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Frauen sind anders krank und leben länger

Durch die Emanzipation der Frau wurde auch das Interesse am weiblichen Körper geweckt. Nicht nur die juristische Gleichstellung von Mann und Frau, freier Zugang zu Bildungseinrichtungen und das Recht einen Beruf auszuüben sind die Errungenschaften des Feminismus sondern auch ein anderes Körperbewusstsein.

Sebastian ist im Juni vierzig geworden und sein Leben läuft so gut wie nie zuvor. Er ist Geschäftsführer in einer mittelgroßen Werbeagentur, die er gemeinsam mit seinem Geschäftspartner nach zehn Jahren harter Arbeit ertragreich am Markt etabliert hat. Körperlich ist er in ganz guter Verfassung, er spielt einmal pro Woche Volleyball mit Freunden, mit dem Rauchen hat er vor fünf Jahren aufgehört. Sein Bauch, der damals nur im Ansatz vorhanden war, hat sich seither ausgewachsen, bewegt sich für einen Mann aber noch im Rahmen. Im August will er Laura heiraten, seine zweite Ehefrau. Laura ist 32 Jahre, hat ebenfalls einen guten Job bei einer großen Werbeagentur und seit drei Monaten beginnt auch ihr Bauch zu wachsen. Laura ist schwanger. Sie versucht diese Neuigkeit vor ihren Arbeitskollegen und Vorgesetzten geheim zu halten, denn man schätzt sie als zuverlässige, zielstrebige leitende Angestellte. Durch die Schwangerschaft fürchtet sie um ihre gute Stellung in der Agentur.

Sebastians Freude ist ungetrübt, für Laura fangen die Probleme jetzt erst an. "Bevor jemand erfährt, dass ich schwanger bin, möchte ich erst dieses laufende Projekt zu Ende bringen. Denn ganz schnell wirst du als Schwangere am Arbeitsplatz nicht mehr für voll genommen." Die Erfahrung hat sie im Kollegenkreis bereits gemacht. Während sich niemand, außer vielleicht Laura, an Sebastians kleinem Wohlstandbauch stört, hat Lauras Babybauch für sie weitreichende Folgen.

Zunächst ein kleiner Exkurs - Anfang des 20. Jahrhunderts galt der männliche Körper als Norm, der weibliche Körper als Abweichung. Hormonelle Schwankungen beispielsweise, die sich im Verhalten der Frau bemerkbar machen können, wurden und werden auch heute noch oft als "weibische Launenhaftigkeit" abgetan. Dass Frauen ein schwaches und krankes Geschlecht sind, ist ein Vorurteil jener Zeit, mit dem erst die Emanzipationsbewegung der 1960er Jahre aufräumte. Die Aktivistinnen forderten das Ende einer patriarchalen Sichtweise und einen Anspruch an Informationen über den eigenen Körper. In Medizin und Forschung, wie in der Frauengesundheitsforschung oder Frauenforschung in den Sozialwissenschaften, rückt das weibliche Geschlecht ins Zentrum der Untersuchungen. In Selbsthilfegruppen, Selbstuntersuchungsgruppen, Frauengesprächsgruppen und Frauengesundheitszentren wurden konkrete Praxis- und Wissensangebote geschaffen, die den Frauen helfen mit sich und ihrem Körper in der Gesellschaft zurechtzukommen. Die Benachteiligung von schwangeren Frauen am Arbeitsplatz zu bekämpfen, ist ein weiteres Anliegen der Emanzipationsbewegung.

In den meisten Ländern dieser Erde leben Frauen schon immer länger als Männer und sind dennoch häufiger krank. Der Hauptanteil der Krankheitsfälle geht auf die Phase der Schwangerschaft und Entbindungen zurück. Männer sind häufiger unfallverletzt und leiden in jungen Jahren öfter an Herz- und Kreislauferkrankungen. Sie leben im Alltag risikoreicher und weniger gesundheitsbewusst.

Laura ist nun in dem Alter, in dem Frauen häufig aus dem Berufsleben ausscheiden, um Kinder zu bekommen. Die männlichen Kollegen machen dann ihren ersten Karrieresprung, oft dank der fehlenden weiblichen Konkurrenz. Wenn Frauen nach der Schwangerschaft wieder an ihre alte Stelle zurückkehren, können sie berufliche Ziele nicht mehr mit der gleichen Hingabe verfolgen. Zu Hause wartet ja jetzt der Nachwuchs, der nicht verstehen kann, warum sowohl Mama als auch Papa wenig Zeit haben. Sebastian kann sich als Geschäftsführer seine Zeit frei einteilen, er trägt aber auch mehr Verantwortung für seine Agentur. Zwar haben beide geplant, ihre Kinder möglichst gleichberechtigt zu erziehen, in der Realität sind es jedoch die Frauen, die mehr Verantwortung für Kinder und Haushalt übernehmen.

Die Doppelbelastung von Familie und Beruf wird von den meisten als Negativeffekt der Emanzipation gewertet. Ist frau mit ihrer Situation zufrieden, so kann sich diese Mehrfachbelastung jedoch sehr positiv auf die Gesundheit auswirken. Berufstätige Frauen weisen sogar im direkten Vergleich einen etwas besseren Gesundheitszustand auf, als Nichtberufstätige. Da sie außerdem eher im Dienstleistungssektor angestellt sind, in dem es nur selten zu Arbeitsunfällen kommt, entfallen auch nur 20% der berufsbedingten Krankheiten auf die Frau. Tatsächlich sind Herzinfarkte bei Frauen im Alter zwischen 25 und 55 Jahren häufiger geworden. Nach Angaben des statistischen Bundesamts ist diese Entwicklung eine Folge von gesundheitsschädlichem Verhalten. Im Gesundheitsbericht von 2006 wurde festgestellt, dass die Zahl der Raucherinnen, und dementsprechend die Krankheitsfälle, die mit dem Rauchen in Verbindung gebracht werden, im Verhältnis zu den männlichen Rauchern mehr ansteigt. Warum die Zahl der Raucherinnen ansteigt, ist Spekulation, manch einer behauptet jedoch, dass Zigaretten und Alkohol zu konsumieren als Emanzipationszeichen gelte und deshalb zunimmt.

Auf die Jahrzehnte, in denen das Erkenntnisinteresse der Frau im Zentrum vieler Forschungen stand, folgt nun eine Entwicklung, die man "Gendermainstreaming" nennt. Der Fokus liegt jetzt auf beiden Geschlechtern, nicht mehr nur auf Mann oder Frau. So soll die Gleichstellung in jeder Hinsicht gewährleistet und zukünftig keiner mehr benachteiligt werden. Es ist zu erwarten, dass sich die Geschlechter in ihrem Gesundheitsverhalten und ihrem Gesundheitszustand wieder annähern.

Alessa Pieroth

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