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Silber statt Grau

Silbrige Fäden schimmern mir im Spiegel entgegen. Diese eindeutigen Alterszeichen nehme ich mit Schrecken wahr. Das Auszupfen von einzelnen weißen Haaren scheint mir unangebracht, weil es zum Verlust von ganzen Strähnchen führen würde.

Mehr als sechs von zehn Frauen färben regelmäßig ihre Haare. Durch das Überdecken vom Grau wollen Frauen ihr Alter wegzaubern - für den Partner, für den Arbeitgeber, für Kollegen, Freunde, Bekannte und für sich selbst. Einige Frauen, aber auch schon junge Mädchen zeigen durch mutige Töne Modebewusstsein oder Freude an einer Typenveränderung. Männer verstecken ihr Alter seltener, da die meisten ihre grauen Haare mit Reife und Attraktivität verbinden. Aber auch die männliche Eitelkeit hat sich entwickelt: Inzwischen greift etwa jeder zehnte Mann zu einem Haarfärbemittel. Einige Firmen bieten spezielle Produkte für den modernen Mann, die so natürliche Ergebnisse erzielen sollen, dass keiner die Kaschierung bemerkt. Ein wesentlicher Grund für das Überdecken des männlichen Graus ist die Ausrichtung am Arbeitsmarkt. Nach einer Studie der GfK Marktforschung erwartet etwa jeder dritte Mann bessere Karrierechancen, wenn die Haare nicht grau sind.

Beim Besuch des Drogeriemarktes wandern meine Augen automatisch von den Shampoos zu den Haarfärbemitteln. Ein meterlanges Regal verspricht eine unbegrenzte Farbvielfalt: Vom Saharablond bis zum Samtbraun, Granatapfelrot, Mahagoni und Blauschwarz. Die Packung, die meine natürliche Haarfarbe verspricht, betrachte ich genauer. Wegen Hinweisen auf einen aufwändigen Färbeprozess und die aggressiven Inhaltsstoffe stelle ich das Saharablond rasch zurück.

Die empfindliche Kopfhaut wird beim Färben zahlreichen chemischen Reaktionen ausgesetzt. Dies ist besonders problematisch, weil die Stoffe über die Kopfhaut sehr gut aufgenommen werden. Oxidationsfarben, die Haare dauerhaft colorieren, enthalten allergene Stoffe wie Phenylendiamine, Aminophenole, Hydrochinon oder Resorcin. Das oxidierende Wasserstoffperoxid kann stark hautreizend wirken. Renaturierungsmittel zur Wiederherstellung der natürlichen Haarfarbe enthalten Bleiacetat. Diese Schwermetallverbindungen lagern sich in den Knochen ab und bewirken schwere Schäden im Blut und Nervensystem. Viele Ärzte raten Schwangeren, auf das Färben zu verzichten, da die Stoffe in der Muttermilch und in dem Fettgewebe des gestillten Kindes angereichert werden. Der Zentralverband des Deutschen Friseurhandwerks ist sich hingegen sicher, dass die Inhaltsstoffe von Haarfärbemitteln keine gesundheitliche Gefährdung für Mutter und Kind mit sich bringen.

Wer Haare färbt, erhöht sein Risiko an Rheuma und Krebs zu erkranken. Die Zeitschrift Öko-Test untersuchte 36 Rot- und Brauntöne im November 2006 und fand heraus, dass in allen Haarfarben aromatische Amine stecken. Viele dieser Stoffe gelten als krebserregend. Dass mit dauerhaftem Färben die Wahrscheinlichkeit steigt, an Blasenkrebs zu erkranken, wies eine US-Studie aus dem Jahr 2001 nach. Diese Untersuchung veranlasste die EU-Kommission, die Haarfarben zu prüfen. Ab dem 1. Dezember 2006 wurden 22 Mittel verboten, die im Verdacht stehen Krebs zu erzeugen. Im September 2007 wurde weiteren 135 Substanzen für Haarfärbeprodukte die Genehmigung entzogen, ein Verbot von weiteren gesundheitsschädlichen Substanzen war geplant. Wie riskant das Färben mit den heutigen Produkten wirklich ist, wird aber noch länger unklar bleiben. Untersucht werden müssten neben den reinen Inhaltsstoffen auch Reaktionsprodukte, die nach der Mischung mehrerer Komponenten entstehen. Auch die Langzeitwirkung auf den menschlichen Körper und die Belastung unserer Gewässer ist noch zu beobachten.

Tönungen sind keine sanftere Alternative für die permanenten Farben, weil sie aus den gleichen Stoffen bestehen. Verträglichere Varianten sind natürliche Produkte wie Henna oder Indigo. Eine absolute Garantie für deren Unbedenklichkeit gibt es allerdings nicht. Sogar Henna kann Allergien auslösen, wenn zum Beispiel in südlichen Ländern dem Farbstoff p-Phenylendiamin beigefügt wird. Während das Bundesinstitut für Risikobewertung den Farbstoff Lawson, der in Henna enthalten ist, als unbedenklich bewertet, betrachtet der EU-Ausschuss diesen als erbgutschädigend.

Auf dem Weg nach Hause achte ich auf die verschiedenen Haarfarben, die mir begegnen. Die faltige Haut von über 60jährigen Frauen kontrastiert mit mädchenhaftem Hellblond oder karottenfarbenem Orange. Junge Mädchen zeigen knallig gefärbte Strähnchen. Auffällig finde ich die Dominanz von den vielen verschiedenen Rottönen. Dass Farbe im Einsatz war, ist bei einigen Frauen wegen grauen Haaransätzen oder unbeabsichtigten grünlichen Töne auf den ersten Blick erkennbar. Ich denke an den großen Aufwand für das Färben. Alle 6 bis 8 Wochen muss der Ansatz nachgefärbt werden. Zunächst habe ich kein Produkt aus dem Laden mitgenommen, nicht nur wegen der starken Gesundheitsgefährdung, sondern auch weil ich befürchte, dass der auf der Packung angezeigte Farbton nicht zum Vorschein kommen wird. Wirklich verlassen wird mich der Gedanke an das Haarefärben jedoch erst, wenn der Jugendwahn in unserer Gesellschaft nachlässt und viele Frauen in meinem Umfeld zu ihrem natürlichen Silber stehen.

Brigitte Luckhardt

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