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MATHILDE

"Ein Pfungstädter und eine Piña Colada bitte!"

Zwei Freundinnen machen sich auf die Suche nach einer Frau, die alleine in die Kneipe geht. Sie werden nicht fündig, doch die eine Freundin öffnet der anderen die Augen.

Bei Studentennebenjobs als Kellnerin in Bars und Kneipen habe ich mich oft darüber gewundert, dass kaum Frauen allein in einer Bar aufkreuzen, jedoch jede Menge Männer, die regelmäßig allein ihr Bierchen trinken. Doch warum ist das so? Für rücke ich dem Geheimnis auf die Spur.

Am Mittwochabend um halb zehn sitze ich im Pillhuhn, mit einer Freundin. Aus den Lautsprechern der Raucherkneipe dümpeln in angenehmer Lautstärke Rockklassiker, irgendwas von AC/DC, auch mal Motörhead. Die Theke ist sehr lang, sie zieht sich durch den gesamten Gastraum, an ihr aufgereiht sitzen die Gäste auf gemütlichen Barhockern, ideal um mit Anderen ins Gespräch zu kommen. An den orange gestrichenen Wänden hängen als Dekoelemente historische Musikinstrumente und Fotos, die an die wilden Jahre dieser Kneipe erinnern, denn das Pillhuhn war in den 90er Jahren verschrien als verrückter Rockerschuppen.

Ich lasse den Blick schweifen und sehe mich sofort in meiner Annahme bestätigt. Uns gegenüber trinkt ein Mann allein ein Bier. Er steht etwas abseits an einem Piano und wendet den übrigen Gästen den Rücken zu. Den Blick starr in eine Richtung gerichtet, trinkt er zügig. Kurz darauf geht die Kneipentür auf und ein weiterer Mann kommt an den Tresen, bestellt ein Bier, greift nach einer Zeitschrift und hebt den Blick nicht mehr. Es vergeht einige Zeit, Grüppchen und Pärchen treten ein, bis wieder ein einzelner Mann auftaucht. Er scheint schon Einige zu kennen, stellt sich an die Bar und beginnt gleich ein Gespräch. Ein extrovertiertes Exemplar, groß, kräftig, mit kurzgeschorenen Haaren und einer Bomberjacke. Ja, und die Frauen, die ich erblicke, sind alle in Begleitung, mit Freundinnen oder Freunden, keine ist allein. Ich trinke ein frisch gezapftes Pfungstädter, meine Freundin eine Limonade.

Um halb elf gehen wir ins Cluster im Johannisviertel. Dort ist das Publikum im Durchschnitt etwas jünger. Der "Barmann" ist in meinem Alter, tätowiert und mit geweiteten Ohrlöchern. Die Einrichtung erinnert an Australien oder Mexiko. Dicke Holzbalken als Pseudowandstützen sorgen für ein wohliges Ambiente. Kleine Lämpchen, eine riesige Couch, Ölbilder und merkwürdige Rostskulpturen mit bunten Silikontupfern hängen an den Wänden. Neben mir steht eine Lavalampe, es wird geraucht. Ich entdecke keine Frau alleine, auch die Herren sind alle bestens mit Gesprächspartnern versorgt. Wir nehmen Platz und wenig später kommt einer, den man schon beinahe zum Inventar der Darmstädter Clubszene zählen kann. Wir grüßen uns. Angeblich hat er eine Tochter in meinem Alter, er könnte also mein Vater sein, dennoch geht er leidenschaftlich gern auf Studentenpartys im Schlosskeller und im 603qm. Immer allein und immer mit Hut und Lodenmantel, er fällt auf und deswegen kennt ihn mittlerweile fast jeder. Doch hier im Cluster ist er mit den zwei Damen vom Nachbartisch verabredet. Geht auch er nicht allein in die Kneipe? "Hier gibt es ja auch Cocktails!" stellt meine Begleitung entzückt fest. Ich bestelle ein Pfungstädter aus der Flasche und eine Piña Colada.

Sicher gibt es viele Frauen, die abends nochmal Lust haben rauszugehen und dann niemanden finden, der mitgeht. Manchmal haben die Freundinnen keine Zeit oder keine Lust, oder man kennt noch niemanden, weil man neu in der Stadt ist. Es gibt viele Gründe, warum man mal in die Situation kommt, alleine auszugehen. Einigen kommt dann der Gedanke, dass es armselig sei, alleine in einer Kneipe zu sitzen. Wer kennt nicht diese Welle von Mitleid, die einen überfällt, wenn man Menschen alleine im Restaurant, einer Bar, im Kino oder sonst irgendwo sitzen sieht: Der Arme! Die Arme! Ich war schon öfter allein in einer Bar oder Kneipe und habe mich nicht arm gefühlt. Mir schmeckt das Bier und ich mag die Atmosphäre da. Aber wenn ich wie meine Freundin am liebsten Piña Colada und Limonade trinke, würde ich dann auch allein in eine Kneipe gehen? Ich frage sie und meine Vermutung wird bestätigt. Sie würde nicht alleine in die Kneipe gehen. Aber nicht weil sie sich nicht traut, sondern weil ihr das "Kneipentum" nicht liegt.

Stimmt, die Lösung liegt so nahe. Soziologisch pauschalisiert ernähren sich Frauen gesünder, rauchen weniger und trinken weniger Alkohol als Männer. Das würde erklären, warum sie die Kneipe meiden. Ich habe Freundinnen, die sich in der Kneipe ein Radler teilen. Ich habe auch Freundinnen, die einen Äppler nach dem anderen trinken und danach noch einen Schnaps. Und schließlich existiert in einigen Köpfen noch das Vorurteil, Frauen allein in der Kneipe seien nur auf der Suche nach einem Mann. In einem Diskussionsforum im Internet habe ich, wie grotesk, sogar gelesen: Die einzigen Frauen, die man in der Kneipe treffe, seien Prostituierte, die gerade eine Pause machen!

Tatsächlich war die Kneipe im 19. Jahrhundert ein Männerding, häufig verkehrten dort "leichte Mädchen". Doch das liegt nun über 100 Jahre zurück und in der Regel können Frauen alleine in die Kneipe gehen, ohne als Verrückte, Alkoholikerin oder Mannstolle abgestempelt zu werden. Dennoch trifft man Frauen alleine häufiger im K&K im Carree Kaffee schlürfend oder im Bistro Elisabeth eine gute Suppe essend. Das kann ich auch irgendwie verstehen. Umso gemütlicher das Ambiente einer Bar und umso länger die Cocktailkarte oder die Salattheke, desto höher auch der Frauenanteil unter den Gästen, garantiert.

Alessa Pieroth

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