentileschi (1593-1652), Elisabeth Vigée-Le Brun (1755-1842), Angelika Kauffmann (1741-1807) und andere waren Meisterinnen ihres Fachs und wurden, zumindest in den ersten Jahren, auf diese Weise in der Malkunst unterwiesen.

Der Besuch von Kunstakademien war Frauen bis ins 19. Jahrhundert verboten, in Deutschland bis nach dem ersten Weltkrieg. In Russland, den USA, oder in Skandinavien konnten Künstlerinnen schon früher studieren.

Der Kampf der Frauen um eine vollwertige künstlerische Ausbildung war langwierig und mühsam. Zunächst hatten sie im 19. Jahrhundert mit der Gründung von »Damenmalschulen« in einigen Städten Deutschlands zur Selbsthilfe gegriffen, wobei die Frauen für eine solche Ausbildung wesentlich mehr Geld als an der Kunstakademie aufbringen mussten. Einige Akademien kamen dem Gesuch von Frauen um Aufnahme mit Sondergenehmigungen nach.

Wegen ihrer kunstgewerblichen Ausrichtung ließen manche Kunsthochschulen schon früher Frauen zu; beispielsweise die »Kgl. Kunstakademie für graphische Künste und Buchgewerbe« in Leipzig seit dem Jahr 1900, während das »Städelsche Kunstinstitut« in Frankfurt bereits Anfang der 1870er Jahre eine kleine Damenabteilung etablierte.

Neben den Akademien und Kunstgewerbeschulen waren Zeichenlehrerseminare für Malerinnen ein Ausweg. Private Malateliers für Frauen wurden auch oft von Künstlern unterhalten, die sich damit ihren Lebensunterhalt sicherten. Nicht alle boten eine gute Ausbildung an. So schrieb die Malerin Henni Lehmann (1887-1937) über eine private Malschule: »Man muss in solchen Privatateliers gewesen sein, um zu begreifen, welche Talentlosigkeiten sich breitmachen. Ein Lehrer, der von seiner Malschule lebt, wird kaum jemanden nach Hause schicken«.

Ausbildung in Darmstadt

Gefördert durch die Großherzogin Alice, eröffnete in Darmstadt der damalige Hofmaler Reinhard Kröh im Jahr 1873 eine Kunstschule. Er bildete unter anderem die anerkannten Künstlerinnen Anna Beyer (1867-1922) und Mathilde Stegmayer (1873-1959) aus. Neben vielen anderen Damen der Gesellschaft gehörten zum Kreis seiner Schülerinnen und Schüler auch die Töchter von Alice und die Schwestern des späteren Großherzogs Ernst Ludwig. Die Kunstschule und das Atelier befanden sich in der Kiesstraße 58. Die Schule bestand fast fünfzig Jahre – bis nach dem ersten Weltkrieg.

Verbot des Aktstudiums

Frauen wurden auf ein eng begrenztes Kunstgebiet eingeschränkt, auf »das Schöne und Zarte«: Der Philosoph Kant dachte folgendermaßen darüber: »Entsprechend ihrem schönen Verstand im Gegensatz zum männlichen tiefen Verstand kann die Frau nichts wirklich Großes schaffen«.

Der Unterricht an den Privatschulen und – sofern sie dort studieren durften – an den Akademien beschränkte sich für Frauen auf bestimmte Gebiete. Sie malten nach Gipsmodellen, das Aktstudium wurde Frauen aus moralischen Gründen untersagt. Dies war auch das Hauptargument für die Gegner der Akademiezulassung für Frauen. Unterschwellig existierte sicher auch die Angst vor gleichberechtigten Kolleginnen, die die Maler/Modellbeziehung und damit die Hierarchie des herrschenden Geschlechterverhältnisses in Frage stellen würden.

Das Fehlen des Aktstudiums hatte für Künstlerinnen schwerwiegende Folgen und ist wohl einer der Hauptgründe dafür, dass Frauen sich oft auf Porträts, Blumen- und Tierbilder beschränkt haben und es sehr wenige Bildhauerinnen gab. Es fehlte ihnen einfach das notwendige Grundstudium. Man erschwerte den Frauen in vielerlei Hinsicht, Künstlerin zu werden und führte dann die Tatsache, dass es nur wenige gab, auf ihre Unfähigkeit und ihren Dilettantismus zurück. Auf Grund dieser Abwertung der Frauen und ihrer Einstufung zum »Randphänomen« wurde die Überlegenheit des Künstlers »bewiesen«.

Erst 1919, mit der in der Weimarer Verfassung festgeschriebenen Gleichberechtigung, standen den Frauen auch rechtlich die Kunsthochschulen offen. Selbst dann noch gewährten ihnen manche nur zögernd Einlass.

Aufbruch der Frauen

Frauen begannen, neue Formen weiblicher Ästhetik zu entwickeln und Themen aus ihrer Perspektive als Frau zu bearbeiten. So eigneten sich Künstlerinnen wie Suzanne Valadon (1865-1938), Paula Modersohn-Becker (1876-1907) und Annegret Soltau (*1946), im Gegensatz zum männlich-voyeuristischen Blick auf das Modell, den weiblichen Akt aus der Perspektive der Frau an. Mit der Installation »Dinner Party« * von Judy Chicago (*1939) entstand 1979 in Amerika eines der ersten feministischen Kunstprojekte.

Heute arbeiten Künstlerinnen in allen Bereichen der Kunst und sind – trotz mancher Benachteiligungen – auf ihrem Weg nicht mehr aufzuhalten.

Barbara Obermüller

Fotos: Margret W.-Simon

Literatur:
Isabel Schulz, Künstlerinnen, Zweitausendeins Verlag 1991.
Ingrid von der Dollen, Malerinnen im 20. Jahrhundert, Hirmer Verlag 2000

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